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Therapiekritik

KOMPRESSIONSSTRÜMPFE NACH SCHLAGANFALL - CLOTS 2

Die vor einem Jahr publizierte große CLOTS*-1-Studie fand überraschenderweise keinen Nutzen von Oberschenkelkompressionsstrümpfen zur Thromboembolieprophylaxe bei 2.500 immobilisierten Patienten nach akutem Schlaganfall im Vergleich zur Standardbehandlung ohne Strümpfe (a t 2009; 40: 65-6).1 Bei gemeinsamer Auswertung mit der einzigen weiteren, aber sehr kleinen Studie ergibt sich in einer Cochrane-Übersicht nur ein geringer nichtsignifikanter Effekt auf die Gesamtzahl der distalen und proximalen tiefen Venenthrombosen, die die beim Screening entdeckten einschließt (Odds Ratio [OR] 0,88; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,72-1,08).2 Das britische NICE** rät auf der Datenbasis in einer aktuellen Leitlinie von Kompressionsstrümpfen bei Schlaganfall ab.3

Jetzt wird die zweite der insgesamt drei CLOTS-Studien publiziert, die Oberschenkelkompressionsstrümpfe in derselben Indikation mit knielangen Kompressionsstrümpfen vergleicht. 3.114 immobilisierte Patienten nach akutem Schlaganfall, die ansonsten gemäß den in den Zentren üblichen Standards einschließlich ggf. Heparin oder oralen Antikoagulanzien behandelt werden, nehmen an CLOTS 2 teil. Primärer Endpunkt sind asymptomatische oder symptomatische proximale tiefe Venenthrombosen innerhalb von 30 Tagen nach Randomisierung. Zur erneuten Überraschung schneiden oberschenkellange Strümpfe in CLOTS 2 signifikant besser ab als knielange. Ein Ereignis des primären Endpunkts wird bei 6,3% der Patienten mit oberschenkellangen und 8,8% der Patienten mit knielangen Strümpfen diagnostiziert (OR 0,69; 95% CI 0,53-0,91). Symptomatische proximale tiefe Venenthrombosen (3,2% versus 4,0%), Lungenembolien (1,5% vs. 1,2%) und Tod innerhalb von 30 Tagen (11,7% vs. 11,1%) unterscheiden sich nicht signifikant. Hautschäden einschließlich Blasen, Nekrosen und Geschwüre sind unter oberschenkellangen Strümpfen insgesamt häufiger (9% vs. 6,9%), Ischämien oder Amputationen an der unteren Extremität unterscheiden sich nicht (0,3% vs. 0,4%).4

Die Ergebnisse sind nicht leicht zu interpretieren. Eine mögliche Erklärung ist, dass knielange Kompressionsstrümpfe das Thromboembolierisiko steigern könnten. Klare Hinweise darauf finden wir in Studien mit anderen Patientengruppen zwar nicht. Knielange Kompressionsstrümpfe sind aber zur Thromboembolieprophylaxe im Krankenhaus deutlich schlechter geprüft als oberschenkellange.5,6 Nach Einschätzung der CLOTS-Autoren selbst fehlt auch bei anderen Patientengruppen eine robuste Evidenz, dass knielange Strümpfe besser wirken oder auch nur gleich gut sind wie Nichtbehandlung.4 Dann aber stellt sich die Frage, warum in CLOTS 2 nicht ebenfalls eine Kontrollgruppe ohne Kompressionsstrümpfe mitgeführt wurde.

Für oberschenkellange Strümpfe ergäbe sich allerdings selbst unter der Annahme, dass knielange Kompressionsstrümpfe gleichwertig wären mit Nichtbehandlung, nur ein marginaler Effekt. Die CLOTS-Autoren errechnen für diesen Fall aus ihren beiden Studien eine Number needed to treat von etwa 60, um durch oberschenkellange Strümpfe nach Schlaganfall eine proximale tiefe Venenthrombose zu verhindern, die zumeist asymptomatisch ist. Die Number needed to harm für Hautschäden durch die Prophylaxe liegt dagegen bei 35.4 Das begleitende Editorial fordert jetzt eine erneute Überprüfung der Methode auch bei anderen Patientengruppen.7

∎  Oberschenkellange Kompressionsstrümpfe schützen in der großen CLOTS-1-Studie Schlaganfallpatienten nicht besser vor tiefen Venenthrombosen als Standardbehandlung ohne Strümpfe, wirken in der ebenso großen, aktuell publizierten CLOTS-2-Studie bei diesen Patienten aber signifikant besser als knielange Kompressionsstrümpfe.

∎  Da für knielange Strümpfe selbst unklar ist, ob sie besser oder schlechter sind als Nichtbehandlung, ist die Interpretation der Datenlage schwierig. Aber auch unter günstigen Annahmen hätten oberschenkellange Kompressionsstrümpfe nach Schlaganfall nur einen geringfügigen prophylaktischen Effekt, dessen klinische Relevanz fraglich erscheint.

∎  Wir sehen beim derzeitigen Kenntnisstand nach wie vor keine Indikation für Kompressionsstrümpfe nach Schlaganfall.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
R  1 The CLOTS Trials Collaboration: Lancet 2009; 373: 1958-65
M  2 NACCARATO, M. et al.: Physical methods for preventing deep vein thrombosis in stroke. The Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Dez. 2009; Zugriff Okt. 2010
3 NICE: Venous thromboembolism: reducing the risk, Jan. 2010
http://www.nice.org.uk/nicemedia/live/12695/47195/47195.pdf
R  4 The CLOTS Trial Collaboration: Ann. Intern. Med. 2010; online publ. am 20. Sept. 2010
M  5 SACHDEVA, A. et al.: Elastic compression stockings for prevention of deep vein thrombosis. The Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Apr. 2010; Zugriff Okt. 2010
M  6 National Clinical Guideline Centre: Venous thromboembolism: reducing the risk of venous thromboembolism (deep vein thrombosis and pulmonary embolism) in patients admitted to hospital, 2010
http://www.nice.org.uk/nicemedia/live/12695/47920/47920.pdf
7 KEARON, C., O'DONNELL, M.: Ann. Intern. Med. 2010; online publ. am 20. Sept. 2010

* CLOTS = Clots in Legs Or Stockings after Stroke
** NICE = National Institute for Health and Clinical Excellence

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 8. Oktober 2010

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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