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Übersicht

WELCHES HEPARIN ZUR VORBEUGUNG
UND BEHANDLUNG TIEFER VENENTHROMBOSEN?

Vor gut zehn Jahren kam mit EMBOLEX NM* das erste niedermolekulare (fraktionierte) Heparin auf den Markt. Inzwischen stehen sechs Varianten zu Wahl (Tabelle 1). Eine therapeutische Überlegenheit der Neuerungen war lange Zeit nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Unfraktioniertes Heparin ("Standardheparin", LIQUEMIN N u.a.) blieb daher in den meisten Anwendungsgebieten Mittel der Wahl (a-t 7 [1993], 68). Neue Erkenntnisse erfordern inzwischen bei einigen Indikationen eine Neubewertung.

*

1986 als Fixkombination mit Dihydroergotamin und Lidokain eingeführt.

EIGENSCHAFTEN: Niedermolekulare Heparine mit Molekulargewichten zwischen 3.000 und 6.000 Dalton werden mit unterschiedlichen Verfahren aus Standardheparin hergestellt. Im Unterschied zu diesem hemmen sie den Gerinnungsfaktor Xa meist um das Zwei- bis Vierfache stärker als das aktivierte Thrombin. Zur antikoagulatorischen Wirkung tragen weitere Mechanismen bei wie die Freisetzung von Gewebe-Hemmstoffen für Faktor Xa. In den Wirkkomponenten unterscheiden sie sich. Einfache Angaben zur Wirkstoffmenge z.B. in Milligramm oder Anti-Faktor-Xa-Einheiten lassen sich für die verschiedenen Präparate selbst dann nicht direkt vergleichen, wenn sie auf den ersten WHO-Standard bezogen sind. Jedes niedermolekulare Heparin ist deshalb als eigenständiges Mittel anzusehen und in Indikationen und Dosierungen anzuwenden, die durch klinische Studien abgesichert sind.

Laborkontrollen können entfallen: Die gerinnungshemmende Wirkung lässt sich anhand der Anti-Faktor-Xa-Aktivität im Plasma ohnehin nur grob abschätzen. Die Bioverfügbarkeit nach Subkutaninjektion beträgt über 90%, die Plasma-Halbwertszeit der Anti-Xa-Aktivität drei bis sechs Stunden. Zur Thromboembolieprophylaxe reicht meist eine Dosis pro Tag. Ohne wesentliche Verstoffwechselung in der Leber werden niedermolekulare Heparine über die Nieren ausgeschieden. Anders als Standardheparin werden sie nur gering von Endothelzellen und Makrophagen aufgenommen oder an Plättchen-Faktor IV, VON-WILLEBRAND-Faktor oder Plasmaproteine gebunden. Die biologische Wirkung lässt sich deshalb besser kalkulieren. Niedermolekulare Heparine sind durch Protamin (PROTAMIN "ROCHE") nur partiell und unsicher antagonisierbar. Durch Dialyse sind sie nicht zu eliminieren.1-3

VERTRÄGLICHKEIT: Alle unter Standardheparin bekannten Störwirkungen kommen auch unter niedermolekularem vor.1,2 Am häufigsten und dosisabhängig ist mit Blutungskomplikationen zu rechnen (bei perioperativer Prophylaxe bei ca. 5%). Das Risiko unterscheidet sich insgesamt nicht von dem des Standardheparins. Schwerwiegende Blutungen und Wundhämatome kommen jedoch anscheinend seltener vor.4,5 Selten verursachen sie Hypoaldosteronismus mit Hyperkaliämie, Transaminasenerhöhungen, Haarausfall, allergische Hautreaktionen und -Nekrosen. Die Gefahr einer Osteoporose unter Langzeitbehandlung ist möglicherweise geringer als unter Standardheparin. Heparinabhängige Antikörper gegen Thrombozyten treten seltener auf (2% vs. 8%).6

Heparin-induzierte Thrombozytopenien vom Typ II (HIT II) kommen unter Standardheparin bei 3% vor. Jeder fünfte Betroffene entwickelt Thrombosen und Gefäßverschlüsse ("White-clot-Syndrom") mit einer Sterblichkeit von 20% bis 30% (a-t 9 [1997], 90).6,7 HIT II wird auch in Verbindung mit niedermolekularen Heparinen berichtet.8,9 Wahrscheinlich ist die Komplikation deutlich seltener als unter Standardheparin.

