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                            a-t 1991; Nr. 5: 42nächster Artikel
Im Blickpunkt

ZUM SCHADENERSATZ FÜR ARZNEIMITTELSCHÄDEN

Ein Blick in die Rote Liste 1991 zeigt unterschiedliche Anwendungs- und Nebenwirkungshinweise für Co-trimoxazol-haltige Präparate vom Typ BACTRIM/EUSAPRIM. Am dürftigsten informiert dort die Firma Durachemie über DURATRIMET mit nur wenigen Druckzeilen. Fast 2 1/2 Spalten benötigt hingegen die Deutsche Wellcome für ihr Produkt EUSAPRIM. Sie begnügt sich nicht nur mit Standard-Nebenwirkungshinweisen (Rote Liste 1991: S50, T55, Z1 und Z3), sondern fügt zusätzlich 20 Zeilen über Nebenwirkungen ein. Über das wirkstoffgleiche BACTRIM ROCHE unterrichten nur 9 Zeilen im Abschnitt Nebenwirkungen. Es fehlt bei Roche der Hinweis – und dies gilt auch für die meisten anderen Co-trimoxazol- Anbieter – auf die nicht ausreichende Wirksamkeit der Sulfonamid-Trimethoprim-Kombination bei Infektionen durch betahämolysierende Streptokokken der Gruppe A (z.B. bei Mandel- und Rachenentzündung).

Die Deutsche Wellcome weiß, weshalb sie so ausführlich das Anwendungsgebiet von EUSAPRIM eingrenzt und dem medizinischen Erkenntnisstand entsprechend über Risiken unterrichtet: Unter der Verdachtsdiagnose akute Tonsillitis war einer OP-Gehilfin einer Karlsruher Klinik vom Hausarzt EUSAPRIM verordnet worden. 12 Tage nach Beginn der Behandlung zeigte sich juckender, roter Ausschlag am rechten Unterarm. Die Patientin kam als Notfallaufnahme in das Städtische Klinikum Karlsruhe. Dort wurde die Diagnose gestellt: "STEVENS-JOHNSON-Syndrom nach EUSAPRIM-Therapie einer Tonsillitis".

Die Gutachterkommission für Fragen ärztlicher Haftpflicht bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg verneinte einen ärztlichen Behandlungsfehler. Als unmittelbare körperliche Folge der Schädigung durch das STEVENS-JOHNSON-Syndrom war die Erkrankte durch eine Vielzahl von Beschwerden körperlich stark beeinträchtigt. Nach 17 Tagen intensivmedizinischer Behandlung mußte sie stationär und ambulant in weiteren Kliniken versorgt werden. Durch Verdienstausfall und die Unfähigkeit, den familiären Haushalt zu führen, erlitt die Betroffene überdies einen materiellen Schaden.

Ein von der Patientin beauftragter Rechtsanwalt verklagte Wellcome wegen Vertriebs eines gesundheitsgefährdenden Arzneimittels auf Haftung. Der Firma seien seit Jahren solche schädlichen Wirkungen des Arzneimittels bekannt. Dessen ungeachtet beschreibe der EUSAPRIM-FORTE-Beipackzettel unter Nebenwirkungen lediglich: "Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Zungenentzündung sowie Arzneimittelexantheme wurden selten beobachtet". Diesem Hinweis vermag kein Laie zu entnehmen, daß bei Einnahme des gegen Halsschmerzen verordneten Mittels das Risiko schwerster körperlicher Schädigung bis hin zum Tod eingegangen wird.

Weil Wellcome Klarheit und Vollständigkeit in der Eigenschaftsbeschreibung ihres Produktes EUSAPRIM unterließ, ergibt sich juristisch eine Anspruchsgrundlage (nach § 84 AMG: Haftung bei Verschweigen von Nebenwirkungen). Wie die beklagte Firma einräumen mußte, war ihr das Erythema multiforme oder STEVENS-JOHNSON-Syndrom seit mehr als 15 Jahren aus Fallmeldungen und einschlägigen Lehrbüchern bekannt.

