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Im Blickpunkt

GHOSTWRITING: NÜTZT FIRMEN UND SCHADET DER THERAPIESICHERHEIT

Gerichtsverfahren in den USA geben erneut Einblicke in Marketingstrategien von Pharmaherstellern (vgl. a-t 2009; 40: 49). Anlässlich von Klagen tausender Antragsteller gegen die Firma Wyeth wegen Brustkrebs nach Einnahme von Hormonpräparaten in den Wechseljahren wurden jetzt rund 1.500 interne Dokumente* zugänglich. Häufig geht es dabei um bestellte und finanzierte Artikel, die von Ghostwritern verfasst wurden: Nach einer Auswertung1 des Datenkonvoluts hat Wyeth (USA) allein zwischen 1997 und 2003 über eine Firma mit dem programmatischen Namen DesignWrite mehr als 50 Peer-Review-Publikationen sowie über 50 wissenschaftliche Abstracts und Poster, Zeitschriftensupplemente u.a. für die "Hormonersatztherapie" mit konjugierten Östrogenen veröffentlichen lassen.

Offensichtlich gibt es keine besonderen Probleme, "Autoren" zu finden, die ihren Namen für solche Fertigartikel hergeben. Neben dem Gefühl des Bedeutungsgewinns könnten Euphemismen wie "editorial assistance" dazu beitragen, dass der Betrug an der medizinischen Fachwelt den namensgebenden "Autoren" schmackhaft gemacht werden kann, wahrscheinlich aber auch Honorare.

Je deutlicher seit Ende der 1990er Jahre randomisierte Interventionsstudien unerwünschte Folgen der Hormonbehandlung wie Brustkrebs, venöse Thromboembolie und Schlaganfall aufdeckten (a-t 1998; Nr. 9: 83; 2000; 31: 106 und 2002; 33: 81-3), desto stärker scheint Wyeth Ghostwriter für positive Veröffentlichungen eingespannt zu haben. So war 2002 "mindestens eine Studie pro Monat" eingeplant,1,2 um "der negativen Presse zur Hormonersatztherapie zu begegnen".2

Wie hoch der Anteil von Artikeln in Fachzeitschriften ist, die von Ghostwritern verfasst werden oder unter Beteiligung von Ghostwritern entstehen, bleibt im Dunkeln. Das Ausmaß darf jedoch keineswegs unterschätzt werden, zumal Ghostwriter-Artikel für Firmen immense strategische Bedeutung haben. Pharmahersteller können direkt auf die Themen Einfluss nehmen und diese steuern. Vom Marketing gewünschte Schlüsselbotschaften werden in den Texten untergebracht und mit den Namen scheinbar firmenunabhängiger Autoren veröffentlicht. So lassen sich gezielt negative Daten herunterspielen und der Nutzen eines Arzneimittels überhöht darstellen. Grundlagen für die Bewertung von Nutzen und Schaden werden verfälscht:

∎  Ghostwriting verschleiert Interessenkonflikte. In den Veröffentlichungen wird weder die Beteiligung von Ghostwritern deklariert noch, dass für die Artikel Firmengelder geflossen sind.

∎  Ghostwriting verschleiert auch, ob die akademischen „Autoren”, deren Namen über den Artikeln stehen, überhaupt Zugang zu Daten hatten, die für die Veröffentlichung relevant sind (a-t 2010; 41: 1-3).3 Dies kann zu entlarvenden Situationen führen: So teilten „Autoren” von zwei vollständig publizierten Studien zu Oseltamivir (TAMIFLU) auf Nachfrage mit, die Rohdaten nicht zu haben. Und der Erstautor eines Abstracts einer großen nicht vollständig veröffentlichten Oseltamivir-Studie erklärt, überhaupt nicht in die Studie involviert gewesen zu sein (a-t 2010; 41: 4, 13).

