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Therapiekritik

ZUM WECHSEL AUF GENERIKA IN DER ANTIEPILEPTISCHEN THERAPIE

Generische Arzneimittel sind wirkstoffgleiche Kopien von bereits im Handel befindlichen Originalpräparaten. Mit den Generika kommt es nach Ablauf des Patentschutzes für Originale zu einem Preiswettbewerb und damit in der Regel zu deutlichen Kostensenkungen. Wie bei den Originalen setzt die Zulassung von Generika den Nachweis der pharmazeutischen Qualität voraus. Wirksamkeit und Sicherheit gelten dagegen als belegt, wenn das Generikum mit dem Original bioäquivalent ist, das heißt, wenn sein Wirkstoff mit ähnlicher Geschwindigkeit und in ähnlichem Ausmaß im Körper verfügbar ist wie beim Original. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass bei zwei Arzneimitteln mit identischem Wirkstoff und gleicher Konzentrations-Zeit-Kurve der aktiven Substanz im Plasma auch die Konzentration am Wirkort und damit der therapeutische Effekt gleich ist.1

Die Bioäquivalenz peroraler Generika wird in der Regel in Cross-over-Studien mit mindestens 12 gesunden Probanden geprüft, die von Prüf- und Referenzpräparat je eine Einzeldosis einnehmen.* Geschwindigkeit und Ausmaß der Absorption werden in erster Linie durch Messung der Spitzenspiegel (Cmax) und der Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (Area under the Curve = AUC) bestimmt. Bioäquivalenz wird attestiert, wenn der 90%ige Vertrauensbereich um den mittleren Test-Referenz-Quotienten für beide Parameter innerhalb eines Akzeptanzbereichs von 80% bis 125% liegt. Dieser Bereich leitet sich daraus ab, dass, um zugelassen zu werden, die Bioverfügbarkeit des Testpräparates nicht mehr als 20% unter der des Referenzpräparates liegen darf und umgekehrt die des Referenzpräparates nicht mehr als 20% unter der des Testpräparates, also jeweils mindestens 80% betragen muss. Konzentrationsschwankungen bis zu 20% gelten bei den meisten Arzneimitteln als klinisch irrelevant. Werden die Schwankungsgrenzen beide als Test-Referenz-Quotient ausgedrückt, wie es aus Konvention geschieht, ergibt sich 125% für die obere Grenze (Kehrwert von 80%).1,2

Fälschlicherweise wird der Akzeptanzbereich für die Bioäquivalenz häufig so interpretiert, dass die Bioverfügbarkeit von Generikum und Original sich (im Extremfall) um 45% unterscheiden könnten. Dabei handelt es sich um ein Missverständnis. Da beide erlaubten Schwankungsbereiche nach unten bis auf 80% und nach oben bis auf 125% auf das Original bezogen sind, dessen Bioverfügbarkeit dabei als 100% gesetzt ist, ist es unsinnig, sie zu addieren. Da zudem die 90%igen Konfidenzintervalle innerhalb dieser Grenzen liegen müssen, fällt die Differenz der Mittelwerte selbst noch geringer aus: Nach Untersuchungen der FDA unterscheiden sie sich im Durchschnitt faktisch um etwa 4%, und bei 92% bzw. 98% der Tests liegen die mittleren Spitzenspiegel bzw. Konzentrations-Zeit-Kurven um weniger als 10% auseinander.1 Solche Variationen können sich aber auch bei ein und demselben Präparat ergeben - zwischen verschiedenen Chargen oder im Verlauf der Haltbarkeitsdauer einer Charge -, da auch der Wirkstoffgehalt eines Arzneimittels Schwankungen unterliegt, und Abweichungen bis zu 5% unter- und oberhalb der deklarierten Menge erlaubt sind. Allerdings kann die Durchschnitts-Bioäquivalenz keine absolute Sicherheit dafür bieten, dass beim einzelnen Patienten durch die Umstellung nicht größere Schwankungen ausgelöst werden. Auch kann der Unterschied zwischen zwei generischen Produkten, die beide mit dem Original bioäquivalent sind, größer sein als der zum Original.4