Prophylaxe von Thromboembolien

PERIOPERATIV: Mehr als 50 randomisierte Studien vergleichen niedermolekulares mit Standardheparin oder oralen Antikoagulantien zur Thromboseprophylaxe bei Operationen.10-13 Die Indikation zur Heparinisierung soll sich nach dem perioperativen Risiko für tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien richten (Tabelle 2; a-t 6 [1994], 51).

Patienten mit niedrigem Risiko erhalten keine medikamentöse Prophylaxe. Das Thromboembolierisiko ist so gering, dass die Gefahren durch unerwünschte Effekte wie Blutungen oder HIT II überwiegen. Heparin wird bei diesen Patienten viel zu häufig angewendet. Internationale Richtlinien empfehlen lediglich Stützstrümpfe und frühzeitige Mobilisierung.5,14-17

Bei mittlerem Risiko gilt niedrig dosiertes (low dose) Standardheparin mit 2-3 x 5.000 Einheiten bzw. 2 x 7.500 Einheiten pro Tag als Mittel der Wahl. Es vermindert das perioperative Thromboembolierisiko um 60% bis 70%, niedermolekulare Heparine um 70% bis 80%.5 Im direkten Vergleich zwischen beiden Heparinen treten pro 100 Behandlungen eine tiefe Venenthrombose und pro 300 Behandlungen eine Lungenembolie weniger auf. Unterschiede hinsichtlich tödlicher Lungenembolien, Sterblichkeit oder Blutungen lassen sich nicht nachweisen.10-12 Unter Kosten/Nutzen-Gesichtspunkten wird die Verwendung niedermolekularer Heparine derzeit nur in Ausnahmefällen empfohlen,5,14-17 z.B. wegen der selteneren Injektionen bei sehr schmerzempfindlichen Patienten. Niedermolekulares Heparin wird zwei Stunden vor der Operation und anschließend alle 24 Stunden injiziert.

Möglich ist auch ein Beginn 12 Stunden vor dem Eingriff und dann die tägliche Anwendung am Abend.18 Eine Aufteilung in zwei Einzeldosierungen pro Tag bei postoperativem Start bietet keine Vorteile.19

Für Patienten mit hohem Risiko perioperativer Thromboembolien sind niedermolekulare Heparine Mittel der Wahl.

Nach Hüftgelenksoperationen senken sie das Risiko um 50% bis 70%.5 Hinreichende direkte Vergleichsstudien mit niedrig dosierten oralen Antikoagulantien (INR-Werte 2-3**) und Dosis-adjustierter Anwendung (aPTT auf 1,5fach) von Standardheparin fehlen. Die älteren Verfahren mindern Thromboembolien ähnlich um 50% bis 60% bzw. ca. 80%. Auch die Verträglichkeit stimmt überein.5,14-17 Sie erfordern jedoch häufige Laborkontrollen und haben sich hierzulande bei der Indikation nicht durchgesetzt. Dagegen wirkt niedrig dosiertes Standardheparin unzureichend. Eine tiefe Venenthrombose bzw. eine Lungenembolie werden verhindert, wenn 30 bzw. 70 Patienten statt Low-dose-Heparin ein niedermolekulares erhalten. Ob tödliche Lungenembolien zurückgehen oder die Sterblichkeit sinkt, bleibt zu klären.10-12 Blutungen sind unter Low-dose-Heparin seltener (10% bis 20%).

**

International Normalized Ratio von 2-3 entspricht etwa einem Quick von 25% bis 35% (a-t 7 [1993], 68).

