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Therapiekritik

LEVOFLOXACIN (TAVANIC, GENERIKA): Indikationseinschränkung und Warnhinweise

Im Zuge der EU-weiten Harmonisierung der Fachinformationen zum Originalpräparat des Gyrasehemmers Levofloxacin (TAVANIC)* sind jetzt die akute bakterielle Sinusitis, die Exazerbation einer chronischen Bronchitis, die ambulant erworbene Pneumonie und komplizierte Haut- und Weichteilinfektionen ausdrücklich nur noch Reserveindikationen.1 Bislang war TAVANIC im Unterschied zu den Levofloxacin-Generika bei den Atemwegsinfektionen immer noch als Erstwahlmittel zugelassen. Die Indikationseinschränkung ist zu begrüßen. Bei rationaler Antibiotikatherapie sollten verträglichere Mittel mit einem weniger breiten Wirkspektrum an erster Stelle stehen: In erster Linie ein Aminopenizillin mit oder ohne Betalaktamaseinhibitor** bei Exazerbation einer chronischen Bronchitis oder ambulant erworbener Pneumonie, ebenso bei akuter bakterieller Sinusitis, wenn hier überhaupt ein Antibiotikum erforderlich ist.2-5

Nicht nachvollziehbar ist, dass Levofloxacin für die unkomplizierte Zystitis weiterhin uneingeschränkt zugelassen ist. Hier wird das Mittel in der Regel gar nicht gebraucht, geschweige denn als Erstwahloption (vgl. a-t 2011; 42: 66-8). Auch bei Pyelonephritis und komplizierten Harnwegsinfektionen, für die Levofloxacin nach wie vor die uneingeschränkte Zulassung besitzt, hat der Standardgyrasehemmer Ciprofloxacin (CIPROBAY, Generika), dessen Wirkspektrum stärker auf gramnegative Keime beschränkt ist, Vorrang.

Die Fachinformationen werden um Warnhinweise auf verschiedene schwere Störwirkungen ergänzt.1 Dies betrifft insbesondere tödliches Leberversagen, hypoglykämisches Koma, ventrikuläre Arrhythmien wie Torsade de pointes und Herzstillstand, Pankreatitis sowie zum Teil lebensbedrohliche Verschlechterung bei Patienten mit Myasthenia gravis, bei denen Levofloxacin jetzt nicht mehr empfohlen wird.1,6

Nach einer kanadischen Fallkontrollstudie könnte Levofloxacin bei Älteren mit einem ähnlich hohen Risiko für schwere Leberschäden einhergehen wie Moxifloxacin (AVALOX), vor dessen hepatotoxischem Potenzial bereits vor vier Jahren gewarnt wurde (a-t 2008; 39: 88).7 Das BfArM erfasst aus dem Inland 13 Berichte über Leberversagen (davon 6 tödlich) unter Levofloxacin und 25 (12 tödlich) unter Moxifloxacin, aus dem Ausland 19 (8) bzw. 41 (14) Berichte.8

Gyrasehemmer können Störungen des Blutzuckerstoffwechsels mit Hyper- und Hypoglykämie verursachen, vor allem bei Patienten unter antidiabetischer Therapie. Besonders riskant war in dieser Hinsicht das inzwischen aus dem Handel gezogene Gatifloxacin (außer Handel: BONOQ). Unter den verbliebenen Gyrasehemmern scheint nach den vorliegenden Beobachtungsstudien in erster Linie Levofloxacin mit erhöhtem Risiko einer Dysglykämie einherzugehen.9 Bei Diabetespatienten müssen die Blutzuckerwerte unter der Anwendung sorgfältig überwacht werden.6

QT-Verländerung mit der möglichen Folge von Torsade de pointes ist ein Klasseneffekt der Gyrasehemmer. Das proarrhythmische Potenzial unterscheidet sich zwischen den einzelnen Vertretern jedoch. Sparfloxacin (außer Handel: ZAGAM) und Grepafloxacin (außer Handel: VAXAR) mussten wegen Kardiotoxizität aus dem Handel gezogen werden (vgl. a-t 1999; Nr. 11: 120). Im Spontanerfassungssystem der FDA zeigt sich unter den drei häufig verordneten verbliebenen Gyrasehemmern eine ähnlich auffällige Häufung von Verdachts berichten über Torsade de pointes wie unter Makroliden, am deutlichsten unter Moxifloxacin, gefolgt von Levofloxacin und Ciprofloxacin.9

