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Warnhinweis

PML JETZT AUCH UNTER MS-MITTEL DIMETHYLFUMARAT (TECFIDERA)

* Vorversion am 6. Nov. 2014 als blitz-a-t veröffentlicht.

Eine deutsche Patientin mit Multipler Sklerose (MS), die länger als vier Jahre im Rahmen einer Studie Dimethylfumarat (TECFIDERA) eingenommen und darunter eine schwerwiegende jahrelang bestehende Lymphopenie entwickelt hat, ist im August an progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) erkrankt und zwei Monate später verstorben. Außer der Einnahme von Dimethylfumarat bestanden keine weiteren Risikofaktoren für eine PML. Wie das Kompetenznetz Multiple Sklerose in einer Presseerklärung schreibt, wurde die Lymphopenie als klinisch nicht bedeutsam eingestuft, da die Leukozytenzahlen insgesamt nicht wesentlich erniedrigt waren.1

Bei Zulassung war eine PML unter Dimethylfumarat bei MS nicht beschrieben (a-t 2014; 45: 28-9). Bekannt waren aber mehrere Berichte über PML in Verbindung mit einer schweren Lymphopenie unter der Dimethylfumarat-Kombination FUMADERM bzw. einem anderen Dimethylfumarat-haltigen Gemisch bei Psoriasis (a-t 2013; 44: 47-8).2 Obgleich Hersteller Biogen und BfArM von dem Verdacht auf PML unter FUMADERM seit Jahren wussten, wurden sie erst aktiv, nachdem die Öffentlichkeit Anfang 2013 durch zwei Berichte im New England Journal of Medicine alarmiert worden war (a-t 2013; 44: 63-4).3-5

Das Risikomanagement blieb jedoch weiterhin unzureichend: Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich in der Fachinformation zu FUMADERM nach wie vor kein Hinweis auf PML findet, der im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes ebenso in der Fachinformation zu TECFIDERA zu fordern wäre, aber auch hier fehlt.6,7 Anders als für FUMADERM, das bei schwerer Lymphopenie (< 500/µl) nach der aktualisierten Fachinformation sofort abgesetzt werden muss,6 gibt es entsprechende Vorschriften für TECFIDERA nicht,7 obgleich in Zulassungsstudien 6% der Anwender von schwerer Lymphopenie betroffen waren.2 Für FUMADERM6 ist zudem eine deutlich häufigere Überwachung des Blutbildes vorgeschrieben als für TECFIDERA.7 Statt die Maßnahmen zur Risikominimierung an den Erfahrungen mit dem länger erprobten FUMADERM auszurichten, wird in der Fachinformation zu TECFIDERA ausdrücklich betont, dass in Phase-III-Studien bei schwerer Lymphopenie schwerwiegende Infektionen nicht zugenommen haben.7 Diese Information trifft zwar zu, gaukelt aber eine falsche Sicherheit vor, wenn nicht gleichzeitig auf die Postmarketingerfahrungen mit FUMADERM hingewiesen wird, da Zulassungsstudien seltene schwere Störwirkungen in der Regel nicht erfassen.

Auch im aktuellen Fall hüllt sich Hersteller Biogen gegenüber Ärzten und Patienten in Schweigen. Ein Rote-Hand-Brief ist überfällig. Die Investoren wurden dagegen bereits vor mehr als zwei Wochen informiert und die Börse reagierte prompt mit einem Kursrückgang.8 Bei den Behörden wird derzeit über mögliche weitere Schritte diskutiert.9

Wie bereits in unserer Bewertung anlässlich der Markteinführung und wie jetzt auch das Kompetenznetz Multiple Sklerose1 raten wir weiterhin zum prompten Absetzen von TECFIDERA bei schweren Blutbildveränderungen wie schwerer Lymphopenie. Auch erscheint uns logisch, das Blutbild unter TECFIDERA so engmaschig zu kontrollieren wie unter FUMADERM (initial 14-täglich, dann monatlich), –Red.

1 Krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose: Presserklärung vom 24. Oktober 2014; http://www.a-turl.de/?k=rsee
2 EMA: Europ. Beurteilungsbericht TECFIDERA, Stand Nov. 2013; http://www.a-turl.de/?k=ngst
3 ERMIS, U. et al.: N. Eng. J. Med. 2013; 368: 1657-8
4 VAN OOSTEN, B.W. et al.: N. Eng. J. Med. 2013; 368: 1658-9
5 Biogen: Rote-Hand-Brief vom 25. Juni 2013; http://www.a-turl.de/?k=choc
6 Biogen: Fachinformation FUMADERM, Stand Sept. 2013
7 Biogen: Fachinformation TECFIDERA, Stand Juli 2014
8 JACKSON, M.: Scrip vom 31. Okt. 2014, S. 9
9 BfArM: Schreiben vom 6. Nov. 2014

Ein Leser kommentiert das blitz-a-t:

Dass es unterschiedliche Fachinformationen bei gleicher Wirkung (siehe Pharmakodynamik) und gleicher Nebenwirkung (Lymphopenie) gibt, ist ein Skandal. Der Hersteller von TECFIDERA hat den zu erwartenden Fall billigend in Kauf genommen. Und dass der Hersteller mit der Fachinformation bei den regulatorischen Behörden durchgekommen ist, ist nicht minder skandalös.

NN (Name der Redaktion bekannt)
Interessenkonflikt: keiner

Wir stimmen dem zu, –Red.

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 14. November 2014

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