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Anwendungsbeschränkung für Hydroxiethylstärke statt Marktrücknahme - Nischenindikation mit unzureichender Datenbasis

Nach einem komplizierten Verfahren hat der Ausschuss für Risikobewertung im Rahmen der Pharmakovigilanz (PRAC) seine Empfehlung vom Juni 2013, Infusionslösungen mit Hydroxiethylstärke (HES; HAES-STERIL u.a.) EU-weit vom Markt zu nehmen (a-t 2013; 44: 63), im Oktober revidiert:1* Nun soll HES nach der neuen Empfehlung des PRAC2 im Handel bleiben, aber nur noch sehr eingeschränkt verwendet werden dürfen. Bei kritisch kranken Patienten, Patienten mit Sepsis oder Verbrennungen sollen die Lösungen in Zukunft wegen des erhöhten Risikos der Nierenschädigung und Sterblichkeit kontraindiziert sein, ebenso bei Patienten mit Niereninsuffizienz. Als einziges Anwendungsgebiet soll Hypovolämie bei akutem Blutverlust verbleiben, wenn kristalloide Lösungen allein als nicht ausreichend angesehen werden.1 Der Ausschuss räumt allerdings ein, dass die Evidenz für diese Nischenindikation, die chirurgische oder Traumapatienten betreffen kann, sehr begrenzt ist: Die vorliegenden Daten stammen aus kleinen Studien mit kurzer Nachbeobachtung, nach denen HES vor allem im Hinblick auf hämodynamische Surrogatparameter Vorteile gegenüber kristalloiden Lösungen haben soll. Aussagekräftige Belege für klinisch relevante Vorteile der Stärkelösung in dieser Patientengruppe führt der Ausschuss in seinem im November veröffentlichten Bewertungsbericht3 nicht an. Auch zur Sicherheit von HES in der verbliebenen Nischenindikation ist auf der Basis der vorliegenden Daten keine zuverlässige Aussage möglich. Der Ausschuss fordert daher von den Anbietern jetzt große randomisierte Studien bei chirurgischen bzw. Traumapatienten, die auf die Sterblichkeit und Nierentoxizität nach 90 Tagen angelegt sind. Innerhalb von sechs Monaten nach Entscheidung der EU-Kommission über den Zulassungsstatus von HES, die derzeit noch aussteht, sollen die Studienprotokolle fertig sein, die Ergebnisse sollen Ende 2016 vorliegen.3 In einem offenen Brief an die EMA haben Anfang November 75 internationale Intensivmediziner gegen die Revision der ursprünglichen PRAC-Empfehlung protestiert. Zu Recht fragen die Autoren nach den klinischen Daten, die sicherstellen können, dass die bei kritisch Kranken beobachteten Risiken von HES, vor allem Nierentoxizität, Blutungsgefahr und erhöhte Sterblichkeit, Patienten mit alleiniger Hypovolämie nicht betreffen. Die Intensivmediziner bezweifeln beim derzeitigen Kenntnisstand sogar die ethische Zulässigkeit weiterer Studien mit HES.4 Wir befürworten weiterhin die Marktrücknahme. Wenn die Stärkelösungen im Markt bleiben, sollten sie unseres Erachtens allenfalls im Rahmen der vom PRAC geforderten Endpunktstudien verwendet werden, -Red.

1 EMA: Presseerklärung vom 25. Okt. 2013;
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Referrals_document/Hydroxyethyl_starch-containing_medicines_107/Position_provided_by_CMDh/WC500153118.pdf
2 EMA: Assessment report for solutions for infusion containing hydroxyethyl starch (Article 31), Stand 11. Nov. 2013;
http://www.ema.europa.eu/docs/ en_GB/document_library/Referrals_document/ Solutions_for_infusion_containing_hydroxyethyl_starch/ Recommendation_provided_by_Pharmacovigilance_Risk_Assessment_Committee/WC500154414.pdf
3 EMA: Assessment report for solutions for infusion containing hydroxyethyl starch (Article 107i), Stand 11. Nov. 2013;
http://www.ema.europa.eu/ docs/en _GB/document_library/ Referrals_document/Hydroxyethyl_starch-containing_medicines_107/ Recommendation_provided_by_Pharmacovigilance_Risk_Assessment_Committee/WC500154254.pdf
4 BELLOMO, R. et al.: Open Letter to the Executive Director of the European Medicines Agency concerning the licensing of hydroxyethyl starch solutions for fluid resuscitation, 4. Nov. 2013
* Durch den Einspruch der Hersteller einerseits und die von der britischen Arzneimittelbehörde auf die PRAC-Empfehlung hin vorgenommene Marktrücknahme von HES andererseits musste die PRAC-Empfehlung aufgrund rechtlicher Vorgaben in zwei parallelen Verfahren überprüft werden.1 Im ersten Verfahren hat der Ausschuss seine ursprüngliche Empfehlung der Marktrücknahme bestätigt,2 im zweiten nach Heranziehen weiterer Literatur und einer erneuten Anhörung von Experten dann aufgehoben.

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 6. Dezember 2013

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