Bereits seit Anfang 2011 enthalten die US-amerikanischen Produktinformationen zu Gyrasehemmern eine so genannte boxed warning, die schärfste Form der Warnung, vor Verschlechterung einer Myasthenia gravis.11 Gyrasehemmer können die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigen, der genaue Wirkmechanismus ist nicht bekannt. Es scheint sich um einen Klasseneffekt zu handeln. Im Spontanerfassungssystem der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA ist Verschlechterung einer Myasthenia gravis mit zum Teil beatmungspflichtiger Ateminsuffizienz oder Tod in Verbindung mit sieben verschiedenen Gyrasehemmern beschrieben, am häufigsten unter den meistverordneten Vertretern Levofloxacin (9), Ciprofloxacin und Moxifloxacin (jeweils 6). Rasche Erholung nach Absetzen und Wiederauftreten der Beschwerden nach Reexposition in mehreren Berichten sprechen für einen kausalen Zusammenhang.12 Hiesige Fachinformationen zu Gyrasehemmern enthalten bislang nur unzureichende Hinweise auf diese Schadwirkung: Nur in Fachinformationen zu Norfloxacin (NORFLOXACIN ABZ u.a. Generika) wird auf die potenziell lebensbedrohlichen Folgen hingewiesen, jedoch ohne eine Indikationseinschränkung für Norfloxacin bei Myasthenia gravis.13

∎  Der Gyrasehemmer Levofloxacin (TAVANIC, Generika) ist ein für schwere bakterielle Atemwegsinfektionen wichtiges Reserveantibiotikum.

∎  Es ist zu begrüßen, dass sein Reservestatus in diesem Indikationsbereich jetzt auch beim Originalpräparat TAVANIC durch die Zulassung festgeschrieben ist.

∎  Es ist nicht nachvollziehbar, dass Levofloxacin bei Harnwegsinfekten nach wie vor uneingeschränkt zugelassen ist. Bei unkomplizierter Zystitis wird das Mittel gar nicht benötigt. Bei Pyelonephritis oder kompliziertem Harnwegsinfekt hat Ciprofloxacin (CIPROBAY, Generika) Vorrang.

∎  In der aktuellen Fachinformation von TAVANIC wird jetzt erstmals oder verschärft vor Leberschäden bis hin zu tödlichem Leberversagen, Dysglykämien einschließlich hypoglykämischem Koma, Herzrhythmusstörungen, Pankreatitis sowie vor zum Teil lebensbedrohlicher Verschlechterung einer Myasthenia gravis unter Levofloxacin gewarnt.

1 Sanofi-Aventis: Rote-Hand-Brief Sept. 2012
2 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: Husten, DEGAM-Leitlinie Nr. 11, 2008; http://leitlinien.degam.de/uploads/media/ LL-11_Langfassung_TJ_03_ZD_01.pdf
3 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: Rhinosinusitis, DEGAM-Leitlinie Nr. 10, 2008; http://www.awmf.org/ uploads/tx_szleitlinien/053-012_S3_Rhinosinusitis_Lang_02-2008_12-2011.pdf
4 British Thoracic Society: Thorax 2009; 64 (Suppl. III): iii1-55
5 Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie et al.: Epidemiologie, Diagnostik, antimikrobielle Therapie und Management von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbenen tiefen Atemwegsinfektionen (akute Bronchitis, akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis, Influenza und andere respiratorische Virusinfektionen) sowie ambulant erworbener Pneumonie, Juli 2009; http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/082-001l_S3_ Atemwegsinfektionen_Pneumonie.pdf
6 Sanofi-Aventis: Fachinformation TAVANIC Tbl./Infus.-Lsg., Stand Juli 2012
7 PATERSON, J.M. et al.: Can. Med. Assoc. J. 2012; online publ. 13. Aug. 2012
8 BfArM: Schreiben vom 10. u. 14. Sept. 2012
9 PUGI, A. et al.: Expert Opin. Drug Saf. 2012; 11: 53-69
10 POLUZZI, E. et al.: Drug Saf. 2010; 33: 303-14
11 FDA: Risk of fluoroquinolone-associated Myasthenia Gravis Exacerbation February 2011 Label Changes for Fluoroquinolones http://www.fda.gov/Safety/MedWatch/SafetyInformation/ucm247115.htm
12 JONES, S.C. et al.: Drug Saf. 2011; 34: 839-47
13 AbZ-Pharma : Fachinformation NORFLOXACIN ABZ, Stand Apr. 2011

* Die Fachinformationen der Generika sollen in Kürze ebenfalls angepasst werden.8
** Als Betalaktamasehemmer ziehen wir Sulbactam (in: UNACID, Generika) der hepatotoxischen Clavulansäure (in: AUGMENTAN, Generika) vor (a-t 2002; 33: 38-9).

© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 14. September 2012

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