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Therapiekritik

MEHR DATEN ZUM NOTFALLKONTRAZEPTIVUM ULIPRISTALAZETAT (ELLAONE)

Als der Progesteronrezeptormodulator Ulipristalazetat (ELLAONE) im Oktober 2009 auf den Markt kam, fehlten hinreichende Nutzenbelege für eine Anwendung in den ersten beiden Tagen nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr sowie im Vergleich zum lang erprobten Gestagen Levonorgestrel (UNOFEM u.a.). Für diese beiden Bereiche lagen der europäischen Arzneimittelbehörde lediglich Zwischenergebnisse einer Phase-III-Studie vor, die aufgrund der geringen Power keine zuverlässige Beurteilung erlaubten (a-t 2009; 40: 97-8).

Inzwischen ist die Studie abgeschlossen und publiziert: Mehr als 2.000 überwiegend mindestens 18 Jahre alte Frauen (4% unter 18 Jahre alt) aus Großbritannien, Irland und den USA nehmen verblindet innerhalb von 5 Tagen (120 Stunden) nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr 30 mg Ulipristalazetat oder 1,5 mg Levonorgestrel ein. Die Prüfärzte haben Kenntnis von der Zuteilung. Bei Anwendung der Notfallkontrazeptiva innerhalb von 3 Tagen (72 Stunden) nach dem Ereignis (primärer Endpunkt) beträgt die Schwangerschaftsrate unter Ulipristalazetat 1,8% (15/844 Frauen). Es ist damit Levonorgestrel (2,6% [22/852]) nicht unterlegen, aber auch nicht überlegen. Das gilt auch für den gesamten Studienzeitraum von 5 Tagen (sekundärer Endpunkt; Schwangerschaftsrate 1,6% versus 2,6%). Unterschiede in der Verträglichkeit finden sich nicht.1

Die unter maßgeblicher Beteiligung des Ulipristalazetat-Anbieters HRA Pharma durchgeführte Studie hat mehrere Schwachpunkte: Etwa 25% der Frauen waren von der primären Auswertung ausgeschlossen. Sieht man von den 10% ab, die wegen Einnahme der Mittel mehr als 3 Tage nach dem Ereignis nicht analysiert werden - was bei der Randomisierung berücksichtigt wurde, sodass der Randomisierungseffekt erhalten bleibt - ist eine Ausfallquote von 15% immer noch hoch und mindert die Zuverlässigkeit der Daten. Auch ist Levonorgestrel - im Gegensatz zu Ulipristalazetat - als Notfallkontrazeptivum nur innerhalb von 3 Tagen nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr zugelassen. Frauen, die sich zu einem späteren Zeitpunkt in den Studienzentren vorstellen, wird zwar zunächst ein Intrauterinpessar angeboten. Ob sie aber über die Off-label-Verwendung von Levonorgestrel aufgeklärt werden, wird in der Publikation nicht erwähnt. Unseres Erachtens dient die Ausdehnung des Vergleichs mit Levonorgestrel auf bis zu fünf Tage nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr vor allem Marketinginteressen. Zudem sollte laut europäischem Beurteilungsbericht2 als primärer Endpunkt die Schwangerschaftsrate unter Ulipristalazetat mit der ohne Notfallkontrazeption zu erwartenden Schwangerschaftsrate verglichen werden. Der Vergleich mit Levonorgestrel war demnach lediglich einer von neun sekundären Endpunkten. Schließlich beinhaltet die Publikation eine Metaanalyse, in die neben den neuen Daten die Ergebnisse einer Phase-II-Studie3 eingehen und in der für Ulipristalazetat Überlegenheit gegenüber Levonorgestrel errechnet wird.1 Die gemeinsame Auswertung verbietet sich jedoch, da der Progesteronrezeptormodulator in der älteren Untersuchung in höherer Dosis und anderer Zubereitung eingenommen wurde und die Äquivalenz der beiden Zubereitungen unseres Erachtens nicht hinreichend belegt ist.

Mittel der Wahl zur postkoitalen Empfängnisverhütung bleibt das gut erprobte Levonorgestrel. Die Anwendung von Ulipristalazetat an Tag 4 oder 5 nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr ist gegen dessen nach wie vor spärlichen Sicherheitsdaten abzuwägen, -Red.

  (R = randomisierte Studie)
R1GLASIER, A.F. et al.: Lancet 2010; 375: 555-62
 2EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) ELLAONE, Stand Juni 2009;
http://www.emea.europa.eu/humandocs/Humans/EPAR/ellaone/ellaone.htm
R3CREININ, M.D. et al.: Obstet. Gynecol. 2006; 108: 1089-97

  Vorsicht: weniger als 5 Jahre im Handel, geringe Erfahrungen.

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 18. Juni 2010

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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