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KOPFLAUSBEFALL RICHTIG BEHANDELN

Durchschnittlich fünfmal jährlich kommen in Hamburger Kindergärten Kopfläuse vor – so eine Umfrage der Verbraucherzentrale.1 Ähnlich dürfte es in anderen Großstädten sein, während die Verbreitung in ländlichen Gebieten offenbar zurückgeht.2

Kopfläuse befallen vor allem Vor- und Grundschulkinder.3 Die Ektoparasiten werden in erster Linie von Kopf zu Kopf weitergegeben, indirekt auch durch Mützen, Schals, Kämme oder Bettwäsche.4 Der Läusestich reizt die Haut. Kratzwunden können bakteriell infiziert werden.4,5

BESONDERHEITEN DER KOPFLAUS: Die 2,5 bis 3 mm große grau-weiße bis braune Laus (Pediculus humanus capitis) lebt fast ausschließlich auf der Kopfhaut. Sie ernährt sich von menschlichem Blut. Das Weibchen klebt die Eier ("Nissen") dicht am Kopfboden fest an das Haar. Nach 8 bis 12 Tagen schlüpfen Larven, die nach weiteren acht Tagen geschlechtsreif sind.4,5 Kopfläuse bevorzugen Temperaturen um 28° Celsius.4 Gegen Hitze sind sie empfindlich: Oberhalb von 51° C sterben Eier und ausgewachsene Parasiten innerhalb von 5 Minuten. Ohne Wirt überleben die Läuse zwei, die Eier bis zu zehn Tage.6

BEHANDLUNG: Auch Familienangehörige und enge Kontaktpersonen sind auf Befall zu untersuchen und gegebenenfalls mitzubehandeln. Finden sich sieben bis neun Tage nach der Therapie mit der Lupe Läuse oder Larven, ist die Anwendung zu wiederholen. Kleidung und Bettwäsche werden bei 60 Grad gewaschen, Kamm und Bürsten zehn Minuten lang in 60 Grad heißes Wasser gelegt. Hitzeempfindliche Textilien mindestens zwei Wochen lang möglichst warm in einem Plastiksack verschlossen aufbewahren, um die Läuse auszuhungern.

Kopfläuse und Nissen verschwinden prompt, wenn die Haare so kurz wie möglich abgeschnitten werden. Dieser Methode fehlt allerdings breite Akzeptanz.

Die gebräuchlichen Insektizide beseitigen die Parasiten bei vorschriftsmäßiger Anwendung.

Seit 150 Jahren hat in Europa Pyrethrum, ein Auszug aus Chrysanthemenblüten, als "Insektenpulver" Tradition. Die natürlichen Pyrethrin- Verbindungen des Extrakts (in GOLDGEIST FORTE*, QUELLADA P) und die stabileren synthetischen Kurzzeit- (z.B. Allethrin I = Bioallethrin RS [in JACUTIN N]) oder Langzeit- (z.B. Permethrin [DELIXI liquidum]) Pyrethroide verlängern den Natrium-Einwärtsstrom an erregten Nervenmembranen. Insekten sind innerhalb von Minuten gelähmt. Der selbst nicht insektizide "Synergist" Piperonylbutoxid soll Pyrethrumextrakt- und Allethrin-I-Zubereitungen stabilisieren und deren Giftigkeit erhöhen.8

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Das Altarzneimittel GOLDGEIST FORTE enthält das technisch als Frostschutzmittel verwendete Diethylenglykol (40%). Diethylenglykol trocknet in Verbindung mit dem Hilfsstoff Isopropanol und Wasser die Läuseeier aus.7 Örtlich angewendetes Chlorokresol, das als Antiseptikum beigemischt ist, kann Überempfindlichkeitsreaktionen hervorrufen.10 Allergische Kontaktdermatitis wird in der Pakkungsbeilage als "leichte Rötung der Haut" umschrieben.

In vitro töten Pyrethrumextrakt-Piperonylbutoxid-Präparate Kopfläuse innerhalb von 10 bis 23 Minuten. Bis zu ein Drittel der Eier schlüpfen noch nach der "Behandlung" (a-t 8 [1986], 74).9 Nach Auftragen bzw. Aufsprühen auf Kopfhaut und Haar sollen die Mittel 10 (QUELLADA-P Shampoo) bis 30 Minuten (DELIXI liquidum; GOLDGEIST FORTE Lösung, JACUTIN N Spray) einwirken und werden dann gründlich ausgespült.

