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Therapiekritik

GROSSBRITANNIEN: KEINE ROUTINE-IMPFUNG ÄLTERER GEGEN PNEUMOKOKKEN

Die Empfehlung, alle über 60-Jährigen mit dem 23-valenten Pneumokokken-Polysaccharidimpfstoff (PNEUMOVAX 23) zu impfen, ist wegen unzureichender Nutzenbelege aus randomisierten kontrollierten Studien1 seit Langem umstritten (vgl. a-t 2003; 34: 94 und 2007; 38: 116-7). Zwar wurde Anfang 2010 erstmals eine doppelblind durchgeführte randomisierte Studie publiziert, nach der der Impfstoff bei 1.006 überwiegend älteren Pflegeheimbewohnern mit hoher Pneumonierate Pneumokokkenpneumonien (2,8% versus 7,3%) und Lungenentzündungen insgesamt (12,5% vs. 20,6%) in gut zwei Jahren signifikant mindert, wobei allerdings die Sterblichkeit numerisch sogar zunimmt (17,7% vs. 15,9%).2 Auf die Mehrzahl der selbstständig lebenden Älteren lassen sich diese Ergebnisse jedoch nicht ohne weiteres übertragen. In der Gesamtschau der Daten bleibt der Nutzen zudem zweifelhaft.

Der niederländische Gesundheitsrat hat sich aufgrund der Datenlage bereits Anfang der 2000er Jahre gegen die Einführung einer Massenimpfung aller Älteren mit dem Impfstoff ausgesprochen.3 Jetzt rückt auch das britische Joint Committee on Vaccination and Immunisation (JVCI) - ein Pendant der hiesigen Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut (STIKO) - von dem 2003 eingeführten Impfprogramm für alle über 65-Jährigen ab.4 Den Ausschlag für die Kehrtwende geben epidemiologische Daten aus England und Wales, nach denen sich das Impfprogramm trotz hoher Durchimpfungsraten nicht erkennbar auf die Häufigkeit invasiver Pneumokokkenerkrankungen bei Älteren ausgewirkt hat.4,5 Dagegen sollen invasive Pneumokokkenerkrankungen - zumindest durch Impfstoffserotypen* - seit Einführung der allgemeinen Säuglingsimpfung mit dem 7-valenten Konjugatimpfstoff nach bislang unveröffentlichten Daten auch bei älteren Menschen deutlich zurückgegangen sein (sog. Herdeneffekt).4

Belastbare Daten zur Auswirkung der Routineimpfung Älterer auf die Epidemiologie der Pneumokokkenerkrankungen in Deutschland liegen laut STIKO nicht vor. Eine Rücknahme der Impfempfehlung ist hierzulande derzeit nicht geplant, die Empfehlung soll aber in naher Zukunft nochmals ergebnisoffen evaluiert werden.6

∎  Wir sehen weiterhin keine Basis für eine Massenimpfung aller über 60-Jährigen gegen Pneumokokken.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
M  1 HUSS, A. et al.: CMAJ 2009; 180: 48-58
R  2 MARUYAMA, T. et al.: BMJ 2010; 340: c1004 (7 Seiten)
3 Health Council of the Netherlands: Pneumococcal vaccine in elderly adults and risk groups, Den Haag, Aug. 2003;
http://www.gezondheidsraad.nl/en/publications/pneumococcal-vaccine-elderly-adults-and-risk-groups
4 JCVI statement on discontinuation of the routine pneumococcal vaccination programme for adults aged 65 and older, März 2011
http://www.dh.gov.uk/prod_consum_dh/groups/
dh_digitalassets/@dh/@ab/documents/digitalasset/dh_125122.pdf
5 TROTTER, C.L. et al.: J. Infect. 2010; 60: 200-8
6 STIKO-Geschäftsstelle am RKI: Schreiben vom 29. Apr. 2011

* Erkrankungen durch Nicht-Impfstoffserotypen sollen jedoch - wie auch in anderen Ländern (vgl. a-t 2009; 40: 27-9) - zugenommen haben. Dafür, dass der seit neuestem verwendete 13-valente Impfstoff in dieser Hinsicht günstiger ist, gibt es laut JCVI bisher nur "frühe Anzeichen".4

© 2011 arznei-telegramm, publiziert am 6. Mai 2011

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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