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Nebenwirkungen

KARDIOVASKULÄRE RISIKEN UNTER VARENICLIN (CHAMPIX)

Das Raucherentwöhnungsmittel Vareniclin (CHAMPIX) wirkt als partieller Agonist an nikotinergen Azetylcholin-Rezeptoren und soll einerseits Rauchverlangen und Entzugssymptome bei Nikotinsucht verringern (agonistische Wirkung), andererseits aber bei gleichzeitigem Nikotinkonsum dessen stimulierende Wirkung vermindern (antagonistische Wirkung, a-t 2007; 38: 25-7). Vareniclin fällt jedoch bald nach der Zulassung durch schwere Störwirkungen in verschiedenen Organsystemen auf, unter anderem durch neuropsychiatrische Ereignisse wie Suizidalität und gewalttätiges Verhalten (a-t 2007; 38: 118, 2008; 39: 23-4, 72, e a-t vom 19. Aug. 2011). Gegenüber Nikotinpflaster (NICOTINELL, Generika) ist in offen durchgeführten Vergleichen kein Vorteil für Vareniclin gesichert.1

Aufgrund der Wirkmechanismen sind kardiovaskuläre Ereignisse zu befürchten: Vareniclin erhöht Blutdruck und Herzfrequenz und führt zu Vasokonstriktion. Obwohl Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen aus den Zulassungsstudien ausgeschlossen wurden, äußerte die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA bereits 2006 den Verdacht auf erhöhtes Risiko ischämischer und arrhythmogener kardialer Komplikationen, insbesondere bei längerer Einnahme.2 Von den der FDA zwischen Mai 2006 und Dezember 2007 gemeldeten knapp 3.100 Verdachtsberichten zu schweren Störwirkungen von Vareniclin beschreiben 224 Herzrhythmusstörungen und 139 thromboembolische Erkrankungen.3

In einer 2010 publizierten plazebokontrollierten Studie4 mit 714 Teilnehmern mit stabiler kardialer, peripher vaskulärer oder zerebrovaskulärer Vorerkrankung treten kardiovaskuläre Ereignisse unter Vareniclin innerhalb des einjährigen Beobachtungszeitraums numerisch häufiger auf (7,1% versus 5,7%). Die Studie - die einzige, in der alle aufgenommenen Raucher eine kardiovaskuläre Vorerkrankung haben - ist jedoch auf Wirksamkeit hinsichtlich Rauchabstinenz und nicht auf Störwirkungen gepowert.

Deutlicher wird das Risikosignal in einer aktuell veröffentlichten Metaanalyse, die 14 randomisierte kontrollierte Studien mit 8.216 meist 12 Wochen behandelten Teilnehmern einschließt.5 Die Autoren errechnen eine statistisch signifikante Zunahme schwerer kardiovaskulärer Ereignisse unter Vareniclin im Vergleich zu Plazebo (1,06% vs. 0,82%; OR 1,72; 95% Konfidenzintervall 1,09-2,71). Verschiedene Sensitivitätsanalysen (Einschluss verumkontrollierter Studien, Ausschluss der Studie mit kardial vorerkrankten Patienten, unterschiedliche statistische Methoden) kommen zu ähnlichen Resultaten, was die Robustheit der Ergebnisse stützt. Die absolute Risikoerhöhung (0,24%) erscheint gering. Die Autoren der Metaanalyse rechnen anhand ihrer Daten jedoch hoch, dass im Mittel bei einem von 28 Rauchern mit stabiler kardiovaskulärer Erkrankung die Behandlung mit Vareniclin zu einem zusätzlichen schweren kardiovaskulären Ereignis führt (Number needed to harm = 28).

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA beurteilt das Nutzen-Schaden-Verhältnis in Kenntnis der aktuellen Daten nach wie vor positiv.6 Dies können wir aufgrund der Gesamtdatenlage nicht nachvollziehen. Die jüngste Metaanalyse erachten wir als relevantes Signal, zumal Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus nahezu allen Studien mit Vareniclin ausgeschlossen waren und die erhöhte Gefährdung somit sogar in einer Niedrigrisikopopulation ersichtlich wird. Der Sinn eines Arzneimittels, das möglicherweise die Ereignisrate von Erkrankungen steigert, für dessen Verhinderung es eigentlich konzipiert ist, erschließt sich uns nicht. Hinzu kommen die potenziellen Risiken auch in anderen Organsystemen.

∎  Das Raucherentwöhnungsmittel Vareniclin (CHAMPIX) fällt durch eine Vielzahl von Störwirkungen in unterschiedlichen Organsystemen auf.

∎  In einer aktuellen Metaanalyse wird ein signifikant erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Komplikationen errechnet. Trotz der gering erscheinenden absoluten Risikoerhöhung könnte die Gefährdung bei vorerkrankten Patienten erheblich sein.

∎  Aufgrund auch anderer bedrohlicher Risikosignale wie neuropsychiatrische Störwirkungen raten wir von Vareniclin ab.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
M  1 CAHILL, K. et al.: Nicotine receptor partial agonists for smoking cessation. The Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand 29. Okt. 2010, Zugriff Okt. 2011
2 FDA: Medical Review Vareniclin, NDA 21-928, 3. Mai 2006
http://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/nda/2006/021928_s000_Chantix_MedR.pdf
3 MOORE, T.J. et al.: Strong Safety Signal Seen for New Varenicline Risks, Mai 2008
http://www.ismp.org/docs/vareniclineStudy.asp
R  4 RIGOTTI, N.A. e al.: Circulation 2010; 121: 221-9
M  5 SINGH, S. et al.: CMAJ 2011; 183: 1359-66
6 EMA: European Medicines Agency confirms positive benefit-risk balance for Champix; Pressemitteilung vom 21. Juli 2011;
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Press_release/2011/07/WC500109177.pdf

© 2011 arznei-telegramm, publiziert am 14. Oktober 2011

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