Bei elektiven offenen Kniegelenksoperationen versagt Low-dose-Heparin. Niedermolekulare Produkte senken die Thrombosegefahr um 50%, niedrig dosierte orale Antikoagulantien um 25%. Auch im direkten Vergleich wirken die niedermolekularen Heparine besser als orale Antikoagulantien20,21: Pro sieben Behandlungen gibt es eine tiefe Venenthrombose weniger, pro 28 eine proximale. Ob tödliche Lungenembolien abnehmen, ist bisher nicht bewiesen. Blutungen sind jedoch häufiger. 25%-30% der Patienten erleiden nach Kniegelenksoperationen trotz niedermolekularer Heparine eine Phlebothrombose, jede vierte dehnt sich proximal aus.

Für große Bauch- und Beckenoperationen wegen eines Tumors oder größere allgemein-chirurgische Eingriffe bei gefährdeten Patienten z.B. mit Thromboembolie in der Vorgeschichte liegen deutlich weniger systematische Untersuchungen zur günstigsten Thromboembolie- Prophylaxe vor. Meist wird in Analogie zu Hüftgelenksoperationen niedermolekulares Heparin empfohlen.5,14-17

Nicht alle niedermolekularen Heparine sind zur Prophylaxe bei Eingriffen mit hohem Thromboembolierisiko zugelassen. Die meisten müssen höher dosiert werden als bei mittlerem Risiko. Alle zugelassenen scheinen vergleichbar wirksam zu sein, wenn auch nur wenige direkte Vergleiche vorliegen. Sie werden 12 Stunden vor der Operation und dann einmal pro Tag injiziert, alternativ zwei Stunden vor dem Eingriff und dann für drei Tage in reduzierter Dosis (Tabelle 1). Postoperativer Beginn mit Zweiteilung der Tagesdosis scheint mindestens gleichwertig zu sein. Ausreichende Vergleiche mit präoperativem Beginn liegen aber nicht vor.19

Über die optimale Dauer der perioperativen Prophylaxe herrscht Unklarheit. Bei mittlerem Thromboembolierisiko wird in Studien meist bis zu sieben Tage heparinisiert. Kontrollierte Vergleiche mit kürzerer Dauer fehlen. Unter Berücksichtigung des HIT-II-Risikos sollten diese Patienten nur bis zur Mobilisierung mit Bewegung an mehr als sechs Stunden pro Tag, möglichst aber nicht länger als fünf Tage Heparin erhalten. Nach Eingriffen mit hohem Risiko dauert die medikamentöse Prophylaxe in Studien meist sieben bis zehn Tage. Entsprechend lauten die Empfehlungen.5,17 Wird die Vorbeugung mit niedermolekularem Heparin poststationär um drei Wochen verlängert, sinkt die Thromboserate nach Hüftgelenksoperationen in zwei Studien um etwa 50% (1-2 pro 10 Behandlungen).22,23 Proximale Phlebothrombosen nehmen jedoch nur in einer Studie ab. Lungenembolien und Sterblichkeit bleiben in beiden unbeeinflusst. Fraglich bleibt die Bedeutung der nach Entlassung auftretenden, meist auf den Unterschenkel begrenzten Venenthrombosen, zumal sie meist ohne Symptome verlaufen. Nach einer neueren Untersuchung liegt die Rate symptomatischer proximaler Venenthrombosen und Lungenembolien in den ersten drei Monaten poststationär nach Knie- und Hüftgelenksoperationen bei 1%.24

Für minimalinvasive chirurgische Eingriffe, z. B. laparoskopische Gallen- oder Hernien-Operationen, ist die Thromboembolie-Prophylaxe noch nicht ausreichend untersucht. Empfohlen wird derzeit ein Vorgehen wie bei entsprechenden offenen Eingriffen. Für niedermolekulare Heparine gibt es keine besonderen Indikationen.

