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Korrespondenz

MIANSERIN (TOLVIN U.A.) IM VERGLEICH
MIT TRIZYKLISCHEN ANTIDEPRESSIVA

Erbitte neueste Literatur bezüglich Nebenwirkungen und/oder Verboten von Mianserin, da gegenwärtig Fa. Thiemann mit Pharmareferent und Gebietsleiter mit dem neuen Präparat PRISMA hausieren geht. Argument unter anderem: Dosierung sei bisher viel zu niedrig gewesen.

Dr. med. Ch. STEIDLE, Internist
W-8011 Höhenkirchen


Für Mianserin ist ein besonderes Risiko der Knochenmarkschädigung beschrieben mit Granulozytopenie, Agranulozytose und aplastischer Anämie. Nach Literaturangaben beträgt die Häufigkeit von Agranulozytosen zwischen 1 : 2.000 und 1 : 150.000 – abhängig davon, aus welchem Land die Auswertungen stammen (vgl. a-t 1 (1986), 7; 6 [1987], 54; 11 [1987]; 100). Nach neuseeländischen Daten liegt die Inzidenz bei ungefähr 1 : 2.000 und damit um das 5- bis 10fache höher als bei Chloramphenicol (PARAXIN u.a.) oder Phenylbutazon (BUTAZOLIDIN u.a.).1 Aufgrund dieses besonderen Risikos wurde Mianserin in Neuseeland aus der Verordnungsfähigkeit des nationalen Gesundheitsdienstes herausgenommen, jedoch nicht verboten.

Besonders gefährdet sind anscheinend ältere Menschen mit verlangsamter Verstoffwechselung (Halbwertszeit 2 bis 12 Tage gegen normalerweise 6 bis 40 Stunden). Das norwegische Nebenwirkungskomitee riet daher jüngst zu einer Blutspiegelkontrolle eine Woche nach Behandlungsbeginn, um Patienten mit langsamem Mianserin-Metabolismus zu erkennen.2

1988 beabsichtigte das Komitee für Arzneimittelsicherheit der englischen Gesundheitsbehörde eine besondere Warnung zum Risiko der Blutschädigungen durch Mianserin. Gegen diese Warnung klagte der Hersteller bis vor das oberste Gericht in Großbritannien. Organon obsiegte mit dem formalen Argument, die Warnung müsse nicht nur das Risiko der Agranulozytose, sondern auch das der potentiell tödlichen Vergiftungen bei anderen Antidepressiva berücksichtigen3 (vgl. a-t 2 [1989], 24). Das Gericht stützte sich dabei auf die These von INMAN,4 der bei der Überwachung von je 5.000 Patienten unter Mianserin und Amitriptylin (SAROTEN u.a.) vier tödliche Vergiftungen mit Amitriptylin erfaßt hatte, aber keine unter Mianserin.

Diese These ist anfechtbar. Der therapeutische Stellenwert von Mianserin erscheint im Vergleich zu trizyklischen Antidepressiva nicht zweifelsfrei gesichert.5 Amitriptylin wird aufgrund seiner gut untersuchten Wirksamkeit auch bei schweren Verlaufsformen der Depression verwendet, bei der aufgrund der Suizidalität der Patienten ein erhöhtes Risiko des Suizidversuches mit Antidepressiva besteht. Mianserin wird dagegen überwiegend bei leichteren Verlaufsformen der Depression in der Praxis verordnet, so daß Suizidversuche schon krankheitsbedingt seltener sein müßten. So war auch die Zahl der Suizidversuche mit Amitriptylin fast dreifach häufiger als mit Mianserin.6

Im Spektrum anderer unerwünschter Wirkungen scheint Mianserin hinsichtlich Störwirkungen an der Leber und an der Haut (Erythema multiforme, LYELL-Syndrom) sowie Zungenödem mit Glossitis und Ödemen im Gesichts-/Halsbereich aufzufallen.7,8 Bei Intoxikationen kommt es wie bei trizyklischen Antidepressiva zu Arrhythmien und Kammerflimmern.9

Sollten Hersteller nun versuchen, die antidepressive Wirksamkeit von Mianserin durch Erhöhung der Dosisempfehlung zu verbessern, ergeben sich daraus Bedenken hinsichtlich der Verträglichkeit. Bei der auffälligen knochenmarkschädigenden Wirkung scheint es sich um eine substanztoxische Reaktion zu handeln, die durch Dosiserhöhung verschlechtert werden dürfte.

Im Vergleich zu trizyklischen Standard-Antidepressiva halten wir die Nutzen/Risiko-Abwägung für Mianserin wegen der knochenmarktoxischen Wirkung unverändert für negativ (–Red.).


© 1991 arznei-telegramm

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