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Korrespondenz

DURCHFALLMITTEL RACECADOTRIL (TIORFAN, VAPRINO)

Seit 2008 ist Racecadotril (TIORFAN) als verschreibungspflichtiges Durchfallmittel für Erwachsene im Handel. Als VAPRINO ist es auch rezeptfrei erhältlich und ich möchte gerne bei Bedarf das optimale Durchfallmittel empfehlen. Uns Apothekern wird VAPRINO so dargestellt, als sei es eine bessere Empfehlung als Loperamid (IMODIUM, Generika). Wie sehen Sie das?

Dr. H. WIEGREBE (Apotheker)
D-32683 Bartrup
Interessenkonflikt: keiner

Das antisekretorisch wirkende Racecadotril (TIORFAN) ist in Deutschland seit 2004 als verschreibungspflichtiges Mittel gegen Durchfall für Kinder (a-t 2004; 35: 113-4) und seit 2008 auch für Erwachsene im Handel. Seit Juni 2013 wird der Enkephalinasehemmer zudem als VAPRINO rezeptfrei für die maximal dreitägige symptomatische Behandlung einer akuten Diarrhö bei Patienten über 18 Jahren angeboten. Bei blutigen oder eitrigen Durchfällen oder Fieber, die auf invasive Bakterien oder auf andere schwere Erkrankungen hinweisen können, darf es nicht angewendet werden, ebensowenig bei Diarrhö im Rahmen einer Antibiotikatherapie.1

Das Prodrug Racecadotril wird nach der Einnahme zum aktiven Metaboliten Thiorphan hydrolisiert. Dieser blockiert membrangebundene Enkephalinasen im Dünndarmepithel und dadurch den Abbau endogener Opioide (Enkephaline), die die Sekretion von Wasser und Elektrolyten in das Darmlumen hemmen.1-3

Insgesamt fünf randomisierte Studien4-8 zum Nutzen von Racecadotril in der zugelassenen Dosierung (initial 100 mg, dann 3 x täglich 100 mg vorzugsweise vor den Hauptmahlzeiten1,2) bei Erwachsenen mit akutem Durchfall liegen veröffentlicht vor. Sie sind mehrheitlich klein (weniger als 100 Teilnehmer) und von allenfalls mäßiger methodischer Qualität. In der einzigen plazebokontrollierten Studie4 verringert der Enkephalinasehemmer am ersten Tag der Untersuchung das mittlere Stuhlgewicht (primärer Endpunkt, 355 g versus 499 g, p = 0,025) sowie die mittlere Zahl der Durchfälle (4,3 vs. 5,4, p = 0,027) gegenüber Scheinmedikament. In den vier anderen Studien wird Racecadotril mit dem Opioidagonisten Loperamid (IMODIUM, Generika) verglichen, der in mindestens zwei der Untersuchungen5,8 nicht wie üblich (initial 4 mg, dann 2 mg nach jedem ungeformten Stuhl9), sondern in fixer Dosis angewendet wird (2 bzw. 3 x täglich 2 mg). In zwei Arbeiten werden keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der durchschnittlichen Dauer des Durchfalls (19,5 h vs. 13,0 h5 bzw. 14,9 h vs. 13,7 h6) oder der mittleren Zahl der Durchfälle (3,5 vs. 2,96) errechnet. Gleichwertigkeit mit Loperamid ist damit jedoch nicht belegt, da die Studien darauf nicht angelegt waren. Die beiden anderen Untersuchungen7,8 sind methodisch so mangelhaft, dass sie keine Rückschlüsse auf den Nutzen von Racecadotril erlauben.* Bei Patienten mit Cholera lässt sich für das Antidiarrhoikum in doppelter Dosierung (6 x täglich 100 mg) kein Vorteil gegenüber Plazebo hinsichtlich Dauer des Durchfalls, Notwendigkeit einer intravenösen Rehydratationstherapie u.a. nachweisen.11