Die beklagte Pharmafirma versuchte im Prozeß, den Schaden auf den Hausarzt abzuwälzen. Er habe einen Kunstfehler begangen, da bei Halsschmerzen (Tonsillitis) Penizillin das Mittel erster Wahl sei und nicht EUSAPRIM. In dem noch nicht rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Karlsruhe bekam die Patientin in allen Punkten recht. Zur Kausalität führte das Gericht aus: "Steht ein Sachverhalt fest, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Geschehensablauf hinweist, so ist dieser regelmäßige Verlauf, wenn der Fall das Gepräge des Üblichen und Typischen trägt, im Wege des Anscheinsbeweises als bewiesen anzusehen."

Daß andere Verursachungsmechanismen theoretisch möglich seien, reicht nach Ansicht des Gerichts nicht aus. Beweisbelastet für einen atypischen Geschehensablauf war in diesem Fall die beklagte Pharmafirma.

Nach Auffassung des Gerichts verschuldete diese das aufgetretene STEVENS-JOHNSON-Syndrom, weil sie in der Gebrauchsinformation zwei Instruktionsfehler begangen hatte: Erstens hatte sie das Risiko nicht aufgezeigt, zweitens unterließ sie es, in der Gebrauchsinformation darauf hinzuweisen, "daß EUSAPRIM FORTE nicht das geeignete Mittel für Halsschmerzen ist."

Eine Gebrauchsinformation ist fehlerhaft, "wenn sie nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entspricht, insbesondere nicht auf alle Gefahren des Arzneimittels ausreichend – auch unter Nennung besonders schwerer Folgen – hinweist."

Die Pflicht des pharmazeutischen Unternehmers, die bestimmungsgemäße Anwendung des Arzneimittels durch eine "den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechende Gebrauchsinformation so klar zu umgrenzen, daß bei deren Beachtung kein das vertretbare Maß überschreitender Schaden entstehen kann", ist rechtserheblich, "damit der Anwender selbst entscheiden kann, ob er bestimmte Risiken in Kauf nimmt". Die Fehlerhaftigkeit der Information kann z.B. auf der Nichtangabe von Kontraindikationen, Warnhinweisen, Wechselwirkungen oder Dosierungsbeschränkungen beruhen. Jede nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens bekannte Nebenwirkung löst die Haftung des pharmazeutischen Unternehmers aus, wenn er auf sie nicht ausreichend hingewiesen hat". Das Gericht kritisiert, daß in der US-amerikanischen Produktbeschreibung schon seit Jahren der Hinweis auf das STEVENS-JOHNSON-Syndrom enthalten gewesen sei, nicht aber in Deutschland.

Pharmaherstellern wird die Entscheidung mit dem Aktenzeichen 2O144/89 des Landgerichts Karlsruhe eine Mahnung für zukünftiges Handeln sein: "Der Hersteller muß nämlich, jedenfalls wenn durch sein Produkt die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit von Menschen bedroht ist, schon dann eine Warnung aussprechen, wenn aufgrund eines zwar nicht dringenden, aber ernstzunehmenden Verdachts zu befürchten ist, daß Gesundheitsschäden entstehen können."

Die Klägerin bekommt ein Schmerzensgeld sowie eine Schmerzensgeldrente, und es wird ihr ein materieller Ausgleich des erlittenen Schadens jetzt und in Zukunft zugestanden.

Daß wir mit den Umständen des hier Beschriebenen vertraut sind, ist eine "Nebenwirkung" unseres NETZWERKS DER GEGENSEITIGEN INFORMATION. Für NETZWERK-Fall 3075 mit den Klassifikationscodes "Abdominalschmerz, STEVENS-JOHNSON-Syndrom, Gesichtsödem, Fieber, Myokarditis" gaben wir eine gutachterliche Stellungnahme ab.


© 1991 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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