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Korrespondenz

INHALATIVES NEUROLEPTIKUM LOXAPIN (ADASUVE) BEI AKUTER AGITATION?

Können Sie über das neue Inhalations-Neuroleptikum Loxapin (ADASUVE) eine erste Einschätzung abgeben?

N. GREVE (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie)
D-42659 Solingen
Interessenkonflikt: keiner

Akute Erregungszustände können als Komplikation beispielsweise bei Schizophrenie, Manie und Demenz, aber auch im Rahmen von Intoxikationen oder Entzugssyndromen auftreten. Sie äußern sich durch übermäßige motorische Aktivität mit hastigen, oft ziellosen Bewegungen verbunden mit einem Gefühl innerer Unruhe und Anspannung. Schwere Agitation kann mit Angstzuständen oder aggressivem Verhalten bis hin zu unkontrollierten Wutausbrüchen einhergehen, die sowohl den Betroffenen selbst als auch andere Personen gefährden und einen psychiatrischen Notfall darstellen können. Therapeutisch sollten zunächst, wenn möglich, nichtmedikamentöse Maßnahmen versucht werden: beruhigend auf den Patienten einwirken, für eine ruhige Umgebung sorgen u.a. Wird eine medikamentöse Behandlung erforderlich, sind bei psychiatrischer Grunderkrankung Antipsychotika Mittel der Wahl. Unterstützend kommt ein rasch wirksames Benzodiazepin wie Lorazepam (TAVOR, Generika) in Betracht. Die Therapie sollte möglichst per os erfolgen, eine intramuskuläre Anwendung bleibt vor allem stark erregten unkooperativen Patienten vorbehalten.1

Loxapin ist ein Neuroleptikum aus der Gruppe der Dibenzoxazepine, das als perorale und parenterale Zubereitung bereits seit den 1970er Jahren unter anderem in den USA und verschiedenen europäischen Ländern wie Frankreich im Handel ist. Die antipsychotischen Effekte sollen hauptsächlich über einen Antagonismus an Dopamin-D2-Rezeptoren vermittelt werden. Daneben hat es antiserotonerge, anticholinerge und antialphaadrenerge Eigenschaften.2 Seit Mai 2013 wird Loxapin als Inhalat (ADASUVE) zur schnellen Kontrolle leichter bis mittelschwerer Agitiertheit bei Erwachsenen mit Schizophrenie oder bipolarer Störung angeboten.3 Es darf nur in einem Krankenhaus und unter Aufsicht von speziell geschultem2 medizinischen Fachpersonal angewendet werden. Dabei muss wegen des Risikos schwerwiegender respiratorischer Störwirkungen (Bronchospasmen) eine bronchodilatatorische Therapie mit einem kurzwirkenden Betamimetikum verfügbar sein. Zudem sind die Patienten nach jeder Dosis - erlaubt sind maximal zwei im Abstand von mindestens zwei Stunden - eine Stunde lang auf Anzeichen und Symptome von Bronchospasmen zu überwachen.3

Die Zulassung basiert auf zwei Phase-III-Studien an 344 Patienten mit Schizophrenie4 und 314 Patienten mit bipolarer Störung5, in denen die Inhalation von 9,1 mg Loxapin überwiegend mittelgradige Agitiertheit signifikant besser kontrolliert als Plazebo, gemessen am Rückgang der Punktzahl auf der validierten PANSS-EC-Skala* nach zwei Stunden (primärer Endpunkt; Rückgang von eingangs im Mittel 17,3 bis 17,7 Punkte um 8,6 bzw. 9,0 Punkte versus 5,5 bzw. 4,9 Punkte unter Plazebo).2 Erste Effekte sind dabei bereits zehn Minuten nach der Inhalation messbar.4,5**