Während die Sicherheit der Substitution von Originalen durch Generika in den meisten Bereichen der Arzneimitteltherapie unstrittig ist, können bestimmte Arzneimittel, z.B. solche mit geringer therapeutischer Breite, ein Problem für den Austausch darstellen. Für Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite schreibt die europäische Arzneimittelbehörde EMA inzwischen einen enger begrenzten Akzeptanzbereich von 90% bis 111% vor, zumindest für die AUC, wenn erforderlich auch für die Cmax.2

Eine seit Jahren kontrovers geführte Diskussion ist die um die Austauschbarkeit von Markenpräparaten durch Generika in der antiepileptischen Therapie. Die Gründe sind nicht ganz klar. Die Markenhersteller haben einen wahrscheinlich nicht zu gering zu veranschlagenden Anteil an der Debatte. In den letzten zehn Jahren haben neue umsatzstarke Antiepileptika wie Gabapentin (NEURONTIN, Generika) und Lamotrigin (LAMICTAL, Generika) ihren Patentschutz verloren und liegen generisch vor. Warnungen von Seiten der Originalanbieter oder ihrer Meinungsbildner vor den Gefahren eines Wechsels begleiteten beispielsweise in Deutschland die Einführung von Generika sowohl zu Gabapentin als auch zu Lamotrigin. Drohungen wie die von Pfizer mit der Gefährdung schon durch "kleinste Schwankungen des Wirkstoffspiegels" dürften eine rationale Debatte nicht gerade gefördert haben (a-t 2003; 34: 77 und 2005; 36: 49-50).

Sicher ist, dass einem Therapieversagen der oft lebenslang erforderlichen Antiepileptika große klinische Bedeutung zukommt: Jeder erneute Krampfanfall kann gravierende Folgen haben, nicht nur potenziell lebensbedrohliche Verletzungen, sondern vor allem bei zuvor erzielter Anfallsfreiheit auch Folgen zum Beispiel für die berufliche Laufbahn. Die erfolgreiche Einstellung kann bei einem Teil der Patienten zudem schwierig sein. Anders als vielfach unterstellt, gelten Antiepileptika aber nicht allgemein als Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite.4 Unstrittig ist, dass Phenytoin (PHENHYDAN, Generika) in diese Kategorie gehört.4-7 Die internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) sowie die FDA zählen ausdrücklich auch Carbamazepin (TEGRETAL, Generika) dazu,6,7 andere Autoren auch Valproat (ERGENYL, Generika).8 Von den neuen Antiepileptika wird jedoch - soweit wir sehen - allenfalls Felbamat (TALOXA) dazu gerechnet.8

Von den verfügbaren Antiepileptika hat zudem die Mehrheit eine hohe Löslichkeit und ein hohes Permeationsvermögen und gehört damit zur BCS**-Klasse I. Ausnahmen sind Phenytoin, Carbamazepin, Clonazepam (RIVOTRIL u.a.), Primidon (LISKANTIN u.a.), Felbamat und Oxcarbazepin (TRILEPTAL, Generika; BCS-Klasse II = geringe Löslichkeit, hohes Permeationsvermögen) sowie Gabapentin (BCS-Klasse III = hohe Löslichkeit, geringes Permeationsvermögen).9,10*** Bei schnell freisetzenden Präparaten der BCS-Klasse I gilt ein Einfluss von Hilfsstoffen auf die Bioverfügbarkeit als sehr unwahrscheinlich.2

Eine Auswertung von Bioäquivalenzstudien zu den von der FDA zugelassenen generischen Antiepileptika bestätigt die in der Regel geringe Differenz zwischen Original und Nachfolgern: Gemessen an den 90%igen Konfidenzintervallen unterscheiden sich AUC in 99% und Cmax in 89% der Studien um weniger als 15%. Im indirekten Vergleich ergeben sich zwischen den verschiedenen Generika etwas größere Variationen.11 Diese dürften aber aufgrund des indirekten Vergleichs überschätzt sein.12 Ähnlich die Ergebnisse einer entsprechende Debatte von Mitarbeitern der niederländischen Arzneimittelbehörde zu Gabapentin- und Topiramat (TOPAMAX)-Generika. Die Niederländer weisen zudem darauf hin, dass viele Generika auf der Basis ein und derselben Bioäquivalenzstudie zugelassen werden, und es sich somit trotz unterschiedlicher Namen um identische Produkte handelt. Nachvollziehen lässt sich dies für Verordner und Anwender jedoch nicht (a-t 2005; 36: 53-4).13

