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Korrespondenz

HYPONATRIÄMIE UNTER DIURETIKA

Seit Jahren verfolge ich Ihr wiederholtes Plädoyer für Diuretika in der Hypertoniebehandlung. Ich werde allerdings in meiner täglichen Praxis im Krankenhaus häufig mit schweren Komplikationen dieser Medikamente wie Hyponatriämien konfrontiert. Sie sind wegen der häufigen erkrankungsassoziierten Delirien und der Gefahr zentraler pontiner Myelinolysen lebensgefährlich. Oft sind alte Menschen betroffen. Sind diese Gefahren eigentlich in Ihrer Risiko-Nutzen-Bewertung berücksichtigt?

C. SCHULZ-DU BOIS (Arzt)
D-24211 Preetz
Interessenkonflikt: keiner

Unsere Empfehlung zu Gunsten von niedrigdosiertem Chlortalidon (HYGROTON) oder Thiazid-artigen Diuretika als Mittel der Wahl bei arterieller Hypertonie – fehlende Kontraindikationen vorausgesetzt – basiert auf zusammenfassenden Auswertungen großer Endpunktstudien, nach denen Diuretika keinem anderen Antihypertensivum unterlegen sind, hinsichtlich des Auftretens von Herzinsuffizienz jedoch vorteilhaft erscheinen (a-t 2014; 45: 26-8). Der Nutzen einer Diuretika-basierten Behandlung ist auch für ältere Patienten beschrieben: In der SHEP-Studie (4.736 Patienten, mittleres Alter 72 Jahre) vermindert die Erstbehandlung mit täglich 12,5 mg bis 25 mg Chlortalidon signifikant die Insultrate (Relatives Risiko [RR] 0,64; Number Needed to Treat [NNT] 33 über 5 Jahre) und Herzinfarktrate (RR 0,67) im Vergleich zu Plazebo.1 In der HYVET- Studie, in der 3.840 Hochdruckpatienten im Alter ab 80 Jahren eine Indapamid (NATRILIX, Generika)-basierte Therapie (1,5 mg täglich) oder Plazebo erhalten, sinkt die Rate der tödlichen Schlaganfälle (RR 0,61; NNT: 120 Patienten über zwei Jahre) und die Gesamtmortalität (RR 0,79; NNT: 40/2 Jahre).2

Die Eingangsfrage zielt darauf ab, ob sich die in randomisierten Studien gewonnenen Ergebnisse unter realen Bedingungen reproduzieren lassen, zumal aufgrund von Ausschlusskriterien Studienteilnehmer nicht die übliche Praxispopulation repräsentieren. Multimorbidität und Begleitmedikation können ein höheres Risiko für schwere Störwirkungen insbesondere bei Älteren darstellen.

Hyponatriämie unter Thiaziden

Thiazide reduzieren die im höheren Alter ohnehin verringerte Clearance von freiem Wasser in den Nieren durch Blockade des Natrium-Chlorid-Kotransporters im distalen Tubulus. Die Ausscheidung von Natrium wird gesteigert. Das Risiko einer Hyponatriämie steigt bei großer Zufuhr von freiem Wasser (cave Polydipsie), Begleiterkrankungen (Herzinsuffizienz) sowie bei medikamentöser Stimulation oder Wirkverstärkung von antidiuretischem Hormon (ADH; z.B. durch Antidepressiva, Carbamazepin [TEGRETAL, Generika], Opioide, ACE-Hemmer, nichtsteroidale Antirheumatika) oder dem Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH).5.7 Anders als aufgrund der diuretischen Wirkung zu vermuten wäre, besteht bei Betroffenen in der Regel eine Eu- oder gar Hypervolämie. Schleifendiuretika führen deutlich seltener zu Hyponatriämie.5