Sowohl bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA als auch bei der US-amerikanischen FDA wurden starke Zweifel an der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den klinischen Alltag laut.2,6 So erfordert bereits die Handhabung des Geräts eine gewisse Kooperation der Patienten.2,6 Zudem geht in den Studien der Randomisierung eine bis zu zweiwöchige Screeningphase voraus, in der unter anderem die Inhalation mit einem Modell geübt wurde.6 Nach einer retrospektiven Analyse der FDA wurden offenbar weniger als 3% der Patienten in einer Notaufnahme rekrutiert. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer kam aus eigenem Antrieb in ein Studienzentrum, ein Drittel wurde vom behandelnden Arzt dorthin überwiesen.6 Zum Zeitpunkt der Randomisierung bestand die ”akute” Episode bei den Patienten mit Schizophrenie im Durchschnitt seit etwa einer Woche (6,1 bis 7,6 Tage)4 und bei denen mit bipolarer Störung seit etwa zwei Wochen (9,7 bis 16,0 Tage).5 Der mögliche Vorteil eines schnelleren Wirkungseintritts - der ohnehin nicht hinreichend belegt ist, da keine einzige verumkontrollierte Studie durchgeführt wurde2,6 - wird angesichts dieser Vorlaufzeiten bedeutungslos. Zudem sind gerade schwer agitierte Patienten, die oft wenig kooperativ sind, bei denen ein rascher Therapieeffekt aber besonders wichtig ist und für die Loxapin theoretisch eine nichtinvasive Alternative zu einer intramuskulären Anwendung eines Neuroleptikums darstellen könnte, nicht in den Studien vertreten. Loxapin ist für diese daher auch nicht zugelassen.2

Auch bei der Frage der Sicherheit des Loxapin-Inhalats wird das Problem der mangelnden Übertragbarkeit der Studiensituation auf den klinischen Alltag deutlich: In Phase-I-Studien fällt eine erhebliche Lungentoxizität vor allem - aber nicht nur - bei Patienten mit Asthma oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) auf. 54% der Asthmapatienten entwickeln bronchospastische Symptome, darunter Husten, Giemen und Luftnot. Von den Patienten mit COPD klagen 19% darüber. Die Ereignisse treten überwiegend innerhalb von 25 Minuten nach der Anwendung auf und erfordern mehrheitlich die Inhalation eines Bronchodilatators.2 Die Einsekundenkapazität (FEV1) nimmt in beiden Patientengruppen bei rund 80% um mindestens 10% ab und bei rund 40% um mindestens 20%. Bei gesunden Probanden betrifft dies immerhin 33% bzw. 7%.7 Bei der FDA wurde nie zuvor die Zulassung für ein Produkt beantragt, das derart häufig Bronchospasmen auslöst.6 In den Phase-III-Studien wird die lange Screeningperiode auch dafür genutzt, Patienten mit Lungenerkrankungen möglichst vollständig zu identifizieren und auszuschließen. Dennoch entwickeln auch unter diesen idealen Bedingungen vier Loxapin-Anwender aus der Schizophrenie-Studie Störwirkungen im Bereich der Atemwege, darunter ein Patient eine behandlungsbedürftige Bronchospastik. In der Akutsituation im Krankenhaus dürfte es ungleich schwieriger sein, bei einem erregten, oft psychotischen Patienten eine entsprechende Anamnese zu erheben, eine körperliche Untersuchung durchzuführen oder Vorbefunde zu erhalten.6

Fraglich ist, ob die nach der Inhalation vorgesehene Überwachung der Patienten die Sicherheit tatsächlich entscheidend verbessert: Mitarbeiter der FDA geben beispielsweise zu bedenken, dass Patienten wegen einer Psychose oder aufgrund der Sedierung durch das Neuroleptikum möglicherweise nicht in der Lage sind, respiratorische Symptome zu berichten. Andererseits können sie auf Atemwegsbeschwerden mit erneuter Agitation reagieren. Auch die Inhalation eines bronchodilatatorischen kurzwirkenden Betamimetikums kann einen Erregungszustand verstärken.6 In den USA ist daher ausdrücklich eine körperliche Untersuchung einschließlich Auskultation der Lunge in mindestens 15-minütigen Intervallen für mindestens eine Stunde nach Anwendung vorgeschrieben.7

