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NEUE RICHTLINIEN ZUR ENDOKARDITIS-PROPHYLAXE

Diagnostische, operative und therapeutische Eingriffe sowie zahnärztliche Maßnahmen gehen häufig mit asymptomatischer Bakteriämie einher. Selbst beim Zähneputzen und Kauen harter Nahrungsmittel treten mitunter vorübergehende Bakteriämien auf. Für Herzgesunde sind solche Ereignisse ohne Belang. Personen mit Herz- bzw. Herzklappenfehlern sind jedoch gefährdet, da die Bakterien – meist Streptokokken – an den Herzklappen haften bleiben und Entzündungen der Herzinnenhäute auslösen können. Etwa 1.000 bis 4.000 Personen erkranken jährlich in Deutschland daran. Auch heute noch liegt die Letalität von Endokarditiden bei 20% bis 30%. Risikopersonen profitieren daher von sorgfältiger Zahnhygiene und antimikrobieller Prophylaxe bei diagnostischen und therapeutischen Eingriffen. Die Antibiotika dürfen erst kurz vor dem Eingriff gegeben werden, um eine vorherige Keimselektion auszuschließen.1,2

Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit der antimikrobiellen Prophylaxe der bakteriellen Endokarditis fehlen – abgesehen vom Spezialfall der perioperativen Prophylaxe bei Herzoperationen.2 Dennoch wird das Konzept der antimikrobiellen Endokarditis-Prophylaxe heute allgemein anerkannt, wenn auch international unterschiedliche Prophylaxeschemata zur Auswahl stehen. Von der vorzugsweisen Parenteralgabe der Antibiotika und der Zielvorstellung eines bakteriellen Overkill durch 48stündige Anwendung, wie noch in den 70er Jahren üblich, rücken die neuen Leitlinien ab. Praktikabel sind solche Empfehlungen, die sich nach Anwendungsart und -dauer leicht umsetzen lassen.8

Die Amerikanische Herzgesellschaft sowie der Endokarditis-Arbeitskreis der Britischen Gesellschaft für Chemotherapie veröffentlichten kürzlich überarbeitete, inhaltlich unterschiedliche Richtlinien für die medikamentöse Prophylaxe von Infektionen der Herzinnenhäute.3,4,5 Die Amerikanische Herzgesellschaft rät initial zu niedrigeren Dosen, dafür aber zu einer weiteren Dosis nach dem Eingriff auch bei geringem Risiko.

Vorsorgemaßnahmen werden für Patienten mit angeborenen oder erworbenen Fehlern bzw. Erkrankungen des Herzens empfohlen. Darunter fallen Herzklappenersatz, frühere bakterielle Endokarditis (auch ohne aktuelle Herzerkrankung), angeborene Herzfehler, rheumatische oder andere erworbene Klappenfehler sowohl nach operativer Korrektur als auch bei hypertropher Kardiomyopathie.3 Patienten mit Mitralklappenprolaps brauchen nur dann eine Prophylaxe, wenn dieser mit systolischem Geräusch einhergeht.

Ein einheitlicher "Herz-Paß" für gefährdete Patienten, wie er bei der PAUL-EHRLICH-Gesellschaft (W-8000 München 2, Lindwurmstr. 4) erhältlich ist, könnte den Informationsfluß zwischen Kardiologen und mitbehandelnden Ärzten fördern und den Patienten vor Schaden bewahren.7 Die nachfolgenden Empfehlungen beruhen im wesentlichen auf den übersichtlichen britischen Leitlinien zur medikamentösen Prophylaxe.4,5

Hohen Stellenwert unter den Laktam-Antibiotika bekommt Amoxicillin als Prophylaxestandard 3 g per os eine Stunde vor Eingriffen im Zahn- und Mundbereich und den oberen Atemwegen. Penizillin-Allergiker erhalten vor dem Eingriff 1,5 g Erythromycinstearat (ERYTHROCIN u.a.) per os sowie 0,5 g sechs Stunden nach dem Eingriff per os oder intravenös, falls Schlucken Schmerzen bereiten würde. Da höhere Dosen von Erythromycinstearat mehrfach Übelkeit ausgelöst haben, werden nun für Penizillin-Allergiker alternativ 600 mg Clindamycin (SOBELIN) einmalig eine Stunde vor dem Eingriff empfohlen. Clindamycin wirkt gut gegen grampositive Kokken und ist auch in den Richtlinien der PAUL-EHRLICH-Gesellschaft von 1988 enthalten, in denen auf Erythromycin verzichtet wird.6

Zur Prophylaxe bei Eingriffen in Allgemeinnarkose, beispielsweise am Urogenital- oder am Magen-Darmtrakt werden 3 g Amoxicillin per os 1 Stunde vor der Anästhesie empfohlen sowie weitere 3 g möglichst bald nach der Operation. Ist die Einnahme per os nicht möglich, können 2 g Amoxicillin unmittelbar vor dem Eingriff sowie 500 mg 6 Stunden danach intravenös gegeben werden. Bei Eingriffen am Urogenitaltrakt und infiziertem Urin muß die Prophylaxe den nachgewiesenen Erreger abdecken und nach dem Eingriff nach den üblichen Richtlinien der Infektionsbehandlung über 8 bis 12 Tage fortgeführt werden.

Risikopatienten mit Herzklappe, Endokarditis in der Anamnese oder einer nur kurz zurückliegenden Penizillinbehandlung erhalten vor der Operation 2 g Amoxicillin i.v. plus 120 mg Gentamicin (REFOBACIN u.a.) parenteral sowie 6 Stunden nach dem Eingriff 500 mg Amoxicillin per os. Diese Prophylaxe gilt auch für Frauen mit künstlicher Herzklappe bei Eingriffen in Gynäkologie und Geburtshilfe (fäkale Streptokokken). Auch das Einlegen einer Spirale sollte unter antibakteriellem Schutz erfolgen.

Penizillin-Allergiker mit Risikokonstellation erhalten zur Prophylaxe vor dem Eingriff eine langsame i.v.-Infusion von 1 g Vancomycin über 60 Minuten, gefolgt von 120 mg Gentamicin i.v. kurz vor dem Eingriff.

FAZIT: Diagnostische und therapeutische Eingriffe bei Patienten mit Herzfehlern und anderen Risikofaktoren erfordern die kurzfristige medikamentöse Prophylaxe. Diese schützt vor Endokarditis, die immer noch mit hoher Letalität einhergeht. Die Auswahl der standardisierten Antibiotikaregime richtet sich nach Art des Eingriffs und anamnestischen Faktoren.


© 1991 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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