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DEXAMFETAMIN (ATTENTIN) BEI ADHS?

Seit Dezember vergangenen Jahres ist das Amphetamin Dexamfetamin (ATTENTIN) als Mittel der letzten Reserve zur Therapie des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) im Handel. Dexamfetamin darf nur Kindern und Jugendlichen verordnet werden, die auf eine ausreichend lange, optimal dosierte Therapie mit Methylphenidat (RITALIN, Generika) und Atomoxetin (STRATTERA) nicht angesprochen haben.1 Obwohl Dexamfetamin in anderen Ländern wie den USA bereits seit Jahrzehnten für die Indikation ADHS vermarktet wird, ist die Datenlage außerordentlich schlecht. An randomisierten Vergleichsstudien mit Plazebo oder anderen ADHS-Mitteln liegen nur ältere, kleine, meist sehr kurze Untersuchungen vor. Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist zudem unklar, ob sie den Vorgaben für Good Clinical Practice entsprechen.2

Aussagekräftige randomisierte kontrollierte Studien zu der Patientengruppe, für die Dexamfetamin hierzulande zugelassen wurde, nämlich Kinder und Jugendliche, die auf ausreichend lange, optimal dosierte Therapie mit Methylphenidat oder Atomoxetin nicht ansprechen, finden wir gar nicht. Das BfArM gibt auf die Frage, ob solche Studien existieren, trotz ausdrücklicher Bitte um eine klare Stellungnahme, nur eine ausweichende Antwort.2 Indirekt lässt sich dem Schreiben aber entnehmen, dass solche Studien nicht vorliegen. Zugelassen wurde das Mittel gemäß EU-Richtlinie als Generikum, dessen Referenzprodukt ein 1985 in Großbritannien nachzugelassenes Dexamfetaminpräparat ist (DEXEDRINE; dort aber mittlerweile nicht mehr im Handel, -Red.).2 Die Zulassung basiert ausschließlich auf einer Bioäquivalenzstudie von ATTENTIN mit DEXEDRINE.2

Nach den spärlichen Kurzzeitdaten scheint Dexamfetamin bei ADHS ähnlich zu wirken wie Methylphenidat.3 Auch das Störwirkungsprofil mit Magen-Darm-Störungen, Appetit- und Gewichtsverlust, Kopfschmerzen, Unruhe, Angst, Schlafstörungen oder Aggression, Blutdruck- und Herzfrequenzsteigerung sowie Wachstumsretardierung, schweren psychiatrischen Komplikationen wie Psychose oder Suizidalität und Verdacht auf Kardiotoxizität entspricht weitgehend dem von Methylphenidat. Im direkten Vergleich sollen unter anderem Schlafstörungen, Reizbarkeit, Angst oder Traurigkeit unter Dexamfetamin aber ausgeprägter sein.4

Amphetamine haben zudem ein hohes Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial. In den USA wird in der Produktinformation in der schärfsten Form, der so genannten boxed warning, vor Abhängigkeit und Missbrauch gewarnt.5 Die Einstufung von Dexamfetamin durch das BfArM als "Therapie der dritten Wahl"2, die "nur bei wenigen Kindern ... indiziert"1 ist, scheint denn auch neben der schlechten Datenlage von Sicherheitsaspekten geleitet gewesen zu sein.2 Dass Dexamfetamin nicht als Erstwahlmittel zugelassen wurde, ist sicher zu begrüßen. Unseres Erachtens hätte es jedoch gar nicht zugelassen werden dürfen, da völlig offen ist, ob es in der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen mit therapierefraktärem ADHS überhaupt einen Nutzen hat.

KOSTEN: Dexamfetamin (ATTENTIN) wird mit 167 € pro Monat für täglich 20 mg zum Vierfachen des Preises eines Methylphenidatgenerikums angeboten (z.B. METHYLPHENITAD; monatlich 41 € für täglich 40 mg).

∎  Seit Ende 2011 ist das Amphetamin Dexamfetamin (ATTENTIN) als Mittel der letzten Reserve bei Kindern und Jugendlichen mit ansonsten therapierefraktärem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) im Handel.

∎  Ob das Mittel bei solchen Patienten, die auf Methylphenidat (RITALIN, Generika) und Atomoxetin (STRATTERA) nicht ansprechen, einen Nutzen hat, ist nicht bekannt.

∎  Ohne Evidenz für einen Nutzen werden diese Kinder und Jugendlichen somit den Risiken einer Amphetamineinnahme ausgesetzt, darunter das hohe Abhängigkeitspotenzial.

∎  Wir raten von der Anwendung ab.

  (R =randomisierte Studie)
1 Medice: Fachinformation ATTENTIN, Stand Juli 2011
2 BfArM: Schreiben vom 2. Febr. 2012
3 KING, S. et al.: Health Technol. Assess. 2006; 10: Nr. 23
R  4 EFRON, D. et al.: Pediatrics 1997; 100: 662-6
5 GlaxoSmithKline: US-amerikanische Produktinformation DEXEDRINE, Stand Mai 2008; http://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2008/017078s044lbl.pdf

© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 10. Februar 2012

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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