Nach Kopfwäsche ins feuchte Haar eingeriebenes 0,3%iges Lindan-Gel (JACUTIN) soll drei Tage lang auf dem Kopf bleiben. Für das 1%ige Shampoo (DELITEX Haarwäsche N, QUELLADA H) empfehlen die Hersteller eine Einwirkzeit von lediglich vier Minuten. In vitro benötigt 1%iges Shampoo fast drei Stunden um Kopfläuse abzutöten, mit mäßiger Wirksamkeit gegen Eier (70%). Als Ausdruck der verzögerten Wirkung berichten Anwender über stundenlanges, unangenehmes "Tanzen" der Läuse auf der Kopfhaut.9

Das in Deutschland weniger gebräuchliche Organophosphat Malathion (ORGANODERM) wirkt als Cholinesterase-Hemmer. In vitro tötet eine 0,5%ige Lösung Kopfläuse innerhalb von fünf Minuten und schädigt 95% der Eier.9 Nach Benetzen von Haar und Kopfhaut soll Malathion zwölf Stunden (am besten über Nacht) einwirken. Wegen des brennbaren Lösungsmittels und Wirkstoffzerfall bei höheren Temperaturen darf kein Fön benutzt werden. Malathion soll durch Bindung an das Haar nach einmaligem Anwenden bis zu drei Wochen vor erneutem Befall schützen – ein Vorteil in großen Gemeinschaftsunterkünften.7 Die klinischen Erfahrungen mit Malathion sind im Vergleich zu Lindan eher gering.20 Das Mittel ist zur Anwendung beim Kind zugelassen, nicht jedoch beim Säugling.

Hausmittel wie Essig und Nissenkamm unterstützen die Läusebehandlung (Nachbehandlung). Verdünnte Essiglösung tötet die Hautparasiten nicht, soll aber das Auskämmen der Eier erleichtern.

Die Empfindlichkeit der Läuse gegen Hitze bietet Ansatz für eine "giftfreie" Behandlung: Nach einer Untersuchung am (ehemaligen) Bundesgesundheitsamt mit Fönhauben genügen Temperaturen von 45 Grad bis 46 Grad Celsius an der Kopfhaut über eine Stunde, um die Ektoparasiten zuverlässig abzutöten.7 Eine Duschhaube soll das Fliehen der Läuse verhindern.1 800-Watt-Geräte wie KRUPS QUICK AIR 800 sollen die erforderlichen Temperaturen erzeugen können. Für den Zweck erprobte Fönhauben sind uns nicht bekannt. Die "therapeutische Breite" der Methode ist gering. Nur wenig höhere als die benötigten Temperaturen werden nicht vertragen.

Die Hitze in einer Sauna dürften Restpopulationen überleben, die die Kopfhaut verlassen und in kühlere Regionen mit stärkerer Schweißabsonderung flüchten. Systematische Untersuchungen stehen aus.7

Vollständig von Ölen, wie Rapsöl, umhüllte Läuse ersticken. Die Methode wirkt, wenn das Öl zwei bis drei Tage auf dem Kopf belassen wird.7 Dies erscheint kaum praktikabel.

Schwefel-haltige Zubereitungen wirken allenfalls schwach antiparasitär.22 Auch nach äußerlichem Auftragen in öligen Lösungen oder als Salbe kann es bei Kindern zu Schwefelwasserstoff-Vergiftungen kommen.23

Hinreichende Daten zu Wirksamkeit von Neem-Öl gegen Kopfläuse und Verträglichkeit beim Menschen fehlen. In Indien starben Kinder nach Vergiftung an Hepatoenzephalopathie.25

RISIKEN DER LÄUSEMITTEL: Pyrethrine und Pyrethroide verursachen Parästhesien am Ort der Anwendung. Kontakt-Dermatitis auf Pyrethrum-Extrakt kann vorkommen. Am Auge rufen die Mittel Konjunktivitis, Tränenfluß, Lichtscheu, Schmerzen und Lidödem hervor. Inhalierte Pyrethrin- oder Pyrethroid-Verbindungen bewirken Rhinitis und rauhen Hals (Tracheitis). Nach monatelanger häufiger Anwendung eines Insektensprays mit Pyrethrumextrakt erleidet eine 24jährige Frau eine Hypersensitivitätspneumonie.8 Vorsicht ist bei Asthmatikern gebo-ten.11 Aufnahme per os betäubt Lippen und Zunge und beeinträchtigt das Geschmacksempfinden.8

Pyrethrine gelten als wenig akut toxisch bei wahrscheinlich geringer Absorption über die Haut.12,13 Vermutlich werden die Mittel am stärksten über die Lunge in den Körper aufgenommen. Die norwegische Arzneimittelbehörde lehnte 1987 die Zulassung eines Bioallethrin-Piperonylbutoxid- Sprays wegen der unkontrollierten Vernebelung des Insektizids ab.14 Je nach resorbierter Menge können sich systemische Vergiftungen entwickeln mit Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Schwindel bis hin zu Krämpfen und Koma.

