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Therapiekritik

FONDAPARINUX (ARIXTRA) BEI OBERFLÄCHLICHER THROMBOPHLEBITIS?

Eine oberflächliche Thrombophlebitis ist gekennzeichnet durch verhärtete, druckschmerzhafte Venenstränge mit begleitender Schwellung und Rötung. Sie tritt meist an varikös veränderten Venen (Varikophlebitis) der unteren Extremität auf. Die Risikofaktoren ähneln denen für tiefe Venenthrombosen (Thrombophilie, Bettlägerigkeit, Venenthrombosen in der Anamnese, Tumorerkrankungen, Schwangerschaft, Hormontherapie, Übergewicht u.a.). Sonderformen sind die septische Thrombophlebitis, die Thrombophlebitis im Zusammenhang mit venösen Kathetern und die Thrombophlebitis migrans oder saltans, welche meist im Rahmen von Autoimmunerkrankungen auftritt. Bei spontanen Thrombophlebitiden an nicht-varikösen Venen muss an Autoimmun- und Tumorerkrankungen gedacht werden.1,2

Häufigkeit und Gefahren oberflächlicher Thrombophlebitiden sollen gemeinhin unterschätzt werden.2,3 Nach einer prospektiven Erhebung finden sich bei 24% der Patienten mit Thrombophlebitis sonografisch tiefe Venenthrombosen und bei 4% Symptome einer Lungenembolie.4 Die Behandlung zielt auf Reduktion akuter Beschwerden sowie Vermeidung von Rezidiven und thromboembolischen Komplikationen. Nach einem Cochrane-Review können nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und fraktionierte Heparine die Ausbreitung und Rezidivrate bei Thrombophlebitiden reduzieren; wegen insgesamt unzureichender Datenlage werden aber keine konkreten Empfehlungen gegeben.3 Nach einer amerikanischen Leitlinie können fraktionierte oder unfraktionierte Heparine in prophylaktischer Dosierung oder orale Antikoagulanzien über vier Wochen erwogen werden. Bei Thrombophlebitiden im Rahmen von Venenkathetern werden NSAR empfohlen, von Antikoagulanzien wird abgeraten.2

Jetzt wird mit der CALISTO*-Studie5 die mit Abstand größte randomisierte Studie zur Therapie oberflächlicher Thrombophlebitiden publiziert. Es nehmen 3.002 Patienten mit akuter symptomatischer Thrombophlebitis an den Beinen teil, die sonografisch bestätigt sein und eine Mindestlänge von 5 cm aufweisen muss. Ausschlussgründe sind u.a. Beteiligung tiefer Venen, Symptome einer Lungenembolie, Thrombophlebitiden durch Venenkatheter oder am Übergang der Saphena- in die Femoralvene. Die Patienten sind im Mittel 57 Jahre alt. 64% sind Frauen. 12% hatten bereits zuvor eine Thrombophlebitis. Bei 89% liegt eine Varikophlebitis vor, bei 93% ist die Saphena magna betroffen, die Thrombuslänge beträgt im Mittel 21 cm. Die Patienten erhalten 45 Tage lang einmal täglich 2,5 mg Fondaparinux (ARIXTRA) s.c. oder Plazebo. Weitere Maßnahmen sind den Ärzten freigestellt: u.a. erhalten 83% Kompressionsstrümpfe und 45% topische Mittel.5

