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Nebenwirkungen

VERSEHENTLICHE VERGIFTUNGEN DURCH OPIOID-PFLASTER VERHINDERN

Innerhalb von 15 Jahren hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA 26 akzidentelle Vergiftungen durch Fentanyl-Pflaster (DUROGESIC, Generika) bei Kindern erfasst, darunter zehn tödliche. Zwölfmal war eine Klinikeinweisung erforderlich.1 Gefahr geht von neuen, aber auch von gebrauchten Pflastern aus, die in der Wohnung herumliegen und die sich Kinder auf die Haut kleben oder auf denen sie eventuell herumkauen. Da die Kinder opioidnaiv sind, also zuvor keinen Kontakt mit Opioiden hatten, droht dann lebensgefährliche Atemdepression.

Opioid-Pflaster können nach dreitägigem Gebrauch noch mehr als 50% der deklarierten Analgetikamenge enthalten. Beispielsweise sind in frischen DUROGESIC-SMAT-Pflastern, die 100 µg Fentanyl pro Stunde freisetzen, anfangs 16,8 mg Wirkstoff. Sie geben in drei Tagen 7,2 mg ab. Bis zu 9,6 mg verbleiben somit im Pflaster. Das entspricht der Menge, die bei einer durchschnittlichen Dosis von 0,8 mg/Tag für eine zwölftägige Therapie eines Erwachsenen mit sublingualem Fentanyl ausreichen würde.

Die Gefährdung, die auch von gebrauchten Pflastern ausgeht, ist also erheblich. Opioid-Pflaster müssen daher für Kinder unerreichbar aufbewahrt und entsorgt werden. Die FDA rät, die Pflaster in der Toilette wegzuspülen,1 um sie rasch und zuverlässig aus dem Haushalt zu entfernen. Dies ist hierzulande nicht erlaubt: Die Entsorgung von gewässerschädigenden Substanzen wie Arzneimittel über das Abwasser gilt als Ordnungswidrigkeit.2

Hiesige Fachinformationen geben keine konkreten Handlungsanweisungen. Ihnen zufolge sollen gebrauchte Pflaster "weggeworfen"3 oder "sicher"4 bzw. "entsprechend den nationalen Anforderungen"5 und "für Kinder unzugänglich"4,5 entsorgt oder in die Apotheke zurückgebracht werden.3,5 Auf Nachfrage verweist Pfizer lediglich darauf, dass die Fachinfo mit Behörden abgestimmt sei,6 während die Firma Janssen Behördenempfehlungen beschreibt.7

Das Umweltbundesamt (UBA) rät aus Umweltgründen zur Entsorgung über Schadstoffsammelstellen.2 Dies dürfte allerdings die Gefahr erhöhen, dass Kinder an Pflaster herankommen, wenn diese in der Wohnung gesammelt werden, um sie bei Gelegenheit wegzubringen - sei es zur Schadstoffsammelstelle oder alternativ zur Apotheke, die jedoch nicht zur Rücknahme verpflichtet ist.

Praktikabler erscheint uns die Empfehlung des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM):8 Die Pflaster sollen mit den Klebeflächen aneinandergeklebt dem Hausmüll untergemischt und am besten in einem Müllbeutel direkt in den Hausmüll gegeben werden (graue Tonne). Allerdings wird nicht der gesamte Hausmüll vollständig verbrannt. Etwa 20% des Restmülls werden mechanisch-biologisch entsorgt, wobei biologisch aktive Substanzen nicht mit der gleichen Effizienz zerstört werden wie bei der Verbrennung.2

Ärzte rezeptieren Fentanyl-Pflaster hierzulande viel zu häufig: Öffentliche Apotheken gaben 2011 etwa 22 Millionen Stück ab. Wegen der trägen, schlecht steuerbaren Kinetik von Opioiden bei Aufnahme über die Haut eignet sich die transdermale Applikation nur für Patienten mit chronischen Schmerzen und stabilem Opioidbedarf, insbesondere wenn die Einnahme eines Opioids per os nicht möglich ist. Nach Auswertung von Krankenkassendaten von rund 35.000 Patienten, denen erstmals ein Fentanyl-Pflaster verordnet wurde, waren jedoch 84,5% opioidnaiv. Bei jedem vierten dieser Patienten waren die Pflaster sogar das erste ärztlich verordnete Analgetikum überhaupt.9,10

∎  Vergiftungen mit Opioiden sind insbesondere für opioidnaive Personen lebensbedrohlich.

∎  In gebrauchten Opioidpflastern findet sich noch etwa 50% der ursprünglich enthaltenen Opioidmenge.

∎  Opioidpflaster müssen kindersicher aufbewahrt werden. Gebrauchte Pflaster werden am besten zusammengeklebt dem Hausmüll untergemischt, sodass sie für Kinder unerreichbar sind.

1 FDA: Drug Safety Information vom 18. Apr. 2012
http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm300747.htm
2 Umweltbundesamt: Schreiben vom 25. Apr. 2012
3 ratiopharm: Fachinformation FENTANYL-RATIOPHARM Matrixpflaster, Stand Sept. 2009
4 Grünenthal: Fachinformation NORSPAN Pflaster, Stand März 2009
5 Janssen: Fachinformation DUROGESIC SMAT, Stand Apr. 2011
6 Pfizer: Schreiben vom 26. Apr. 2012
7 Janssen: Schreiben vom 26. Apr. 2012
8 BfArM: Schreiben vom 24. Apr. 2012
9 AkdÄ: Deutsches Ärzteblatt 2012; 109: A724-5
10 GARBE, E. et al.: Pharmacoepidemiol. Drug Saf. 2012; 21: 191-8

© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 7. Mai 2012

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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