Strittig sind Langzeitfolgen. Ein Teil der lipophilen Substanzen könnte z.B. im Gehirn angereichert werden und bleibende Nervenschäden hervorrufen.13 Dies gilt besonders für die synthetischen Langzeit-Pyrethroide wie Permethrin, die auch als Holz-, Pflanzen- und Textilschutzmittel verwendet werden,15 und deren Anwendung professionellen Schädlingsbekämpfern vorbehalten bleiben soll.7

NETZWERK-Erfahrungen: Ein praktischer Arzt berichtet über eine 28jährige Frau und ihre vierjährige Tochter. Beiden fallen zwei Wochen nach Anwendung von GOLDGEIST FORTE unter Jucken, Brennen und Schuppen der Haut die Kopfhaare aus (NETZWERK-Berichte 4956, 4957). Ein vierjähriges Mädchen, dem bei der Einreibung zwei Tropfen in den Mund geraten, leidet etwa zehn Stunden lang unter Schmerzen und Schwäche der Arm- und Beinmuskeln. Das rechte Bein ist vorübergehend gelähmt (7841). Weitere Berichte betreffen nicht vollständig reversible Fazialisparese (6563), Sehnerventzündung (7423), Polyneuropathie mit Parästhesien an Händen und Zunge sowie eingeschränkter Feinmotorik der Hände (6186), Übelkeit, Kopfschmerzen und Atemnot (7640) sowie starken Reizhusten, Fieber und grippeartige Beschwerden (7641) in Verbindung mit GOLDGEIST FORTE. Unmittelbar nach Aufbringen von Allethrin I plus Piperonylbutoxid (JACUTIN N Spray) auf die Haare setzen bei einem 12jährigen Somnolenz, Schwindel, Blässe, zentrale Zyanose und Tremor ein (6685). Ein 9jähriges Mädchen steht in Flammen, als es beim Einsprühen des Kopfes mit JACUTIN N Spray im Badezimmer, in dem sich auch ein Gasdurchlauferhitzer befindet, zur Verpuffung kommt. Das Kind muß mit Verbrennungen am Oberkörper, an Stirn und Ohren sowie der linken Hand stationär behandelt werden (8056).

Lindan wirkt akut und chronisch toxischer als Pyrethrum. Es reizt Augen und Schleimhäute. Nach systemischer Aufnahme ruft Lindan zentralnervöse Störwirkungen wie Kopfschmerzen, Übererregtheit, Tremor und Bewußtlosigkeit hervor sowie Leber- und Nierenschäden. Mehrfach sind aplastische Anämien beschrieben,12 bei Kindern auch nach lokaler Anwendung Krampfanfälle.16 Die Aufbereitungskommission empfiehlt Lindan gegen Läuse nur für Erwachsene.18 Das Insektizid gilt als Tumorpromotor.17 Die US- amerikanische Verbraucherorganisation Public Citizen fordert von der FDA ein Verbot für Lindan-haltige Läuse- und Krätzemittel wegen der ausgeprägten Neurotoxizität des Insektizids. Von 162 Störwirkungsberichten zu Lindan in 22 Jahren betreffen 50 Krampfanfälle. Sechs Anwender, darunter zwei Kinder, starben.19

NETZWERK-Erfahrungen: Ein Allgemeinarzt aus dem Frankfurter Raum berichtet über eine Dreijährige mit motorischer Unruhe, Desorientiertheit, Kopfschmerzen und Erbrechen nach etwa dreistündiger Einwirkung von Lindan (JACUTIN)-Gel (4339). Eine 86jährige verstirbt nach dreitägigen Ganzkörpereinreibungen gegen Krätze an den Folgen von Schäden an ZNS, Herz und Blut (6292). Eine 49jährige leidet noch Monate nach Absetzen unter "schwerer Neurotoxikose" (6292).

Malathion kann Haut und Augen reizen. Säugetiere bauen das Organophosphat im Gegensatz zu Insekten rasch ab.21 In Schlachttieren sollen jedoch noch nach Wochen in einigen Organen Rückstände gefunden worden sein.7 Unvorsichtige Anwendung des Cholinesterase-Hemmers z.B. als Spray kann Vergiftungen mit Speichelfluß, Krämpfen, Lähmungen und Bewußtlosigkeit hervorrufen.12

FAZIT: Es mangelt an klinischen Prüfungen zur Kopflaustherapie: In medizinischen Datenbanken finden sich für einen Zeitraum bis zu 30 Jahren lediglich 28 Studien, darunter nur 14 von akzeptabler methodischer Qualität.27 Wer Kopfläuse ohne Chemie loswerden will, kann den radikalen Kurzhaarschnitt probieren oder einen Versuch der "Hitzebehandlung" mit einer 800-Watt-Fönhaube machen. Unter den angebotenen Insektiziden erscheint uns die kurzzeitige Anwendung von Pyrethrum-Extrakt plus Piperonylbutoxid (GOLDGEIST FORTE, QUELLADA P) auch bei Kindern vertretbar. Der Zusatz des bakteriziden Antiseptikums Chlorokresol in GOLDGEIST FORTE erhöht das Risiko einer Kontaktdermatitis. Bei Unverträglichkeit kommt als Mittel der Reserve das im deutschsprachigen Raum weniger gebräuchliche Organophosphat Malathion (ORGANODERM) in Betracht. Von Spray-Zubereitungen (JACUTIN N) und dem Langzeit-Pyrethroid Permethrin (DELIXI liquidum) raten wir ab. Kinder sollen nicht mit Lindan (JACUTIN) behandelt werden.


© 1995 arznei-telegramm

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