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                            a-t 1991; Nr. 4: 34-5nächster Artikel
Übersicht

NEUERE GERING SEDIERENDE
ANTIHISTAMINIKA IM VERGLEICH

Innerhalb von 6 Jahren nahmen die Verordnungen von Antiallergika um 30% auf 8,5 Millionen zu. Diese Entwicklung geht wesentlich auf die relativ neuen nicht oder nur gering sedierenden Antihistaminika zurück. Terfenadin (TELDANE u.a.) und Astemizol (HISMANAL) entwickelten sich in Deutschland rasch zu Marktführern (TELDANE mit 1,7 Millionen Packungen im Wert von 48 Millionen DM [Apothekenabgabepreis] und HISMANAL mit 1,3 Millionen Packungen für 37 Millionen DM). Nun erweitern Cetirizin (ZYRTEC; Werbung: "Ihre Patienten bleiben munter") und Loratadin (LISINO; "erhält munter und mobil") die Auswahl. Wellcome plant zudem die Einführung des in Großbritannien bereits erhältlichen Acrivastin – einem Abkömmling des seit 25 Jahren erhältlichen Triprolidin (PRO-ACTIDIL).

EIGENSCHAFTEN: Cetirizin und Loratadin werden rasch absorbiert und ergeben Spitzenspiegel innerhalb einer Stunde. Bei einer Halbwertszeit von 7-8 Stunden bzw. 12-18 Stunden genügt für beide Antiallergika die einmal tägliche Einnahme.

Cetirizin ist der Hauptmetabolit von Hydroxyzin (ATARAX u.a.), einem seit Jahrzehnten verwendeten Tranquilizer vom Antihistaminika-Typ. Die im Vergleich zur Muttersubstanz geringeren ZNS-Effekte beruhen wahrscheinlich ebenso wie bei Loratadin auf der geringeren Lipophilie bzw. einer größeren Selektivität für den H1-Rezeptor. Cetirizin wird weitgehend unverändert mit dem Urin ausgeschieden. Bei Niereninsuffizienz sowie im Alter ist eine Dosisreduktion erforderlich.

Die therapeutische Bedeutung besonderer Eigenschaften von Cetirizin wie die antientzündliche Wirkung durch Hemmung der Eosinophilen-Migration ("Wirkt nicht nur antiallergisch, sondern auch antientzündlich") ist nicht erwiesen und dürfte Ausdruck medizinisch fragwürdiger Werbung sein. Bei gesunden Probanden hemmt Cetirizin die histamininduzierte Reaktion rascher, ausgeprägter und länger anhaltend als Loratadin.1

Loratadin steht chemisch den sedierend wirkenden Antihistaminika Azatadin (OPTIMINE) und Cyproheptadin (PERIACTINOL u.a.) nahe. Es wird in der Leber abgebaut. Bei schwerer Lebererkrankung ist die Dosis zu halbieren.

KLINISCHE STUDIEN: Die neuen Antihistaminika wurden hauptsächlich gegen Plazebo und konventionelle Antihistaminika geprüft. Sie übertreffen Plazebo bei allergischer Rhinitis und wahrscheinlich auch bei Urtikaria.1

Täglich 10 mg Cetirizin linderten die Beschwerden der saisonalen allergischen Rhinitis bei knapp 500 Patienten ebensogut wie zweimal täglich 60 mg Terfenadin. In einer kleinen Studie an Patienten mit Asthma und Rhinitis/Konjunktivitis durch Birkenpollen verringert Cetirizin hingegen die Symptome und den Bedarf an Betaagonisten deutlicher als Terfenadin.1 Vergleichsstudien mit der Muttersubstanz Hydroxyzin fehlen.

Die Wirkung von täglich 10 mg Loratadin entspricht bei 330 Patienten mit saisonaler allergischer Rhinitis der von zweimal täglich 1 mg Clemastin (TAVEGIL). Gleiches gilt für Patienten mit allergischer Rhinitis im Vergleich mit Loratadin, Astemizol und Mequitazin (METAPLEXAN).

Der Nutzen gering sedierender Antihistaminika bei Pruritus bleibt umstritten (vgl. a-t 4 [1984], 34). Weder Astemizol noch Terfenadin erwiesen sich in einer Versuchsreihe bei nächtlichem Juckreiz von Nutzen, jedoch scheinen Terfenadin und Acrivastin in einer anderen Versuchsreihe über jeweils zehn Tage Plazebo überlegen zu sein.1 Wegen fehlender sedativer Effekte sollen sich die neueren H1-Rezeptor-Antagonisten weniger zur Linderung von Symptomen wie Juckreiz bei nicht Histamin-abhängigen Dermatosen wie Ekzem und Psoriasis eignen.

UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Hier ist der Kenntnisstand unzureichend. Die neueren Wirkstoffe durchdringen die Blut-Hirnschranke geringer und machen seltener müde als konventionelle Antihistaminika. In einer Übersicht wird Sedierung zu je 8% unter Loratadin und Terfenadin beschrieben, bei Plazebo zu 6%.

