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Therapiekritik

DIABETES-PRÄVENTIONSSTUDIE NAVIGATOR
... Nateglinid (STARLIX) und Valsartan (DIOVAN u.a.) ohne klinischen Nutzen

In den letzten zehn Jahren sind eine Reihe von Diabetespräventionsstudien erschienen.1-5 Durch Lebensstilveränderungen oder Arzneimittel wie Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) ließen sich im Hinblick auf die Minderung neuer Diabetesdiagnosen beeindruckende Ergebnisse erzielen mit relativen Risikoreduktionen um bis zu 60%. Die mittleren Blutzuckerwerte unterscheiden sich in diesen Studien dagegen oft minimal und ohne klinische Relevanz. Diese Diskrepanz erklärt sich dadurch, dass Diabetespräventionsstudien in der Regel mit Patienten durchgeführt werden, die bereits eine gestörte Glukosetoleranz haben und bei denen daher ganz geringe Blutzuckerveränderungen ausreichen, um die Schwelle zur Diabetesdiagnose zu überschreiten.6,7 Ein klinischer Nutzen der Diabetesprävention ist bisher nicht belegt. In der DREAM-Studie mit Rosiglitazon (AVANDIA) überwiegt der Schaden (a-t 2006; 37: 91-2).4

Die jetzt publizierte plazebokontrollierte Diabetespräventionsstudie NAVIGATOR* prüft im faktoriellen Design** das Sulfonylharnstoff-ähnliche Antidiabetikum Nateglinid (STARLIX, a-t 2001; 32: 52) und den Angiotensin (AT)-II-Blocker Valsartan (DIOVAN u.a.). Sie ist darauf angelegt, neben dem Einfluss der beiden Mittel auf die Diabetesinzidenz - Nüchternblutzucker mindestens 126 mg/dl oder Zweistundenwert im oralen Glukosetoleranztest (OGT) mindestens 200 mg/dl, jeweils bestätigt durch OGT - auch mögliche Effekte auf kardiovaskuläre Komplikationen zu erfassen.8,9 Das dreimal täglich (jeweils bis zu 60 mg) zu den Mahlzeiten eingenommene Nateglinid wird unter der Vorstellung geprüft, dass eine Senkung postprandialer Blutzuckerspitzen sowohl den Übergang von der Glukosetoleranzstörung in den manifesten Diabetes verhindern als auch das kardiovaskuläre Risiko der Patienten mindern könnte.11 Ein klinischer Nutzen von Nateglinid in der zugelassenen Indikation, der Therapie des Typ-2-Diabetes, ist nicht belegt (a-t 2009; 40: 60). Auch für das Konzept der gezielten postprandialen Blutzuckersenkung fehlen bislang Nutzenbelege. Hintergrund für die Prüfung von Valsartan (täglich bis zu 160 mg) sind sekundäre Analysen von Studien mit ACE-Hemmern und AT-II-Blockern, in denen eine verminderte Diabetesinzidenz gefunden wird.12

9.306 Patienten mit Nüchternblutzucker zwischen 95 mg/dl und 126 mg/dl, gestörter Glukosetoleranz*** und mindestens einem weiteren kardiovaskulärem Risikofaktor (bei einem Alter von mindestens 55 Jahren) oder einer kardiovaskulären Vorerkrankung (bei einem Alter von mindestens 50 Jahren) nehmen an der fünfjährigen NAVIGATOR-Studie teil. Sie sind im Mittel 64 Jahre alt, 78% haben eine arterielle Hypertonie, 25% eine kardiovaskuläre Vorerkrankung. Alle Patienten sollen Lebensstilveränderungen mit Diät und mehr körperlichem Training vornehmen, die durch ein studieneigenes Programm gefördert werden.8,9

Diabetesdiagnosen nehmen unter Nateglinid nicht ab, sondern zu (36% versus 34% unter Plazebo; Hazard ratio [HR] 1,07; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,00-1,15). Die Zunahme beruht darauf, dass der Zweistundenwert im OGT unter Nateglinid häufiger die Diabetesschwelle überschreitet, während Diabetesdiagnosen auf der Basis eines erhöhten Nüchternblutzuckers im Nateglinidarm seltener sind. Da Nateglinid vor dem OGT jeweils ausgesetzt werden musste, diskutieren die Autoren einen kurzfristigen Rebound als Ursache. Eine langfristige Schädigung der Betazellen durch Nateglinid mit beeinträchtigter Reaktion auf Glukosebelastung können sie mit den Daten der Studie jedoch nicht ausschließen.8

