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                            a-t 1991; Nr. 8: 66-7nächster Artikel
Neu auf dem Markt

G-CSF (NEUPOGEN) ZUR PROPHYLAXE ZYTOSTATIKA-INDUZIERTER NEUTROPENIEN

Nach wenig überzeugenden Behandlungserfolgen mit Interferon-gamma (POLYFERON; vgl. a-t 9 [1990], 78) und Interleukin-2 (PROLEUKIN; vgl. a-t 3 [1991], 28) erhält die klinische Verwendung von Wachstumsfaktoren mit der Zulassung des G-CSF (NEUPOGEN) neuen Aufschwung. Bisher erwies sich von den Wachstumsfaktoren nur Erythropoetin (ERYPO 2000; vgl. a-t 10 [1989], 90) als nützlich.

Seit einigen Jahren ist bekannt, daß hämatopoetische Wachstumsfaktoren die Blutzellbildung und Differenzierung der pluripotenten Stammzelle im Knochenmark zu funktionsfähigen Blutzellen stimulieren.1,2 Diese Glykoproteine werden als Kolonie-stimulierende Faktoren (CSF) bezeichnet. Davon fanden fünf Eingang in klinische Untersuchungen: Granulozyten-Makrophagen (GM)-CSF, Granulozyten (G)-CSF, Makrophagen (M)-CSF, Multi-CSF und Erythropoetin.3

Gentechnisch hergestelltes G-CSF (Filgrastim; NEUPOGEN) steht jetzt Krebspatienten zur Behandlung der durch Zytostatika verursachten Neutropenie zur Verfügung. Die Zulassung von GM-CSF (LEUCOMAX) zur Behandlung bei Knochenmarktransplantationen steht an.4 Außerdem soll eine Kombination aus GM-CSF und IL-3 (PIXY-321) zur Behandlung von Leuko- und Thrombozytopenien angeboten werden.

WIRKUNGEN: Zytostatika schädigen die Blutzellbildung. Während der Therapie fallen die neutrophilen Granulozyten zum Teil auf Werte unter 1.000/µl ab.5 Dadurch werden bakterielle Infektionen ausgelöst, die eine Antibiose oder einen Therapieabbruch erfordern. G-CSF steigert das Proliferations- und Differenzierungsverhalten der Vorstufenzellen im Knochenmark und erhöht die Freisetzung funktionsfähiger neutrophiler Granulozyten aus dem Knochenmark in die Blutbahn.6 Zytostatika können jedoch auch zu Thrombozytopenien führen, die durch G-CSF nicht zu beeinflussen sind.7

KLINISCHE STUDIEN: In einer multizentrischen, randomisierten und plazebokontrollierten Studie erhielten 126 Patienten mit kleinzelligem Lungenkarzinom G-CSF subkutan am 4. bis 17. Tag einer Zytostatikatherapie, die im Zyklus von 3 Wochen wiederholt wurde. Die Zahl der Tage, an denen die Patienten eine gefährliche Neutropenie entwickelten, verringerte sich durchschnittlich um 3 Tage. Schleimhautentzündungen nahmen von 44% auf 11% ab, die Krankenhausverweildauer und die Gabe von Antibiotika um 40% bis 50%. Die Ansprechrate auf die Therapie erhöhte sich auf 83% gegenüber 71%.8 Diese Daten werden durch andere Studien (Patienten mit Mamma-, Blasen-, Ovarialkarzinom u.a.) bestätigt.9,10 Die Neutrophilenwerte steigen dosisabhängig und nur für die Dauer des Applikationszeitraums an. Die Ansprechrate ist gut, sofern das Knochenmark noch funktionsfähig ist (Neutrophile über 1.000/mm3, Thrombozyten über 100.000/mm3 vor Chemotherapie).

UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Jeder zweite Patient klagt über dosisabhängige Störeffekte. Häufig sind passagere Knochenschmerzen (8 - 18%),6,11 die auf Analgetika ansprechen. Dosisabhängig steigen Laktatdehydrogenase (50%), alkalische Leukozytenphosphatase (30%),10 Harnstoff (30%), Harnsäure (25%) und Gamma-Glutamyl-Transpeptidase (10%).11 Dies beruht auf einem erhöhten Leukozytenumsatz und ist bei Absetzen der Therapie reversibel. Mit Milzvergrößerungen und Thrombozytopenie aufgrund einer erhöhten Sequestrierung von Thrombozyten in der Milz und einer Induktion der extramedullären Hämatopoese ist selten zu rechnen. Bei zu hoher Dosierung kann es zu Endothelzelläsionen kommen mit Vaskulitis und Flüssigkeitsretention. Weitere Störwirkungen dürften erst mit zunehmender Anwendungsbreite bekannt werden. Häufigkeit und Schwere der Störwirkungen scheinen jedoch im Vergleich zu anderen Wachstumsfaktoren wie Interleukinen und Interferonen geringer zu sein.3

KONTRAINDIKATION: G-CSF ist nur zur Anwendung bei nicht-myeloischen Krebserkrankungen zugelassen, da nicht bekannt ist, ob der Wachstumsfaktor die Progredienz eines dysplastischen Syndroms in eine akute myeloische Leukämie (AML) fördern kann. Die Unbedenklichkeit für Schwangere und stillende Frauen ist nicht nachgewiesen. Es liegen keine Studien bei Patienten mit eingeschränkter Nieren- und Leberfunktion vor. Untersuchungen mit älteren Personen und Kindern fehlen. Bei bestehender Osteoporose ist bei einer Therapiedauer über 6 Monate eine Knochendichtemessung durchzuführen.10

DOSIERUNG: G-CSF wird subkutan in einer Dosierung von 5 µg/kg KG/Tag gegeben.11 In randomisierten Studien erhielten die Patienten Tagesdosierungen von 4 -8,4 µg/kg. Eine G-CSF-Behandlung sollte frühestens 24 Stunden nach Beginn der Zytostatikatherapie einsetzen und andauern – bis die neutrophilen Granulozyten Normalwerte erreichen. Die durchschnittliche Anwendungsdauer wird mit 14 Tagen angegeben. Bei Leukozytenwerten über 50 x 109/l muß die Therapie abgebrochen werden. Bei Patienten mit reduzierten Vorstufenzellen (z. B. Radiotherapie) ist eine abgeschwächte Wirkung von G-CSF zu erwarten. G-CSF läßt die Zahl der Thrombozyten und Erythrozyten unbeeinflußt. Bei Verwendung besonders toxischer Zytostatika empfiehlt sich die regelmäßige Kontrolle dieser Werte.

KOSTEN: Es bleibt zu klären, ob die Therapiekosten von 300 - 500 DM/Tag die möglicherweise verringerten stationären Behandlungskosten (kürzere Intensivpflegezeit und Krankenhausaufenthalt) aufwiegen.

FAZIT: Die prophylaktische Gabe des gentechnisch hergestellten Wachstumsfaktors G-CSF (Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor; Filgastrim [NEUPOGEN]) bei Krebspatienten, die Zytostatika erhalten, verringert Zahl und Schwere bakterieller Infekte. Die Dauer der Antibiose verkürzt sich, Schleimhautentzündungen12 kommen seltener vor. Störwirkungen wie Knochenschmerzen, Enzymerhöhung oder Milzvergrößerung sind dosisabhängig und reversibel. Studien zur Verträglichkeit und Effektivität bei Kindern und älteren Patienten stehen aus.

Zwar vermindert G-CSF Neutropenien, jedoch nicht die toxischen Effekte von Zytostatika auf andere Blutzellen wie Thrombozyten oder Organe (z.B. Kardiotoxizität von Anthrazyklinen). Überschwengliche Erwartungen an eine effektivere Krebsbehandlung durch die Möglichkeit einer erhöhten bzw. länger andauernden Zytostatikagabe unter G-CSF werden dadurch relativiert.


© 1991 arznei-telegramm

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