Die Bioverfügbarkeitsdaten bieten somit wenig Erklärung für die anhaltende Debatte über unerwünschte Effekte nach Wechsel von Markenantiepileptika auf Generika. Auch nach Metaanalysen der wenigen randomisierten kontrollierten Studien, die allerdings klein und von geringer Aussagekraft sind, ergibt sich kein Hinweis auf reduzierte klinische Wirksamkeit generischer Antiepileptika im Vergleich mit Originalen.14,15 In neuerer Zeit ist eine Reihe von zumeist von Originalanbietern gesponserten Beobachtungsstudien erschienen. Die Ergebnisse sind widersprüchlich. In der Mehrzahl der Arbeiten ergibt sich aber eine erhöhte Inanspruchnahme medizinischer Versorgung wegen Krampfanfällen oder unerwünschter Effekte nach Wechsel auf ein Generikum.14-16 Bei diesen offenen retrospektiven Studien bleibt jedoch unklar, inwieweit insbesondere die verbreiteten Vorbehalte gegenüber generischen Antiepileptika bei Ärzten und Patienten, wie sie in mehreren Umfragen zum Ausdruck kommen,17,18 zu den Ergebnissen beigetragen haben: Die negative Einstellung kann dazu führen, dass unerwünschte Effekte vermehrt dem Wechsel zugeschrieben werden. Vorbehalte, Ängste oder Verunsicherung durch den Wechsel können zudem Noncompliance begünstigen.14,19-21 In diese Richtung weisen die Ergebnisse einer aktuellen Fall-Kontroll-Studie, nach der eine Änderung der Farbe der verordneten Antiepileptika das Risiko der Non-Compliance signifikant erhöht (Odds Ratio 1,27; 95% Konfidenzintervall 1,04-1,55).22 Von verschiedenen Seiten werden inzwischen zur Klärung der Frage aussagekräftige randomisierte und verblindete Studien zu den klinischen Folgen des Wechsels von Antiepileptika-Originalen auf Generika gefordert, die aber bislang nicht vorliegen.

Nationale und internationale Fachgesellschaften mahnen mit jeweils etwas unterschiedlichen Empfehlungen zur Vorsicht bei der Umstellung von Originalen auf Generika in der antiepileptischen Therapie.4 Laut Fachinformation zu Phenytoin darf ein Wechsel auf andere Phenytoinzubereitungen nur unter engmaschiger Kontrolle der Serumspiegel vorgenommen werden.23 Das britische BNF****, ein Arzneimittelkompendium, das anders als die hiesige Rote Liste von medizinischen Fachgesellschaften herausgegeben wird, empfiehlt, den Präparatewechsel bei Carbamazepin und - bei einigen Patienten - auch bei Phenytoin zu meiden.24 Vorsicht ist zudem auch bei der Umstellung von Valproinsäure-Zubereitungen geboten, insbesondere zwischen Präparaten, die als freie Säure (CONVULEX 300, Generika) oder als Salz (ORFIRIL, Generika) vorliegen: Die Dosisangaben beziehen sich je nach Zubereitung auf die Säure allein oder auf das Salz. Das Salz enthält demgemäß bei gleicher Dosisangabe weniger Wirkstoff.

Bestimmte Generika-Anbieter, z.B. ratiopharm, stellen in den Fachinformationen die Ergebnisse der Bioäquivalenzprüfungen dar. Dies sollte unseres Erachtens der Standard sein.

Uns scheint folgendes Vorgehen vernünftig: Bei Neueinstellungen auf Antiepileptika sollten günstige Generika gewählt werden. Grundsätzlich kann auch auf ein Generikum umgestellt werden, insbesondere wenn noch keine stabile Anfallskontrolle erreicht ist. Bei Phenytoin (PHENHYDAN, Generika) und Carbamazepin (TEGRETAL, Generika) sollte eine Umstellung aber möglichst vermieden werden, auch bei Valproat (ORFIRIL, Generika) ist Vorsicht geboten.