Das Konzept der gezielten Senkung postprandialer Blutzuckerspitzen wird durch die Studie nicht gestützt: Auf kardiovaskuläre Komplikationen hat Nateglinid keinen Einfluss. Herzinfarkt, Schlaganfall, Krankenhausaufnahme wegen Herzinsuffizienz oder kardiovaskulär bedingter Tod kommen unter dem Antidiabetikum bei insgesamt 7,9% vor im Vergleich zu 8,3% unter Plazebo (HR 0,94; 95% CI 0,82-1,09). Auch kardiovaskuläre Sterblichkeit (2,7% vs. 2,5%; HR 1,07; 95% CI 0,83-1,38) und Gesamtsterblichkeit (jeweils 6,7%) unterscheiden sich nicht. Das Hypoglykämierisiko steigt unter Nateglinid jedoch signifikant von 11,3% auf 19,6%.8

Valsartan senkt die Diabeteshäufigkeit geringfügig, aber signifikant (33% vs. 37%; HR 0,86; 95% CI 0,80-0,92). Obgleich auch der Blutdruck in der Valsartan-Gruppe signifikant unter dem der Kontrollgruppe liegt (-2,8/-1,4 mmHg), bleibt ein klinischer Nutzen aus. Der Kombinationsendpunkt aus Herzinfarkt, Schlaganfall, Krankenhausaufnahme wegen Herzinsuffizienz oder kardiovaskulär bedingtem Tod betrifft in beiden Gruppen 8,1% der Patienten (HR 0,99; 95% CI 0,86-1,14). In den beiden Gruppen versterben ähnlich viele Patienten (6,4% vs. 7,0%; HR 0,90; 95% CI 0,77-1,05), auch aus kardiovaskulärer Ursache (2,8% vs. 2,5%; HR 1,09; 95% CI 0,85-1,40).9 Die NAVIGATOR-Studie ist nicht die erste Studie, in der für Sartane trotz Blutdrucksenkung kein klinischer Nutzen nachgewiesen wird (a-t 2006; 37: 48-50 und 2008; 39: 94-5).

∎  Das Antidiabetikum Nateglinid (STARLIX), für das ein klinischer Nutzen bei Typ-2-Diabetes nicht belegt ist, schützt in einer ersten Endpunktstudie, der Diabetespräventionsstudie NAVIGATOR, Patienten mit gestörter Glukosetoleranz nicht besser vor kardiovaskulären Komplikationen als Plazebo.

∎  Diabetesdiagnosen sind unter Nateglinid tendenziell häufiger als unter Scheinmedikament. Es ist beim derzeitigen Kenntnisstand nicht auszuschließen, dass Nateglinid langfristig Betazellen schädigt.

∎  Wir raten vom Gebrauch von Nateglinid sowohl zur Prävention als auch in der zugelassenen Indikation ab.

∎  Der ebenfalls geprüfte Angiotensin-II-Antagonist Valsartan (DIOVAN u.a.) senkt die Diabeteshäufigkeit geringfügig, hat aber trotz Blutdrucksenkung keinen günstigen Einfluss auf kardiovaskuläre Komplikationen bei Patienten mit gestörter Glukosetoleranz.

∎  Erneut ist für ein Sartan trotz Blutdrucksenkung kein klinischer Nutzen nachgewiesen worden.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
R1TUOMILEHTO J. et al.: N. Engl. J. Med. 2001; 344: 1343-50
R2Diabetes Prevention Program Research Group: N. Engl. J. Med. 2002; 346: 393-403
R3CHIASSON, J.-L. et al.: Lancet 2002; 359: 2072-7
R4The DREAM Trial Investigators: Lancet 2006; 368: 1096-105
R5KAWAMORI, R. et al.: Lancet 2009; 373: 1607-14
 6MÜHLHAUSER, I.: Lancet 2002; 360: 1517
 7MÜHLHAUSER, I.: Lancet 2009; 374: 448
R8The NAVIGATOR Study Group: N. Engl. J. Med. 2010; online publiziert am 14. März 2010
R9The NAVIGATOR Study Group: N. Engl. J. Med. 2010; online publiziert am 14. März 2010
M10Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: Glinide zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2, Abschlussbericht vom 6. April 2009;
http://www.iqwig.de/download/A05-05C_Abschlussbericht_Glinide_zur_Behandlung_des_Diabetes_mellitus_Typ_2.pdf
 11NATHAN, D.M.: N. Engl. J. Med. 2010; online publiziert am 14. März 2010
M12ABUISSA, H. et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2005; 46: 821-6

 *NAVIGATOR = Nateglinide and Valsartan in Impaired Glucose Tolerance Outcomes Research
 **vgl. Glossar in a-t 2008; 39: 119 bzw. unter http://www.arznei-telegramm.de
 ***Glukosetoleranzstörung = Zweistundenwert im oralen Glukosetoleranztest mindestens 140 mg/dl, aber unter 200 mg/dl

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 16. April 2010

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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