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Warnhinweis

FAKTOR IX-KONZENTRAT PPSB "BIOTEST" –
EMPFÄNGER GEZIELT NACHUNTERSUCHEN

Infektionsquelle der kürzlich bekanntgewordenen HIV-Infektionen bei acht Hämophilie B-Patienten und bei zwei oder mehr Patienten mit Koagulopathien nach Trauma bzw. Lebertransplantation ist die Charge 1601089 des PPSB "BIOTEST"-Gerinnungskonzentrates [vgl. at 5 (1990), 50]:

  • In der genannten Charge fand sich das p24-Antigen auffällig hoch konzentriert. Das deutet auf eine ungewöhnlich große HIV-Viruslast im Ausgangsmaterial hin.
  • Alle Betroffenen sind mit dem gleichen Virus infiziert. DNA-Sequenzanalysen ergaben unter den einzelnen Patienten zwischen 93 und 100% Übereinstimmung in einem "hypervariablen" Bereich des HIV env-Gens.1
  • Nach "Look-Back"-Untersuchungen der Spender für das Ausgangsplasma sind acht Spender nachträglich serokonvertiert.2 Die für die Faktorenkonzentrate verwendeten Rohseren, die zu 40% aus den USA stammten,3 waren HIV-kontaminiert.
  • Das Biotest-Inaktivierungsverfahren mittels "Kaltsterilisation" mit Betapropiolakton und UV-Bestrahlung scheint bei hochgradig belastetem Ausgangsmaterial zu versagen:

Das Frankfurter Paul-Ehrlich-Institut kopierte als staatliche Zulassungsstelle das Biotest-Sterilisationsverfahren für Blutprodukte unter Laborbedingungen. Aus mit HIV kontaminiertem und anschließend so sterilisiertem Humanplasma ließen sich HIV-Lebendviren anzüchten, was für ein Versagen der Biotest-Kaltsterilisation spricht.4 Der Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts hält "seine Untersuchungsergebnisse für methodisch zutreffend."5

Das angeblich unerwartete Ergebnis des amtlichen Validierungsexperimentes belegt, wie riskant Blutprodukte sein können, wenn Blutspender nachträglich serokonvertieren und zu spät als Träger des HIV-Virus erkannt werden, sofern Sterilisationsverfahren wie die Kaltsterilisation nach der Biotest-Methode versagen.4

Da in den letzten Monaten weitere Empfänger von PPSB-KONZENTRAT "Biotest" der Charge 1601089 zufällig als HIV-infiziert erkannt wurden, ist damit zu rechnen, daß die Zahl der Primärinfizierten größer als bisher angenommen ist. Sekundärinfektionen der Sexualpartner der unwissentlich Infizierten sind zu erwarten. Die Charge reichte aus, um 4000 Patienten zu versorgen.

Wir empfehlen spezielle Nachuntersuchungen mit HIV-Tests für alle Patienten mit schweren Verbrauchskoagulopathien (z. B. Unfallverletzte), die ab Dezember 1989 mit dem Biotest-Konzentrat versorgt wurden.

Aus den geschilderten Mängeln ergeben sich Hinweise auf ein Organisationsverschulden der Firma Biotest. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt erhielt die Strafanzeige eines Betroffenen gegen Verantwortliche des Unternehmens. Nach der jüngsten Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes zu den Sorgfaltspflichten in der Blutverarbeitung6 dürfen die durch PPSB-Biotest HIV-Infizierten auf ein Schmerzensgeld im Rahmen der Verschuldenshaftung rechnen, das über den bisherigen Haftungsbetrag der für Biotest haftenden Colonia-Versicherung hinausgeht.


© 1991 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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