* In einer Studie7 werden die Teilnehmer beispielsweise mehrfach analysiert, da dort einzelne Durchfallepisoden innerhalb des Studienzeitraums ausgewertet werden – aber offenbar begrenzt auf maximal vier Erkrankungsphasen, wie in einem späteren Leserbrief10 erläutert wird. Die Angaben sind insgesamt derart widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, dass es erstaunt, dass diese Untersuchung in dieser Form überhaupt veröffentlicht wurde. Von der zweiten Studie ist nur eine nachträglich geplante und daher nicht aussagekräftige Analyse publiziert.8

Auch Vorteile in der Verträglichkeit sind im direkten Vergleich zu Loperamid nicht hinreichend belegt. In den Studien wird zwar ein (überwiegend numerisch) häufigeres Auftreten einer Obstipation unter dem Opioidagonisten hervorgehoben. Da für diese „Diagnose” jedoch bereits 368 bzw. 486 Stunden ohne Stuhlgang ausreichen (sofern überhaupt eine Definition angegeben wird), sind die Ergebnisse ohne klinische Relevanz. Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gehört Obstipation neben Kopfschmerzen zu den am häufigsten in Zulassungsstudien beobachteten Störwirkungen unter Racecadotril.12 Ein Kind entwickelt unter dem Enkephalinasehemmer einen Ileus.13 Nach der Zulassung sind vor allem Hypersensitivitätsreaktionen aufgefallen, darunter auch schwere.12

Schließlich lässt auch der Preis keinen Vorteil von Racecadotril erkennen: Eine Packung VAPRINO mit 10 Kapseln, ausreichend für die maximal zulässige dreitägige Behandlung, kostet 8,85 €. Rezeptfrei erhältliches Loperamid wird in der größten Packungsgröße (12 Kapseln zu 2 mg, ausreichend für die ohne Rezept erlaubte Höchstdosis von 12 mg täglich für maximal zwei Tage) bis zu 40% günstiger angeboten (LOPERHOE AKUT: 5,09 €). Für eine Packung mit 10 Kapseln, die in der Regel ausreichen dürfte, sind sogar bis zu 70% weniger aufzuwenden (LOPERAMID AL AKUT: 2,36 €).

Antidiarrhoika haben bei der symptomatischen Therapie akuter Durchfälle nur einen begrenzten Stellenwert. Im Vordergrund steht ein Ausgleich des Flüssigkeits- und Elektrolytverlusts. Wenn überhaupt ein Antidiarrhoikum in Betracht kommt, wird für Erwachsene in erster Linie Loperamid empfohlen.14

Da für Racecadotril (TIORFAN, VAPRINO) weder eine gleichwertige Wirksamkeit noch Vorteile in der Verträglichkeit hinreichend belegt sind, ziehen wir Loperamid (IMODIUM, Generika) bei der medikamentösen Durchfalltherapie Erwachsener vor, – Red.

  (R =randomisierte Studie)
1 Boehringer Ingelheim: Fachinformation VAPRINO, Stand Febr. 2013
2 Bioprojet: Fachinformation TIORFAN, Stand Juni 2012
3 BUCHHOLTZ, A. et al.: Pharm. Ztg. 2013; 158: 238-39
R    4 HAMZA, H. et al.: Aliment. Pharmacol. Ther. 1999; 13 (Suppl. 6): 15-9
R    5 WANG, H.-H. et al.: World J. Gastroenterol. 2005; 11: 1540-3
R    6 VETEL, J.M. et al.: Aliment. Pharmacol. Ther. 1999; 13 (Suppl. 6): 21-6
R    7 GALLELLI, L. et al.: Eur. J. Clin. Pharmacol. 2010; 66: 137-44
R    8 PRADO, D.: Scand. J. Gastroenterol. 2002; 37: 656-61
9 Janssen: Fachinformation IMODIUM, Stand Febr. 2012
10 GALLELLI, L.: Eur. J. Clin. Pharmacol. 2010; 66: 841-2
R  11 ALAM, N.H. et al.: Gut 2003; 52: 1419-23
12 BfArM: Präsentation bei der Sitzung des Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht am 27. Febr. 2012; http://www.a-turl.de/?k=auth
R  13 SALAZAR-LINDO, E. et al.: N. Engl. J. Med. 2000; 343: 463-7
14 World Gastroenterology Organisation: Acute diarrhea in adults and children: a global perspective, Stand Febr. 2012; http://www.a-turl.de/?k=andb

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 11. April 2014

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