In Fall-Kontroll-Studien6,7 wurden neben hohem Alter6,7 niedriges Körpergewicht,6,7 ACE-Hemmer-Einnahme,7 Harnwegsinfekte (wegen gesteigerter Trinkmenge)7 und insbesondere niedrige Kaliumspiegel6,7 (Odds Ratio: 41)7 als unabhängige Risikofaktoren für das Auftreten einer Thiazid-assoziierten Hyponatriämie ermittelt. Das Risiko steigt zudem mit der Höhe der Dosierung.8 Zwar sind in Fallserien häufiger (ältere) Frauen betroffen,4,9 es ist jedoch unklar, ob dies auf physiologischen Ursachen beruht oder auf häufigerer Verordnung von Thiaziden.8

50% bis 90% der Hyponatriämien entwickeln sich innerhalb von zwei Wochen nach Beginn der Einnahme, können jedoch zu jedem Zeitpunkt auftreten.5 Milde Hyponatriämien (125 mmol/l bis 134 mmol/l) führen selten zu Symptomen und bedürfen – in Abwesenheit prädisponierender Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Leberzirrhose – über ein Absetzen des Thiazids hinaus in aller Regel keiner weiteren Behandlung. Bei niedrigeren Werten kann es zu unspezifischen Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Oberbauchschmerzen, Verwirrung und Lethargie kommen. Bei akuter Entwicklung (< 48 Stunden) einer schweren Hyponatriämie droht ein lebensbedrohliches Hirnödem mit Krampfanfällen und Koma.5,10,11 Pontine Myelinolysen, die Tage nach Korrektur einer Hyponatriämie auftreten können, gehen mit Sprach- und Schluckstörungen, peripheren Lähmungen (Quadriplegie) und Bewusstseinsverlust einher. Sie gelten nicht als direkte Folge der Hyponatriämie, sondern als Resultat einer zu raschen Korrektur (> 8-10 mmol/l in den ersten 24 h) einer chronischen Elektrolytstörung. Allerdings existieren keine belegten „sicheren” Werte für die Geschwindigkeit des Natriumanstiegs.11,12

In einer US-amerikanischen Auswertung3 von Patienten, die wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen stationär aufgenommen werden, ist nahezu jeder Zweite (48,1%) älter als 80 Jahre. Patienten ab 85 Jahren werden 3,5-fach so häufig aufgrund von Störwirkungen eingewiesen wie Erwachsene zwischen 65 und 69 Jahren. Mittel zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen stehen nach Antikoagulanzien und Antidiabetika als Ursache an dritter Stelle und führen am häufigsten zu Elektrolytstörungen, Volumenverschiebungen und allgemeiner Schwäche als Aufnahmegrund, was oftmals Diuretika zuzuschreiben ist. Stehen bei Schleifendiuretika aufgrund ihres ausgeprägten diuretischen Effekts die Folgen einer Hypovolämie im Vordergrund, kommt es unter Thiaziden häufiger zu Elektrolytverschiebungen. Während Hypokaliämien unter Diuretika wegen Gefahr kardialer Arrhythmien eher beachtet werden, wird das Risiko für Hyponatriämien oft ignoriert.4

Die Häufigkeit von Hyponatriämien wird in Hypertoniestudien nur selten berichtet. In der SHEP-Studie1 kommt es bei 4,1% unter Chlortalidon gegenüber 1,3% in der Kontrollgruppe zu einem Abfall des Serumnatriums unter 130 mmol/l (Number Needed to Harm [NNH] 36 über 4,5 Jahre).1 Zum Verlauf der Elektrolytstörungen wird jedoch nichts mitgeteilt.1