Unter epiduralen oder spinalen Anästhesieverfahren ist seltener mit Thrombosen zu rechnen als unter Allgemeinnarkose. Dennoch besteht bei Hüft- und Kniegelenksoperationen ein relevantes Risiko. Orale Antikoagulantien und hochdosiertes Standardheparin sind wegen der Gefahr epiduraler oder spinaler Hämatome kontraindiziert. Bei normgewichtigen Patienten ohne Gerinnungs- oder Leberfunktionsstörungen gilt Low-dose-Heparin als ausreichend sicher und Verfahren der Wahl.25-27 Gegen niedermolekulare Heparine sprechen die geringen Erfahrungen, die längere Wirkdauer und schlechtere Antagonisierbarkeit.26 Zunehmend wird die Anwendung jedoch als vertretbar bewertet,25,27-29 wenn die für Low-dose-Heparin geltenden Kontraindikationen beachtet werden und engmaschige neurologische Kontrollen erfolgen. Die meisten Erfahrungen liegen mit Enoxaparin (CLEXANE) und Certoparin (MONO EMBOLEX NM) vor. Für Tinzaparin (INNOHEP) und Reviparin (CLIVARIN) werden diese Anästhesieverfahren wie auch die Lumbalpunktion als Kontraindikation angegeben.

In der Schwangerschaft ist Standardheparin auch perioperativ Mittel der Wahl. Es passiert die Plazenta nicht und birgt nach bisherigen Erfahrungen kein teratogenes Risiko und keine Blutungsgefahr für den Feten. Auch niedermolekulare Heparine sind nicht plazentagängig und scheinen sicher zu sein (a-t 8 [1996], 80).2 Schwangerschaft wird nur noch bei Certoparin als relative Kontraindikation aufgeführt; die übrigen Gebrauchsinformationen machen nur auf die noch begrenzten Erfahrungen aufmerksam.

Bei Kindern ist eine Thromboembolie-Prophylaxe selten angezeigt. Wegen beschleunigter Metabolisierung lassen sich Standardheparine oft schlecht dosieren. Niedermolekulare Zubereitungen sind bei Kindern nur unzureichend untersucht und gelten als kontraindiziert.2

NACH TRAUMA: Nach Rückenmarkstrauma mit Paraplegie besteht anfangs ein hohes Risiko tiefer Venenthrombosen (ca. 40%) und Lungenembolien (ca. 5%). Standardheparin in niedriger Dosis wirkt unzureichend, unter adjustierter Dosierung werden inakzeptable Blutungen beschrieben.5 Nach kleinen Studien scheint Tinzaparin (0,3 ml pro Tag) wirksam und ausreichend sicher zu sein.30 Es wird mit Vorbehalt empfohlen. Offen bleibt dabei die notwendige Dauer der Prophylaxe (Monate?).5

Patienten mit Polytrauma tragen ein besonders hohes Thromboserisiko (bis 70%), wenn Becken- oder Oberschenkelbruch vorliegen. Auch bei Schädel-, Thorax- oder Bauchtraumen ist die Gefahr groß (bis 50%).31 Eine Prophylaxe ist immer zu erwägen.5 Low-dose-Heparin wirkt weniger gut. Im Direktvergleich mindern täglich 2 x 0,3 ml Enoxaparin tiefe Venenthrombosen zuverlässiger (44% vs. 31%). Nach Becken- oder Beinbrüchen sind besonders auch proximale Thrombosen seltener (18% vs. 5%).32 Bei solchen Frakturen und akuten Paraplegien scheint die Anwendung sinnvoll. Hirnblutungen müssen ausgeschlossen sein.5,14-16