Primärer kombinierter Endpunkt ist die Rate an Todesfällen, objektivierten symptomatischen Lungenembolien oder tiefen Venenthrombosen, symptomatischen Rezidiven oder Ausdehnungen der Thrombophlebitis bis zum Übergang der Saphena- in die Femoralvene nach 47 Tagen. Für die Intention-to-treat-Analyse liegen Daten von 98% der Patienten bei der letzten Nachbeobachtung nach 77 Tagen vor. Unter Fondaparinux tritt der primäre Endpunkt signifikant seltener auf als unter Plazebo (0,9% versus 5,9%; absolute Risikoreduktion [ARR] 5%; 95% Konfidenzintervall [CI] 3,7-6,3, p < 0,001). Die Mortalität ist in beiden Gruppen niedrig und gleich (je 0,1%). Symptomatische Lungenembolien (0% vs. 0,3%, p = 0,03) und symptomatische tiefe Venenthrombosen (0,2% vs. 1,2%, p < 0,001) kommen unter Fondaparinux seltener vor als unter Plazebo. Haupteffekt ist eine seltenere Ausdehnung der Thrombophlebitis (0,3% vs. 3,4%, p < 0,001). Chirurgische Eingriffe wegen der Thrombophlebitis sind nach prädefinierten Analysen ebenfalls seltener (0,7% vs. 3,8%, p < 0,001). Nach 77 Tagen fallen die Ergebnisse weitgehend identisch aus. Im Zeitverlauf betrachtet ist die Reduktion des primären Endpunktes im Wesentlichen jedoch nach etwa vier Wochen erreicht. Subgruppeneffekte sind nicht nachweisbar. Schwere Blutungen (jeweils 0,1%), Blutungen insgesamt (1,0% vs. 0,9%) und Störwirkungen insgesamt (3,7% vs. 3,3%) unterscheiden sich nicht.5

In der Bilanz verhindert Fondaparinux pro tausend Behandlungen drei symptomatische Lungenembolien und zehn symptomatische tiefe Venenthrombosen, ohne dass die Häufigkeit relevanter Störwirkungen zunimmt. Dies entspricht dem Effekt fraktionierter Heparine – bei vergleichbaren Tageskosten, aber nur für zehn Tage – in der Prophylaxe venöser Thromboembolien bei akuten internistischen Erkrankungen.6 Zudem kann bei 30 Patienten auf einen chirurgischen Eingriff verzichtet werden. Der Einsatz ist vorwiegend eine Frage der Kosten, die für den insgesamt geringen Nutzen aufgebracht werden sollen.7 Fondaparinux hat jetzt zumindest verglichen mit anderen Antikoagulanzien die beste Datenlage für die Behandlung der oberflächlichen Venenthrombose. Die Zulassung ist um die Indikation erweitert worden.8

∎  Fondaparinux (ARIXTRA) vermindert bei ausgedehnter Varikophlebitis deren Ausdehnung und die Notwendigkeit chirurgischer Versorgung.

∎  Pro tausend Behandlungen werden drei symptomatische Lungenembolien und zehn symptomatische tiefe Venenthrombosen verhindert.

∎  Unter Studienbedingungen sind Blutungen und andere schwerwiegende Nebenwirkungen selten und nicht häufiger als unter Plazebo.

∎  Bei ausgeprägtem Befund und erhöhtem Risiko für Ausdehnung und thromboembolische Komplikationen erscheint die Verwendung von Fondaparinux vertretbar.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1 JEANNERET, C. et al.: Schweiz. Med. Forum 2006; 6: 190-5
2 KEARON, C. et al.: Chest 2008; 133: 454S-545S
M  3 Di NISIO, M. et al.: Treatment of superficial thrombophlebitis of the leg.
The Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Feb. 2007; Zugriff Okt. 2010
4 DECOUSUS, H. et al.: Ann. Intern. Med. 2010; 152: 218-24
R  5 DECOUSUS, H. et al.: N. Engl. J. Med. 2010; 363: 1222-32
M  6 DENTALI, F. et al.: Ann. Intern. Med. 2007; 146: 278-88
7 GOLDMAN, L., GINSBERG, J.: N. Engl. J. Med. 2010; 363: 1278-80
8 GlaxoSmithKline: Fachinformation ARIXTRA 2,5 mg, Stand Aug. 2010

* CALISTO = Comparison of Arixtra in Lower Limb Superficial Vein Thrombosis with Placebo

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 8. Oktober 2010

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