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Kurz und bündig

Oxidativer Stress - im Wesentlichen nur ein Laborbefund?

Oxidativer Stress und freie Radikale - das sind Schlagwörter, mit denen seit Jahren Nahrungsergänzungsmittel propagiert werden. Freie Radikale, also in Zellen entstehende reaktive Sauerstoffverbindungen, sollen zu Krankheiten wie Morbus ALZHEIMER, Immunschwäche und Krebs beitragen und den Organismus vorzeitig altern lassen. Nahrungsergänzungen mit Vitaminen, Enzymen und/oder Pflanzenstoffen werden als Antioxidanzien vermarktet, die freie Radikale unschädlich machen sollen. Klinische Belege für den Nutzen fehlen. Das Ausmaß von oxidativem Stress wird oft mit der Menge oxidierten Glutathions gleichgesetzt, das in Ganzzellextrakten in vitro bestimmt wird. Erstmals haben jetzt Autoren des Deutschen Krebsforschungszentrums (dkfz) oxidiertes Glutathion in intakten Zellen bestimmt, zunächst in Hefezellen, dann auch in Säugetier- und Krebszellen. Demnach wird oxidiertes Glutathion rasch aus dem Zellplasma, in dem die Stoffwechselvorgänge der Zelle ablaufen, in die Vakuolen transportiert. Das Zellplasma bleibt dadurch vor oxidativem Schaden verschont, kommentiert das dkfz. Die Menge des oxidierten Glutathions, das - wie bislang üblich - aus Ganzzellextrakten bestimmt wurde, erlaubt somit keinen Rückschluss, ob Zellen oxidativem Stress ausgesetzt sind oder nicht. Ergebnisse und Interpretationen älterer Studien sind daher neu zu bewerten (MORGAN, B. et al.: Nature Chem. Biol., publ. online Dez. 2012: DOI:10.1038/ NCHEMBIO.1142 und DICK, T. [dkfz]: Sicherheitsverwahrung für Oxidantien. Mitteilung Nr. 66 vom 17. Dez. 2012). Auch die häufig geäußerte Vermutung, dass schädliche Oxidanzien den Alterungsprozess beschleunigen, können die dkfz-Forscher nicht bestätigen. Sie haben dafür den Oxidationsstatus von Zellen lebender Fruchtfliegen (Drosophila) in verschiedenen Altersphasen untersucht und finden keinen Hinweis auf eine Beeinflussung der Lebensdauer durch oxidativen Stress. Mehr noch: Werden die Fliegen mit antioxidativ wirkendem N-Azetylzystein gefüttert, steigt in verschiedenen Geweben überraschenderweise sogar die Bildung oxidativer Verbindungen an (ALBRECHT, S.C. et al.: Cell Metab. 2011; 14: 819-29 und dkfz: Oxidativer Stress: harmloser als gedacht? Mitteilung Nr. 65 vom 5. Dez. 2011). Die Relevanz solcher Ergebnisse der Grundlagenforschung für den Menschen ist zurückhaltend zu bewerten. Die Befunde passen aber zu Ergebnissen klinischer Studien, in denen erwartete gesundheitsfördernde Effekte von Antioxidanzien ausgeblieben sind. Stattdessen ist beispielsweise für Vitamin E ein erhöhtes Risiko beschrieben, an einem Prostatakarzinom zu erkranken (a-t 2011; 42: 99) oder einen hämorrhagischen Schlaganfall zu erleiden, und für Betakarotin bei Rauchern eine Steigerung der Lungenkrebsrate und der Gesamtsterblichkeit (a-t 2006; 37: 15). Die Einnahme hochdosierter Antioxidanzien verschlechtert das Ansprechen von Krebspatienten auf Bestrahlungen und verkürzt ihre Überlebenszeit (a-t 2008; 39: 123-4). Daher raten wir von der Einnahme von Antioxidanzien ab, -Red.

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 18. Januar 2013

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