GIPSIMMOBILISATION UND KNIEGELENKSARTHROSKOPIE: Unter forensischen Gesichtspunkten wird oft auf eine Prophylaxe bei Gipsimmobilisation der Beine nach Frakturen, Bänderdehnungen oder -rupturen gedrängt. Nur zwei vielfach publizierte Kontrollstudien liegen vor. Mehrwöchige Anwendung von Nadroparin (0,3 ml) bzw. Certoparin (0,3 ml) senkt die Rate tiefer Venenthrombosen gegenüber Nichtbehandlung von 17% auf 6% bzw. von 4% auf 0%.33,34 Die klinische Bedeutung dieser vorwiegend distal (90% bzw. 60%) und ohne Beschwerden (> 70%) auftretenden Phlebothrombosen ist jedoch völlig unklar. Proximale Thrombosen oder Lungenembolien werden nicht vermindert. Eine verhinderte Unterschenkelthrombose pro 10 bzw. 25 Behandlungen kann die Anwendung angesichts der Risiken (Blutungen, HIT II) nicht begründen. Im Schadensfall besteht bei Verwendung von niedermolekularem Heparin kein sicherer Schutz vor Haftungsanspruch, da diese zur Prophylaxe bei Gipsimmobilisation nicht zugelassen sind. Auch international werden sie nicht empfohlen.5,14,15

Mit 1% bis 2% wird die Häufigkeit der überwiegend distalen Venenthrombosen nach Kniegelenksarthroskopien angegeben.35,36 Unter Enoxaparin kommt es bei 1% zu Thromboembolien.37,38 Kontrollierte Studien liegen auch für andere niedermolekulare Heparine nicht vor. Der derzeitige Kenntnisstand rechtfertigt die Anwendung nicht.

INNERE ERKRANKUNGEN: Nach akutem ischämischem Hirninsult mit Plegie haben bettlägerige Patienten ein Thromboserisiko von ca. 40%. In wenigen kleinen Studien mindern Low-dose- und niedermolekulares Heparin die Rate um 40% bis 60%. Ein Vorteil der niedermolekularen Heparine gilt als nicht belegt.5 Wegen Einblutungsgefahr soll die Prophylaxe bei größeren Insulten nicht in den ersten 48 Stunden beginnen.

Nach akutem Myokardinfarkt entwickeln etwa 25% der Patienten eine tiefe Venenthrombose. Low-dose-Heparin senkt das Risiko um ca. 70%. Zur Thromboembolie-Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen liegen keine kontrollierten Studien vor. Nach neueren Studien könnten sie aber in der Therapie der instabilen Angina und des ischämischen Hirninsultes von Nutzen sein.

Für andere innere Erkrankungen ist der Nutzen einer Thromboembolie-Prophylaxe bisher schlecht untersucht.5 In zwei neuen Studien mit 12.000 und 2.500 bettlägerigen Patienten und akuten Infektionen, Herz-, Lungen-, Krebs- und septischen Erkrankungen bleiben Sterblichkeit und Lungenembolierate unter Low-dose-Heparin bzw. Nadroparin (0,3 ml) im Plazebo-Vergleich unverändert.39,40 Unter Low-dose-Heparin treten tödliche Lungenembolien (0,3%) nicht seltener, aber etwa zwei Wochen später auf. Pro 125 Behandlungen lässt sich eine tiefe Venenthrombose verhindern.39 Im Direktvergleich beugt Enoxaparin (0,2 ml) Thromboembolien bei akuten inneren Erkrankungen nicht besser vor als Low-dose- Heparin.41,42

Entgegen häufiger Empfehlungen und Praxis ist somit der Nutzen einer generellen Thromboembolie-Prophylaxe bei schweren inneren Erkrankungen unzureichend belegt. Individuelle Risikofaktoren für Thromboembolien sind gegen Gefahren durch die Prophylaxe (Blutungen, HIT II) abzuwägen. Kein niedermolekulares Heparin ist für die Indikation zugelassen.

Therapie tiefer Venenthrombosen

Patienten mit Knie-, Oberschenkel- oder Beckenvenenthrombose erhalten mindestens fünf Tage lang Standardheparin in aPPT-adjustierter Dosierung. Wichtig ist es, die Dosis innerhalb von 24 Stunden anzupassen. Heparin wird so lange infundiert, bis unter der überlappend einsetzenden oralen Antikoagulation INR-Werte von 2 bis 3 über mindestens zwei Tage erreicht sind.14,15

