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Warnhinweis

IM NETZWERK ENTDECKT – HÄMOLYTISCHE ANÄMIE
DURCH CHOLESTERINSYNTHESEHEMMER

Ein 60jähriger Psychologe aus Hamburg, der seit seiner Studentenzeit regelmäßig Blut spendet und dessen Blutbild kontinuierlich überwacht wird, begibt sich wegen Übergewicht und erhöhter Blutfettwerte in ärztliche Behandlung. Nach siebenmonatiger Einnahme von täglich 20 mg Lovastatin (MEVINACOR) bemerkt er nachlassende Leistungsfähigkeit. Mit Sklerenikterus und Milzvergrößerung wird er unter Diagnose einer ausgeprägten autoimmunen hämolytischen Anämie vom Wärmetyp mit erheblichem Erythrozytenabbau in der Milz in eine Klinik eingewiesen. Blutsenkungsgeschwindigkeit, Bilirubin, Laktatdehydrogenase und Retikulozyten sind deutlich erhöht. Absetzen von Lovastatin und Behandlung mit Prednison (DECORTIN u.a.) und Azathioprin (IMUREK u.a.) bessern die schwere Akutsymptomatik, nicht jedoch die weiterhin erhöhte lienale Hämolyse und die verkürzte Erythrozytenlebensdauer. Erst die Milzentfernung normalisiert die Blutwerte.

Die Ursächlichkeit des Lipidsenkers für die schwere Hämolyse und deren Folgen steht für die behandelnden Hämatologen außer Zweifel. Als Freiberufler verliert der Betroffene wegen monatelanger Arbeitsunfähigkeit "den Anschluß". Einen Schadensersatzanspruch lehnt die Firma MSD ab. Nach unseren Recherchen blieben bis 1990 und später MEVINACOR-Chargen ohne Hinweis auf die Möglichkeit einer hämolytischen Anämie im Handel. Das damalige Bundesgesundheitsamt soll zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von vier gleichartigen Meldungen gehabt haben (NETZWERK-Bericht 7161).

Hinsichtlich der Vertretbarkeit solcher "Nebenwirkungen" bestehen Bedenken, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein Laborwert außerhalb der Norm als Zielparameter dient und der Versuch der Primärprävention mit dem Verlust der Milz und dadurch Schwächung der Immunität und erhöhtem Risiko, an Bagatellinfekten bis Sepsis zu erkranken, sowie Frühinvalidität erkauft wird (at 5 [1988], 41). Hämolytische Anämien sind ebenfalls unter Fluvastatin (CRANOC u.a.) und Pravastatin (PRAVASIN u.a.) beschrieben. Die Anämie kann auch durch verminderte Anzahl von Sauerstoffträgern im Blut auffallen: Eine 57jährige wird nach dreiwöchiger Einnahme von Lovastatin mit Brustschmerzen in ein Krankenhaus aufgenommen. EKG- Veränderungen weisen auf eine akute Ischämie hin. Eine hämolytische Anämie wird festgestellt, die sich nach Absetzen von Lovastatin zurückbildet. Da die Cholesterinspiegel erneut steigen und sich mit Diät und Colestyramin (QUANTALAN u.a.) nicht senken lassen, starten die behandelnden Ärzte vier Monate später einen Therapieversuch mit der Molekülvariante Simvastatin (DENAN, ZOCOR), die sich in einer Seitenkette durch eine Methylgruppe vom Lovastatin unterscheidet und die die Patientin in den folgenden neun Monaten gut verträgt (ROBBINS, M. J. et al.: Am. J. Med. 99 [1995], 328/ati d).

Eine Reihe immunallergischer Reaktionen werden im Zusammenhang mit "Statinen" beobachtet. Dazu gehören Alopezie, Anaphylaxie, Angioödem, Alveolitis, Arthralgie, Arthritis, Asthenie, Atemnot, BSG-Erhöhung, Eosinophilie, erektile Dysfunktion, Erythema multiforme, Fibrositis, Fieber, hämolytische Anämie, Kolitis, Leukopenie, Lungenfibrose, Lupus-ähnliches Syndrom, periphere Neuropathie, Photosensitivität, Polymyalgia rheumatica, positive antinukleäre Antikörper, Purpura, STEVENS-JOHNSON-Syndrom, Thrombopenie, toxische epidermale Nekrolyse, Urtikaria und Vaskulitis. Verschiedene Organe können gleichzeitig betroffen sein. Wir bitten unsere Leser um erhöhte Aufmerksamkeit und in Verdachtsfällen um Kontaktaufnahme mit dem NETZWERK, –Red.


© 1995 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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