Auch Cetirizin (ZYRTEC) verursacht häufiger Müdigkeit als Plazebo.1 Vielleicht wird deshalb zur abendlichen Einnahme von Cetirizin geraten. Nach der belgischen Produktinformation soll die Tagesdosis auf 2 x 5 mg Cetirizin aufgeteilt werden, wenn Müdigkeit auftritt.2 Die Produktinformationen von Loratadin und Cetirizin weisen Müdigkeit nicht als unerwünschte Eigenschaft aus. In der Roten Liste 1991 fehlen Angaben zu den Störwirkungen von Cetirizin. Bekannt sind bislang neben Müdigkeit Kopfschmerzen, Schwindel, Mundtrockenheit und Magen-Darm- Störungen.

Auch für Loratadin (LISINO) werden Kopfschmerzen und Mundtrockenheit beschrieben.3 Im NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATION erhielten wir für Loratadin neben Mitteilungen über Müdigkeit und Fahruntüchtigkeit Berichte über Depression (Fall-Nr. 3612), orthostatischen Schwindel (Nr. 3794), juckende Dermatose und Atemnot (Nr. 3943) sowie beidseitige eigroße Mammahypertrophie (Nr. 4121).

Das 1985 eingeführte Astemizol (HISMANAL) wirkt in sehr hohen Dosen arrhythmogen (vgl. a-t 6 [1987], 54). Nahrungsaufnahme reduziert die Absorption bis zu 60%. Daher ist das Mittel mindestens zwei Stunden nach oder eine Stunde vor einer Mahlzeit einzunehmen.4 Müdigkeit, Kopfschmerzen und Nervosität kommen unter Astemizol ebenso vor wie bei Terfenadin (vgl. a-t 12 [1988], 107). In Verbindung mit Astemizol und Terfenadin berichtete reversible Parästhesien lassen sich möglicherweise kaum von den allergischen Beschwerden abgrenzen (vgl. a-t 1 [1991], 6).

Dem NETZWERK wurden zudem unter Astemizol Epistaxis (Fall-Nr. 1118), Hautausschlag (Nr. 2024), Tachykardie (Nr. 2562), Schwindel (Nr. 2617), Depression und Aggression (Nr. 2118), Migräne und Sehstörungen (Nr. 3820), Amnesie (Nr. 4307), Taubheitsgefühl an Füßen und Fingern (Nr. 4498) sowie Ausbleiben der Regel bei gleichzeitiger MARVELON-Einnahme (Nr. 3201) gemeldet.

Etwas besser lassen sich die unerwünschten Effekte des seit 1982 erhältlichen Terfenadin (TELDANE, FOMOS, HISFEDIN) überblicken: Depression, Alpträume, Schlafstörungen, Geschmacksstörungen und Hautreaktionen (vgl. a-t 10 [1989], 95). Reversible Parästhesien können vorkommen. Der FDA gingen 61 Meldungen über kardiale Zwischenfälle in Verbindung mit Terfenadin zu, darunter Torsade de pointes ("chaotische Kammertachykardie"), QT-Verlängerung und/oder ventrikuläre Arrhythmien, also ähnliche Effekte wie bei Astemizol. Zum Teil lagen Überdosierungen vor, oder es wurden gleichzeitig Makrolidantibiotika oder Ketoconazol (NIZORAL) gegeben.5

Aus dem NETZWERK kennen wir Beobachtungen von Haarausfall (Fall-Nr. 2580), Appetit- und Gewichtszunahme (Nr. 2694), Ausbleiben der Regel (Nr. 1274) und rezidivierendem Kammerflattern mit Synkopen (Nr. 3682) in Verbindung mit Terfenadin.

AUSWAHL: Astemizol eignet sich wegen seiner extrem langen Halbwertszeit, die einschließlich aktiver Metaboliten 10 Tage beträgt, nicht zur Behandlung akuter Zustände wie Angioödem (vgl. a-t 9 [1984], 70; 3 [1989], 33). Die Dosisfindung kann Schwierigkeiten bereiten. Andererseits dürfte eine unregelmäßige Einnahme den Therapieerfolg kaum stören, und der die Nacht überdauernde Effekt mag bei saisonaler Rhinitis von Vorteil sein.

Cetirizin und Loratadin sind keine therapeutischen Innovationen, denn sie wirken zur Behandlung der allergischen Rhinitis und Urtikaria ebensogut wie Terfenadin oder konventionelle Antihistaminika. Die größere Erfahrung spricht derzeit für den Marktführer Terfenadin.

FAZIT: Unter den geringer sedierenden Antihistaminika gilt Terfenadin (TELDANE, -FORTE u.a.) als Standardtherapeutikum. Die Neueinführungen Loratadin (LISINO) und Cetirizin (ZYRTEC) wirken etwa gleich gut, doch läßt sich deren Spektrum unerwünschter Effekte aufgrund der vergleichsweise geringen Erfahrungen weniger gut beurteilen. Hinweise auf die gelegentlich beobachtete Müdigkeit fehlen in den Produktinformationen.6 Gegen Pruritus bei Dermatosen wie Ekzem oder Psoriasis helfen konventionelle sedierende Antihistaminika besser.


© 1991 arznei-telegramm

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