Eine echte Herausforderung stellen aber nicht nur die fragliche Handhabbarkeit des Inhalats in der Praxis und die Sicherheitsprobleme dar, sondern auch der Preis: Eine Anwendung kostet 99,50 € und damit mehr als das 100-Fache eines preiswerten Haloperidol- oder Risperidon-Generikums (z.B. HALOPERIDOL GRY: 0,65 € für 5 mg [20 Tabletten 12,95 €], RISPERIDON ABZ: 0,69 € für 2 mg [20 Tabletten 13,71 €]). Zudem wird Loxapin in einem speziellen Einzeldosis-Inhalator angeboten, der nach Aktivierung innerhalb von 15 Minuten angewendet werden muss, um eine automatische Deaktivierung des Geräts zu vermeiden.3 Gelingt dies nicht, sind 100 € vergeudet.

∎  Das neue Inhalations-Neuroleptikum Loxapin (ADASUVE) soll leichte bis mittelschwere akute Erregungszustände bei Schizophrenie oder bipolarer Störung rasch kontrollieren.

∎  Ob die Handhabung des Gerätes, die in den Studien mehrfach erklärt und geübt wurde, in der Akutsituation überhaupt gelingt, ist fraglich.

∎  Gerade bei schwer agitierten, wenig kooperativen Patienten, bei denen ein schneller Wirkungseintritt besonders wichtig ist, ist inhalatives Loxapin nicht geprüft und auch nicht zugelassen.

∎  Direkte Vergleiche mit anderen Neuroleptika fehlen.

∎  Der Anwendung stehen ausgeprägte Sicherheitsbedenken (Bronchospasmen) entgegen. Ob die vorgesehenen umfangreichen Maßnahmen zur Risikominimierung ausreichen, ist zweifelhaft.

∎  Der Preis des Loxapin-Inhalats ist exorbitant.

∎  Wir raten von der Anwendung ab.

  (R = randomisierte Studie)
 1WILSON, M.P. et al.: West. J. Emerg. Med. 2012; 13: 26-34
 2EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) ADASUVE, Stand Dez. 2012
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Public_assessment_report/human/002400/WC500139407.pdf
 3Trommsdorff: Fachinformation (SPC) ADASUVE, Stand Febr. 2013
R4LESEM, M.D. et al.: Brit. J. Psychiatry 2011; 198: 51-8
R5KWENTUS, J. et al.: Bipolar Disord. 2012; 14: 31-40
 6FDA: Psychopharmacologic Drugs Advisory Committee Meeting vom 12. Dez. 2011 (Transkript);
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommitte es/CommitteesMeetingMaterials/Drugs/PsychopharmacologicDrugsAdvisoryCommittee/UCM288711.pdf
 7Alexza: US-amerik. Produktinformation ADASUVE, Stand Dez. 2012

 *PANSS-EC = Positive and Negative Syndrome Scale-Excited Component. Enthält fünf Kategorien (mangelnde Impulskontrolle, Anspannung, Feindseligkeit, unkooperatives Verhalten und Erregung), in denen jeweils 1 Punkt (unauffällig) bis 7 Punkte (extrem ausgeprägt) vergeben werden, maximale Punktzahl 35 Punkte. Eingeschlossen wurden Patienten mit mindestens 14 Punkten.4,5
 **In den Studien werden in einem weiteren Arm 4,5 mg Loxapin geprüft, die ebenfalls deutlich besser abschneiden als Plazebo. In einer Phase-II-Studie ließ sich dafür jedoch kein signifikanter Vorteil gegenüber Scheinmedikament sichern.2 Laut Fachinformation darf die 4,5-mg-Dosis hierzulande nur angewendet werden, wenn nach Inhalation von 9,1 mg Loxapin eine erneute Behandlung erforderlich ist und die höhere Dosis nicht vertragen wurde oder der Arzt eine niedrigere Dosis für angemessen hält.3 Sie wird aber derzeit gar nicht angeboten. In den USA ist diese Dosis nicht zugelassen.

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 16. August 2013

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