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Korrespondenz

RABATTVERTRÄGE UND AUT-IDEM-AUSSCHLUSS

Von meiner KV und der Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Krankenkassen in Westfalen-Lippe werde ich aktuell aufgefordert, die Abgabe von Rabattarzneimitteln nicht weiterhin durch Ankreuzen des Aut-idem-Feldes zu torpedieren. Dabei wird der Eindruck erweckt, es bestünde eine rechtsverbindliche Pflicht, nach der das Aut-idem-Kreuz nur als Ausnahme in medizinisch begründeten Einzelfällen gesetzt werden darf… Gibt es tatsächlich eine entsprechende Vorschrift?

H. KAMMER (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-59821 Arnsberg
Interessenkonflikt: keiner

Seit April 2007 verpflichtet das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) Apotheken, statt des verordneten Arzneimittels ein wirkstoffgleiches rabattbegünstigtes Präparat abzugeben, wenn der Arzt den Austausch nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat. Dass dies nur in medizinisch begründeten Einzelfällen erlaubt sein soll, lässt sich direkt weder aus dem SGB V noch aus dem Bundesmantelvertrag-Ärzte ableiten. Dort heißt es schlicht, dass der Vertragsarzt einen Austausch ausschließen kann (SGB V § 73 Abs. 5, BMV-Ä § 29 Abs. 2). Die Einschränkung auf medizinisch begründete Ausnahmen lässt sich auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom Februar 2011 an die Verbände der Ärzte, Krankenkassen und Pharmaindustrie1 anlässlich eines Artikels im SPIEGEL zurückführen. Dieser hatte über Kooperationsvereinbarungen eines Ärztenetzes mit pharmazeutischen Unternehmen berichtet, die mit finanziellen Zuwendungen an das Netz und der "Anregung", bestimmte Präparate zu verordnen und die Aut-idem-Substitution auszuschließen, verbunden waren.2 Vor diesem Hintergrund machte das Ministerium seine Rechtsauffassung deutlich,1,3 dass der Ausschluss einer Substitution nur dann erfolgen solle, "wenn dieses aus medizinischen Gründen notwendig ist" und dass ein Ausschluss aus "sachfremden Erwägungen" gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoße und im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung sanktioniert sei. Zudem könnten disziplinarrechtliche Konsequenzen drohen.1 Von "Ausnahmen" oder "Einzelfällen" ist dort aber ebenfalls nicht die Rede.

Bei der Verordnung von Arzneimitteln und auch bei einer Entscheidung über den Austausch des verordneten Präparates ist grundsätzlich das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten, dem zufolge unwirtschaftliche Leistungen nicht bewirkt werden dürfen (SGB V § 12). Ein Vertragsarzt, der einen Austausch durchgängig ausschließt, dabei aber überwiegend besonders preiswerte Generika verordnet und das Richtgrößenvolumen nicht überschreitet, ist jedoch nicht automatisch vor einer Wirtschaftlichkeitsprüfung geschützt. Das SGB V (§ 106) sieht neben der so genannten Auffälligkeitsprüfung bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina auch die Prüfung arzt- und versicherungsbezogener Stichproben (Zufälligkeitsprüfung) sowie weitere auf Landesebene zu vereinbarende Prüfungsarten vor, insbesondere auch Einzelfallprüfungen auf Antrag der Kassen bei Auffälligkeiten hinsichtlich einzelner Leistungen.3 Denkbar sind dabei auch Prüfanträge, wenn Ärzte in hohem Maß Aut-idem-Kreuze gesetzt haben.4 Die Kassen könnten hier einen "sonstigen Schaden" sehen, der im Falle eines Verfahrens allerdings offengelegt und beziffert werden müsste.5 Eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Schadensbemessung bei den Ärzten gibt es dazu aber noch nicht.6

Ob den Kassen bei ausschließlicher Verordnung besonders preiswerter Generika Mehrkosten entstehen, wenn bestehende Rabattverträge nicht bedient werden können, lässt sich wegen der Intransparenz der Vereinbarungen nicht beurteilen. Zumindest in der Vergangenheit traf das nicht immer zu: Am Beispiel des Rabattvertrags der AOK Bayern mit der Firma Lilly über das Olanzapin-Original ZYPREXA wurde 2008 deutlich, dass dieses selbst nach Abzug des höchstmöglichen Rabatts immer noch 50% teurer war als das preiswerteste Olanzapin-Generikum (a-t 2008; 39: 21, 43). Inzwischen soll sich das Ausschreibungsverfahren aber geändert haben. Ein Zuschlag soll - zumindest bei der AOK - dann zustande kommen, wenn das preisgünstigste im Markt erhältliche Produkt unterboten wird.6,7 Aufgrund der Dynamik der Arzneimittelpreise kann sich dies aber rasch wieder ändern.