Nach Metaanalysen kontrollierter Studien bringt die Behandlung mit niedermolekularen Heparinen günstigere phlebographische Befunde, bei Dosisanpassung an das Körpergewicht auch weniger Embolien und Todesfälle als die Therapie mit Standardheparin. Klinisch relevante Blutungen kommen gleich häufig vor.43-45 In neueren großen Vergleichsstudien verhindern Enoxaparin (2 x 1 mg/kg Körpergewicht [KG]), Nadroparin (2 x 0,4-0,8 ml/Tag KG- adaptiert) und Reviparin (2 x 0,5-0,9 ml KG-adaptiert) Thrombose-Rezidive, Lungenembolien und Todesfälle jedoch nicht wirksamer als hochdosiertes Standardheparin, bei ähnlich häufigen Blutungen.46-48 Der stationäre Aufenthalt lässt sich aber unter Therapie mit niedermolekularem Heparin um 5,5 Tage verkürzen, wenn Patienten mit Verdacht auf Lungenembolie, Thromboembolie-Rezidiv oder schwerwiegenden Begleiterkrankungen ausgeschlossen werden (a-t 4 [1996], 35). Jeder zweite bzw. vierte Patient kann ambulant behandelt werden.46,47 Bei weniger strenger Auswahl, z.B. wenn auch hämodynamisch stabile Personen mit Lungenembolie eingeschlossen werden, verkürzt sich die Krankenhauszeit nur um drei Tage.48 Bei symptomatischen, jedoch nicht kreislaufwirksamen Lungenembolien wirkt Tinzaparin (0,015 ml/kg KG) ebenso gut wie Standardheparin.49

Niedermolekulare Heparine dürften sich in der Akuttherapie von proximalen Thrombosen und symptomatischen Lungenembolien durchsetzen, wenn Operation oder Thrombolyse nicht angezeigt sind. Welche Patienten ganz oder überwiegend ambulant behandelt werden können, bedarf weiterer Studien. Ob die Behandlungskosten in jedem Fall sinken oder sich gar halbieren,47 erscheint noch unbewiesen.1,50 Die einfachere Therapie könnte auch eine Indikationsausweitung nach sich ziehen, befürchtet wird etwa die unkritische Anwendung bei nicht gesicherter Diagnose.

Zugelassen für die Therapie tiefer Venenthrombosen sind seit kurzem Tinzaparin und Nadroparin (Tabelle 1). Die Indikation umfasst nicht ausdrücklich Lungenembolien, sie gelten aber nicht als Kontraindikation. Wegen der noch offenen Fragen der Patientenauswahl, Behandlungsdauer und Dosierung rät die Arbeitsgruppe der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung zur Zurückhaltung.51

FAZIT: Seit über zehn Jahren stehen neben unfraktioniertem Standardheparin (LIQUEMIN N u.a.) niedermolekulare Heparine wie Dalteparin (FRAGMIN) zur Verfügung. Für die perioperative Prophylaxe mit hohem Thromboembolierisiko sind niedermolekulare Heparine heute Mittel der Wahl. Bei mittlerem Risiko lassen sie sich aber derzeit wegen der höheren Kosten nicht generell empfehlen. Bei niedrigem Risiko, Gipsimmobilisation oder Arthroskopie erscheinen sie ebensowenig angezeigt wie Standardheparin. Nach Rückenmarks- oder Polytrauma mit Lähmung der Beine ist die Anwendung sinnvoll. In der Therapie tiefer Venenthrombosen könnten sie sich als wirksame und insgesamt kostengünstige Alternative zu hoch dosiertem Standardheparin erweisen.

ERRATA: Die in unserer Übersicht zur Auswahl von Heparinen (a-t 12 [1997], 122) im Absatz Kniegelenksarthroskopien genannte Häufigkeit von 1% Thromboembolien wurde für Nadroparin37,38 (FRAXIPARIN) festgestellt und nicht für Enoxaparin (CLEXANE). Die Aussage "beugt Thromboembolien bei akuten inneren Erkrankungen nicht besser vor als Low-dose-Heparin" gilt sowohl für Enoxaparin41 als auch für Nadroparin 42. Wir danken Sanofi Winthrop für die Hinweise, -Red.


© 1997 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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