Daten aus epidemiologischen Studien13-16 sind wegen unterschiedlicher Methodik, Definition der Hyponatriämie und unterschiedlich langen Beobachtungszeiten schwer mit denen aus randomisierten Studien vergleichbar. Insbesondere liegen nur wenige Daten zum klinischen Verlauf der Hyponatriämien unter Diuretikaeinnahme vor. In einem retrospektiven Vergleich zum Nutzen von Chlortalidon und Hydrochlorothiazid (HCT-1A-PHARMA u.a.) bei über 65-Jährigen mit arterieller Hypertonie erfolgt jährlich bei 0,7% unter Chlortalidon und 0,5% unter Hydrochlorothiazid eine Krankenhauseinweisung wegen Hyponatriämie.14 Zwei weitere Kohortenstudien15,16 zeigen – wenig überraschend – häufigeres Auftreten einer Hyponatriämie (Natrium < 135 mmol/l) unter Thiaziddiuretika im Vergleich zu anderen Antihypertensiva (30% vs. 18% über zehn Jahre15 bzw. 6,5% vs. 2% über neun Monate16). Schwere Verläufe (Na <125 mmol/l) machen dabei etwa 10% der Ereignisse aus.15 Auffällig ist, dass die Kontrolle der Elektrolytwerte unter Thiazideinnahme häufig vernachlässigt wird: In der neuesten Studie werden die Elektrolyte in den ersten drei Monaten nach Therapiebeginn lediglich bei 42% der Patienten kontrolliert.16 Die Beobachtungsstudien bieten insgesamt jedoch keinen Hinweis darauf, dass der in Endpunktstudien gesicherte Nutzen einer antihypertensiven Behandlung mit Diuretika durch das Auftreten von Hyponatriämien geschmälert wird.

∎  Hyponatriämien sind eine häufige dosisabhängige Störwirkung einer Behandlung mit Thiazid-artigen Diuretika.

∎  Die epidemiologischen Daten bieten keinen Anhalt dafür, dass der in großen randomisierten Endpunktstudien belegte Nutzen der antihypertensiven Therapie mit Diuretika durch das Auftreten von Hyponatriämien vermindert wird.

∎  Begleiterkrankungen (z.B. psychogene Polydipsie, SIADH) und eine Hyponatriämie begünstigende Begleitmedikation – z.B. Carbamazepin (TEGRETAL, Generika) – sind als potenzielle Kontraindikationen zu beachten. Da Hyponatriämien oft schon innerhalb von zwei Wochen nach Therapiebeginn auftreten, ist eine frühzeitige und regelmäßige Kontrolle der Elektrolytwerte insbesondere bei Risikopatienten wichtig.

∎  Angesichts der Nutzenbelege aus randomisierten Studien erachten wir niedrig dosiertes Chlortalidon (HYGROTON) – korrekte Indikation und regelmäßige Elektrolytkontrolle vorausgesetzt – trotz des Hyponatriämierisikos als Mittel der Wahl bei arterieller Hypertonie.

  (R =randomisierte Studie)
R  1 Systolic Hypertension in the Elderly Program Cooperative Research Group: JAMA 1991; 265: 3255-64
R  2 HYVET Study Group: N. Engl. J. Med. 2008, 358: 1887-98
3 BUDNITZ, D.S. et al.: N. Engl. J. Med. 2011; 365: 2002-12
4 SHARABI, Y. et al.: J. Hum. Hypertens. 2002; 16: 631-5
5 MANN, S.J.: J. Clin. Hypertens. 2008; 10: 477-84
6 CHOW, K.M. et al.: Q. J. Med. 2003; 96: 911-7
7 RASTOGI, D. et al.: J. Clin. Hypertens. 2012; 14: 158-64
8 RODENBURG, E.M. et al.: Am. J. Kidney Dis. 2013; 62: 67-72
9 SONNENBLICK, M. et al. : Chest 1993; 103: 601-6
10 ADROGUÉ, H.J., MADIAS, N.E. : N. Eng. J. Med. 2000; 342: 1581-9
11 MARTIN, R.J.: J. Neurol. Neurosurg. Psychiatr. 2004; 75 (Suppl III): iii22-8
12 ORAKZAI, R.H. et al. : Eur. J. Intern. Med. 2008; 19: e29-31
13 CLAYTON, J.A. et al.: Br. J. Clin. Pharmacol. 2005; 61: 87-95
14 DHALLA, I.A. et al.: Ann. Intern. Med. 2013; 158: 447-55
15 LEUNG, A.A. et al.: Am. J. Med. 2011; 124: 1064-72
16 MAKAM, A.N. et al.: J. Am. Geriatr. Soc. 2014; 62: 1039-45

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 19. September 2014

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