Nicht nur in Westfalen-Lippe werden derzeit Ärzte, die in hohem Maß einen Austausch ausschließen, von Kassen und/oder KV angeschrieben. Thema ist die Aut-idem-Substitution beispielsweise auch in Bremen8 oder Sachsen.9 Bei einem Substitutionverbot sollte ein möglichst preiswertes Mittel ausgewählt werden. Zudem ist es ratsam, die Begründung für den Ausschluss in der Patientenakte zu dokumentieren, um im Fall eines Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens argumentieren zu können.9 Dabei kommt eine Reihe von Gründen in Betracht: Neben nachgewiesenen Allergien oder Unverträglichkeiten gegenüber Hilfs- und Zusatzstoffen kann dies auch die Sicherstellung der Teilbarkeit, der Sondengängigkeit oder einer bestimmten Applikationsart (z.B. bei Asthmainhalationssystemen) sein.9 Auch wenn insbesondere bei Dauerverordnung mehrerer Arzneimittel an betagte Patienten Verwechslungen durch ein verändertes Aussehen der Tabletten oder der Verpackung befürchtet werden, kann dies ein Austauschverbot rechtfertigen. Methodisch gute Studien von unabhängiger Seite zu der Frage, wie sich die Rabattverträge auf Therapietreue und -sicherheit auswirken, gibt es bislang nicht (vgl. a-t 2012; 43: 45). Nach Fall-Kontroll-Studien aus den USA könnte eine Änderung von Farbe oder Form der Tabletten aber eine Non-Compliance begünstigen.10,11 Bis September soll der Gemeinsame Bundesausschuss eine Liste von Wirkstoffen veröffentlichen, die generell vom Austausch ausgeschlossen werden sollen. Für das Immunsuppressivum Ciclosporin (SANDIMMUN, Generika) und das Antiepileptikum Phenytoin (ZENTROPIL u.a.) gilt dies bereits seit April 2014.12

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte zudem 2011 als Reaktion auf das Schreiben des BMG Verständnis dafür geäußert, dass Patienten ein zuzahlungsbefreites Präparat wünschen, auch wenn für dieses kein Rabattvertrag besteht.13 Angesichts der jüngsten deutlichen Absenkung der Festbeträge hat die Zahl zuzahlungsbefreiter Mittel allerdings weiter abgenommen.14 Simvastatin (ZOCOR, Generika) beispielsweise ist nur noch in Packungen mit 100 Tabletten zu 20 mg von den Firmen AbZ und Teva ohne Zuzahlung erhältlich, andere Statine gar nicht mehr, -Red.

1 BMG: Schreiben vom 16. Febr. 2011
2 GRILL, M.: Der Spiegel 2011; Nr. 5: 114-5
3 BMG: Schreiben vom 14. Aug. 2014
4 KBV: Schreiben vom 13. Aug. 2014
5 KV Westfalen-Lippe: Schreiben vom 14. Aug. 2014
6 Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Krankenkassen in Westfalen-Lippe: Schreiben vom 14. Aug. 2014
7 HEEKE, A. (AOK NordWest): Schreiben vom 18. Aug. 2014
8 PRADEL, J.: apotheke adhoc, 22. Juli 2014; http://www.a-turl.de/?k=oshe
9 Verband der Ersatzkassen et al.: KVS-Mitteilungen 2013; Nr. 9
10 KESSELHEIM, A.S. et al.: Ann. Intern. Med. 2014; 161: 96-103
11 KESSELHEIM, A.S. et al.: JAMA Intern. Med. 2013; 173: 202-8
12 AOK: Erfolgsmodell AOK-Rabattverträge - Antworten auf häufig gestellte Fragen, Stand Apr. 2014; http://www.a-turl.de/?k=onnd
13 SKOGLUND, U.: KV Blatt/Berliner Budget-Bulletin 2/2011, Seite 6
14 Ärzte Zeitung vom 4./5. Juli 2014, Seite 4

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 22. August 2014

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