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RANITIDIN (SOSTRIL, ZANTIC U.A.) NICHT GLEICH RANITIDIN?

Als "vielversprechend" stellten wir vor fast 20 Jahren den ersten vermarktungsfähigen H2-Antagonisten Cimetidin (TAGAMET u.a.) vor. Dem Säuresekretionshemmer räumten wir Chancen ein, eine "neue Ära" der Ulkusbehandlung einleiten zu können. Überdies sei er bemerkenswert nebenwirkungsarm (a-t 12 [1976], 94). H2-Rezeptorenblocker haben tatsächlich einen Durchbruch für die Behandlung des Ulcus pepticum gebracht. Die Zahl der chirurgisch zu versorgenden Patienten nahm nach ihrer Einführung deutlich ab.

Fünf Jahre nach Cimetidin kam die von Glaxo entwickelte Molekülvariante Ranitidin (SOSTRIL/ZANTIC) auf den Markt. Sie hat den Vorteil, mikrosomale Funktionen der Leber – das P450-System – weniger zu hemmen als Cimetidin, so daß Wechselwirkungen bei Mehrfachmedikation weniger zu beachten sind (a-t 10 [1982], 88). Beide Wirkstoffe eignen sich für die Initialtherapie der Ulkusbehandlung. Wegen des geringeren Interaktionsrisikos1 sollte bei Mehrfachmedikation Ranitidin vorgezogen werden.

Ranitidin entwickelte sich in den vergangenen Jahren mit jährlichen Umsätzen von weltweit zwei Milliarden Dollar "zum meistverkauften Medikament der Welt" (1988 lag der Glaxo-Gewinn bei 832 Millionen Pfund Sterling).2 Nun scheint die Finanzkraft von Ranitidin, die Glaxo die Übernahme von Wellcome erlaubt hat, an Grenzen zu stoßen: Der nachstoßende Wettbewerb glaubt, die Ranitidin-Patente fünf Jahre vor ihrem eigentlichen Ablauf im Jahr 2001 invalidisieren zu können.

Noch beherrschen die 1982 eingeführten Ranitidin-Präparate SOSTRIL und ZANTIC den Markt der H2-Antagonisten mit einem Anteil von etwa 50% und einem Apothekenumsatz in Deutschland von einer halben Milliarde DM. Die Erstanbieter versuchen, ihre Position nach Ablauf des Ranitidin-Basispatentes (Form 1) am 28. Juni dieses Jahres zu halten. Dem Vernehmen nach stellt Glaxo das Originalpräparat meinungsbildenden Kliniken kostenlos zur Verfügung. Als klinisch ausgewiesene Zubereitungen gelten angeblich nur Präparate der Form 2.

Die 1977 von Glaxo entwickelte Form 1 sei wegen "schlechter Produktions- und Haltbarkeitsqualitäten"3 nicht produziert worden. "Sie wurde deshalb natürlich auch keinem Patienten verordnet."3 Wer wolle sich schon "ein Stück Graphit statt eines Diamanten anbieten lassen".3 Die bis zum Jahre 2001 patentgeschützte Ranitidin-Form 2 sei "das optimierte"3 Ranitidin.

Die mit SOSTRIL/ZANTIC erhältliche Form 2 bietet unbestritten Vorteile: Sie nimmt weniger Feuchtigkeit auf und ist damit leichter stabil zu halten. Sie läßt sich einfacher und kostengünstiger zu Tabletten verarbeiten. Die in Nachfolge-Präparaten angebotene Form 1 neigt dazu, in Form 2 umzukristallisieren. Auch wenn dieser Prozeß erst im fertigen Produkt abläuft, kommt dies einer Patentverletzung gleich. Nach US-amerikanischer Rechtsprechung4 im Patentstreit zwischen Novopharm, einem Anbieter von Form 1, und Glaxo liegt bereits dann eine Patentverletzung vor, wenn sich Form 2 nachweisen läßt (derzeitige Nachweisgrenze ca. 0,8%). Verblisterung in Aluminiumfolie soll die Tabletten – auch beim Originalprodukt – vor Feuchtigkeit und Sonnenlicht schützen.

Ist der Wirkstoff nach der Einnahme im Körper aufgelöst, spielt es keine Rolle mehr, ob er als Form 1 oder 2 geschluckt worden ist. In Lösung sind beide identisch.5 Zudem bescheinigt Glaxo bereits in den Unterlagen für die US-amerikanische Zulassung Zubereitungen mit Form 1 und 2 gleiche Bioverfügbarkeitseigenschaften.6 Daten solcher sogenannten Brückenstudien dienen dazu, klinische Erfahrungen mit Ranitidin-Form 1 für die Zulassung der länger patentgeschützten Form 2 heranzuziehen. Die Erprobung Ranitidins erfolgte beim Menschen erstmals 1977, während das Patent für Form 2 in Großbritannien erst im Oktober 1980 beantragt wurde. Damals unterschätzte Glaxo offensichtlich das kommerzielle Potential des Patentes. In Ländern wie Finnland, Norwegen, Jugoslawien und Ungarn wurde es nicht durchgesetzt.7

Nachfolgeanbieter beziehen ihre Produkte von Firmen aus Ländern, in denen Patentschutz anders geregelt ist wie Dänemark, Kanada, Mexiko/Argentinien und Spanien. Studien zum Beleg der Bioverfügbarkeit nach hiesigem Standard liefern die Firmen gleich mit. Reinheit und Stabilität der Präparate läßt Glaxo derzeit prüfen. Finden sich – für die Therapiesicherheit wahrscheinlich bedeutungslose – "Verunreinigungen" mit Form 2, sind Patentstreitigkeiten abzusehen.

Zur Zeit steht den Originalen ein fast preishomogener Block von Folgeanbietern gegenüber (siehe Kasten), der ein Einsparpotential von rund 200 Millionen DM ermöglicht. Daß jedoch demnächst der "Diamant zum Graphitpreis"8 (Werbung für RANITIDIN VON CT) verordnet werden kann, ist nicht zu erwarten: 50 g Graphit kosten in der Apotheke rund 10 DM. 50 g Ranitidin als RANITIDIN VON CT bleiben mit 350 DM 35fach teurer.

FAZIT: Bereits vor Ablauf des Ranitidin (Form 1)-Basispatentes senkten die Erstanbieter die Preise von SOSTRIL, ZANTIC und RANIBERL auf 30% unter Festbetrag. Mit Nachfolgepräparaten lassen sich inzwischen weitere 50% einsparen (siehe Kasten).

Form 1 (Nachfolgepräparate) und Form 2 ("optimiertes ZANTIC-Ranitidin")3 unterscheiden sich lediglich in ihrer Kristallstruktur. Nach Aufnahme im Körper lassen sich beide Formen nicht mehr auseinanderhalten. Unterschiede im klinischen Nutzen sind weder plausibel noch existieren Hinweise hierfür. Die Glaxo-Werbekampagne für den "Original"-Wirkstoff des bewährten Säuresekretionshemmers zielt darauf, den Absatz von SOSTRIL/ZANTIC nach Patentablauf hoch zu halten.


© 1995 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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