∎  Ghostwriter-Artikel schaffen gezielt Verwirrung: Wyeth lässt einen Zusammenhang zwischen Hormontherapie und Brustkrebs anzweifeln beziehungsweise fälschlich unterstellen, dass Brustkrebs in Verbindung mit Hormoneinnahme weniger aggressiv sei.1 Pfizer ist bei der Vermarktung des Antiepileptikums Gabapentin (NEURONTIN, Generika) für nicht zugelassene Indikationen unter anderem dadurch aufgefallen, dass negative Ergebnisse mithilfe eines Ghostwriters zu vermeintlich positiven verdreht wurden (a-t 2008; 39: 121). Risikoverharmlosend hat sich auch das Ghostwriting-Programm von GlaxoSmithKline für das inzwischen wegen kardiovaskulärer Risiken vom Markt gezogene Rosiglitazon (AVANDIA u.a.; a-t 2010; 41: 85-90) ausgewirkt, beispielsweise durch eine Arbeit, nach der sich die Verringerung bestimmter Biomarker positiv auf die Herz-Kreislauf-Gefährdung auswirken soll.4

∎  Ghostwriting behindert die behördliche Kontrolle von Firmen: Propagiert beispielsweise ein Hersteller Off-label-Gebrauch, drohen ihm – zumindest in den USA – für die illegale Bewerbung erhebliche Strafzahlungen (a-t 2009; 40: 22-3 und 2010; 41: 116). Artikel in medizinischen Zeitschriften werden hingegen nicht als Werbung erachtet, selbst wenn in diesen – von Firmen bezahlt – nicht zugelassene Indikationen empfohlen werden. So sind mithilfe von DesignWrite für Wyeth zahlreiche Übersichten und Kommentare zum Off-label-Gebrauch von Hormonen entstanden, beispielsweise zur Vorbeugung von ALZHEIMER-Demenz, PARKINSON-Erkrankung und altersbedingter Makuladegeneration oder im Lifestyle-Bereich zu positiven Einflüssen auf die Elastizität der Haut und die Sexualität.1

Auch Fachzeitschriften profitieren vom Ghostwriting. Marketing-Abteilungen von Pharmaanbietern tragen dafür Sorge, dass positive Artikel weite Verbreitung finden. Dies erhöht nicht nur das Renommee und über häufigere Zitationen den Impactfactor der Zeitschriften, sondern bringt über Sonderdrucke zusätzliche Einnahmen. The Lancet hat einer Umfrage zufolge 2005/06 41% des Einkommens über Sonderdrucke erzielt.5

∎  Fachzeitschriften sind von Artikeln durchsetzt, die unter Beteiligung von Ghostwritern entstanden sind.

∎  Einige Pharmahersteller arbeiten systematisch mit Ghostwriting-Firmen zusammen, beispielsweise um Off-label-Anwendungen bekannt zu machen oder Risiken von Firmenprodukten herunterzuspielen.

∎  Wenn von Ghostwritern geschriebene und von Firmen bezahlte Artikel mit Namen von „Autoren” veröffentlicht werden, die am Text keinen nennenswerten Anteil hatten, ist dies angesichts der damit oft verbreiteten Desinformation zu Nutzen und Schaden von Arzneimitteln kein Kavaliersdelikt, sondern Betrug an der medizinischen Fachwelt.

∎  Fachgesellschaften und medizinische Zeitschriften sollten sich dafür einsetzen, dass Ghostwriting geächtet und unterbunden wird.

1 FUGH-BERMAN, A.J.: PLoS Medicine 2010; 7(9): e1000335 (11 Seiten)
2 DWRITE 076707, San Francisco Drug Industry Document Archive; Wyeth, E.Mail vom 13. Mai 2002; http://dida.library.ucsf.edu/tid/rib37b10
3 BECKER-BRÜSER, W.: Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh.wesen 2010; 104: 177-89
4 Capitol Health Call: JAMA 2010; 304: 1546
5 LUNDH, A. et al.: PLoS Medicine 2010; 7(10): e1000354 (7 Seiten)

* PLoS Medicine: Wyeth Ghostwriting Archive; sowie Drug Industry Document Archive http://www.plosmedicine.org/static/ghostwriting. action sowie Drug Industry Document Archive;http://dida.library.ucsf.edu/documents.jsp

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 3. Dezember 2010

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