Die Umstellung sollte in jedem Fall unter Aufklärung und mit Einverständnis der Patienten erfolgen, um nicht das Vertrauen in die Arzneimittel zu untergraben und die Compliance zu gefährden. Aus diesem Grund raten wir auch von mehrfachem Wechsel sowie von automatischer Substitution zum Beispiel im Rahmen von Rabattverträgen ab. Besondere Vorsicht bei etwaiger Umstellung ist bei Patienten mit Anfallsfreiheit angezeigt.

  (M = Metaanalyse)
1 DAVIT, B.M. et al.: Ann. Pharmacother. 2009; 43: 1583-97
2 EMA: Guideline on the investigation of bioequivalence, Jan. 2010
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/ Scientific_guideline/2010/01/WC500070039.pdf
3 EMA: Note for guidance on modified release oral and transdermal dosage forms: section II (pharmacokinetic and clinical evaluation), Juli 1999
http://www.emea.europa.eu/docs/en_GB/document_library/ Scientific_guideline/2009/09/WC500003126.pdf
4 BIALER, M., MIDHA, K.K.: Epilepsia 2010; 51: 941-50
5 Health Canada: Guidance Document. Comparative Bioavailability Standards: Formulations Used for Systemic Effects, Mai 2012
http://www.hc-sc.gc.ca/dhp-mps/alt_formats/ pdf/prodpharma/applic-demande/guide-ld/bio/gd_standards_ld_normes-eng.pdf
6 PATSALOS, P.N. et al.: Epilepsia 2008; 49: 1239-76
7 FDA: Diavortrag Advisory Committee Meeting 26. Juli 2011
http://www.fda.gov/downloads/ AdvisoryCommittees/CommitteesMeetingMaterials/Drugs/ AdvisoryCommitteeforPharmaceuticalScienceandClinicalPharmacology/ UCM266777.pdf
8 JOHANNESSEN, S.I. et al.: Clin. Pharmacokinet. 2006; 45: 1061-75
9 ANDERSON, G.D. et al.: Ther. Drug Monit. 2008; 30: 173-80
10 EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) VIMPAT, Stand Sept. 2008
http://www.emea.europa.eu/docs/en_GB/document_library/ EPAR_-_Public_assessment_report/human/000863/WC500050341.pdf
11 KRAUSS, G.L. et al.: Ann. Neurol. 2011; 70: 221-8
12 BOYLAN, L.S., GAGNE, J.J.: Ann. Neurol. 2012; 71: 284-5
13 MALIEPAARD, M. et al. : Eur. J. Clin. Pharmacol. 2011; 67: 1007-16
M  14 KESSELHEIM, A.S. et al.: Drugs 2010; 70: 605-21
M  15 TALATI, R. et al.: Pharmacotherapy 2012; 32: 314-22
16 YAMADA, M., WELTY, T.E.: Ann. Pharmacother. 2011; 45: 1406-15
17 WILNER, A.N.: Epilepsy Behav. 2004; 5: 995-8
18 PAPSDORF, T.B. et al. : Epilepsy Behav. 2009; 14: 150-3
19 BESAG, F.M.C.: Neurology 2010; 74: 1562-3
20 MINTZER, S.: Epilepsy Currents 2011; 11: 54-5
21 MALIEPAARD, M. et al.: J. Neurol. 2009; 256: 1966-71
22 KESSELHEIM, A.S. et al.: JAMA Intern. Med. 2013; 173: 202-8
23 Desitin: Fachinformation PHENHYDAN, Stand Dez. 2012
24 British National Formulary 65, Stand März bis Sept. 2013
25 EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) DIACOMIT, Stand Jan. 2009
http://www.emea.europa.eu/docs/en_GB/document_library/ EPAR_-_Scientific_Discussion/human/000664/WC500036521.pdf

* Bei Retardpräparaten werden außerdem Prüfungen mit Mehrfacheinnahme ("Steady State") und zum Einfluss der Nahrung auf die Absorption gefordert.3
** BCS = Biopharmaceutics Classification System: erfasst Löslichkeit und Permeationsvermögen von Arzneimitteln in vier Klassen
*** Zu Mesuximid (PETINUTIN), dem Orphan Drug Stiripentol (DIACOMIT) sowie zu Sultiam (OSPOLOT) finden wir keine Einordnung.
Stiripentol ist schlecht löslich.25 Zu keinem der drei Antiepileptika gibt es Nachfolgepräparate.
**** BNF = British National Formulary

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 10. Mai 2013

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