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Neu auf dem Markt

PRUCALOPRID (RESOLOR) BEI CHRONISCHER OBSTIPATION

Seit Januar 2010 ist mit Prucaloprid (RESOLOR) ein Prokinetikum für Frauen mit chronischer Verstopfung, bei denen Laxanzien nicht ausreichend wirken, auf dem deutschen Markt.1 Die zulassungsrelevanten Phase-III-Studien2-4 wurden bereits vor elf Jahren abgeschlossen. In der Zwischenzeit sind mit Cisaprid (PROPULSIN, außer Handel) und Tegaserod (USA: ZELNORM, außer Handel) ähnliche Prokinetika, die ebenfalls an serotonergen 5-HT4-Rezeptoren wirken, wegen kardialer Störwirkungen vom Markt genommen worden (a-t 2000; 31: 40 und 2007; 38: 55-6). Die im Tierversuch beobachtete Kanzerogenität von Prucaloprid bremste die Entwicklung zusätzlich.5,6

EIGENSCHAFTEN: Im Gegensatz zu Cisaprid und Tegaserod ist Prucaloprid ein Benzofuran-Abkömmling. Der Serotoninrezeptoragonist soll selektiver als diese an 5-HT4-Rezeptoren binden und durch Freisetzung von Azetylcholin Darmbewegungen fördern und die Passage im Kolon beschleunigen. Im Tierversuch wirkt Prucaloprid in hoher Dosierung außerdem an Dopamin D2-Rezeptoren antagonistisch und erhöht Prolaktinspiegel.7 Wie Cisaprid hemmt Prucaloprid die Untereinheit eines Kalium-Ionenkanals am Herzen, wenn auch offenbar schwächer.8,9 Bei Schweinen, deren 5-HT4-Rezeptorfunktion im Vorhof der menschlichen gleicht,10 erhöht Prucaloprid den Blutdruck und verlängert die QT-Zeit.7

KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Drei zwölfwöchige, von der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) als zulassungsrelevant eingestufte Untersuchungen sind publiziert.2-4 Weitere Phase-III-Studien werden im Beurteilungsbericht der EMA (EPAR)7 allenfalls kursorisch dargestellt, konkrete Daten fehlen überwiegend. In den drei relevanten Studien werden Tagesdosierungen von 2 mg bzw. 4 mg Prucaloprid bei knapp 2.000 Studienteilnehmern, hauptsächlich Frauen (88%), mit Plazebo verglichen. Sie leiden durchschnittlich seit 20 Jahren an Verstopfung. In den sechs Monaten vor Studienbeginn hatten sie höchstens zwei spontane vollständige Darmentleerungen pro Woche und dadurch bedingte Beschwerden. Ausgeschlossen sind Patienten, deren Obstipation auf Stoffwechselstörungen, neurologische Erkrankungen, Operationen, Medikamenteneinnahme oder organische Darmerkrankungen zurückzuführen ist oder die nicht stabilisierte kardiovaskuläre Erkrankungen haben.7

Primärer Endpunkt ist der Anteil der Anwender mit durchschnittlich wenigstens drei spontanen vollständigen Defäkationen pro Woche. Dieser fällt unter täglich 2 mg Prucaloprid im Vergleich zu Plazebo signifikant größer aus (gepoolt: 24% versus 11%, p < 0,001). Die höhere Dosis bringt keinen Vorteil (25%). In allen drei Studien werden in den ersten vier Wochen numerisch bessere Ergebnisse erzielt als über die gesamte Studiendauer. In Nachbeobachtungen soll sich jedoch keine Toleranz entwickelt haben. Für das vom Markt genommene Cisaprid ist eine Abnahme der Wirkung bei längerer Einnahme beschrieben.11 Der Hersteller verpflichtet sich, Daten zur Langzeitwirksamkeit und Sicherheit von Prucaloprid nachzureichen.

Für Männer fallen die Ergebnisse bei geringer Teilnehmerzahl (n = 220) nicht signifikant aus. Die 2-mg-Dosis scheint für sie zu gering zu sein.7

STÖRWIRKUNGEN: Die vier häufigsten Störwirkungen Kopfschmerz, Bauchschmerz, Übelkeit und Durchfall kommen jeweils bei ca. 20% der Prucaloprid-Anwender vor. Ungefähr die Hälfte dieser Ereignisse tritt am ersten Behandlungstag auf.7 Da der EPAR,7 ebenso wie eine Zulassungsstudie,4 die meisten anderen Störwirkungen erst ab Tag 2 angibt, fehlen verlässliche Risikodaten, beispielsweise zu Palpitationen, das vor allem in den ersten beiden Behandlungstagen beschrieben ist.7 Bei Gesunden wurde in Phase-I-Studien eine Zunahme der Herzfrequenz beobachtet.7 Kardiale Ischämien sind unter Prucaloprid bei 0,2% der Anwender aufgetreten, unter Plazebo bei 0,1%. Ein kausaler Zusammenhang mit Prucaloprid ist nicht auszuschließen. In der Gesamtwertung hält die EMA das potenzielle Risiko durch pro-arrhythmische oder ischämische Effekte jedoch für vernachlässigbar.7 Allerdings sollen solche Störwirkungen nach der Zulassung "sorgfältig beobachtet" werden. Daten zu Prolaktinspiegeln dürfen nachgereicht werden.7 Hinsichtlich Kanzerogenität soll sich in den Studien kein Signal ergeben haben,12 zugängliche Daten fehlen.

KOSTEN: Verglichen mit 20 g Laktulose (z.B. BIFITERAL: 0,55 €/Tag, LACTULOSE-A1: 0,53 €,) oder 20 g Macrogol (z.B. LAXOFALK: 1,25 €, BELLYMED: 0,71 €/Tag) ist die Therapie der chronischen Obstipation mit täglich 2 mg Prucaloprid (RESOLOR: 3,20 €/Tag) 2,5- bis 6fach teurer.

∎  Seit Januar 2010 ist das prokinetische Abführmittel Prucaloprid (RESOLOR) erhältlich. Es ist ausschließlich für Frauen mit chronischer Obstipation zugelassen, denen andere Laxanzien nicht ausreichend helfen.

∎  Im Vergleich zu Plazebo verdoppelt Prucaloprid den Anteil der Anwenderinnen mit mindestens drei spontanen vollständigen Defäkationen pro Woche (24% vs. 11%).

∎  Bei Männern ist bei insgesamt geringer Teilnehmerzahl kein signifikanter Nutzen nachgewiesen.

∎  Die ähnlich serotonerg wirkenden Prokinetika Cisaprid und Tegaserod wurden vor Jahren wegen kardialer Störwirkungen vom Markt genommen. Dennoch sind die unerwünschten Effekte von Prucaloprid unvollständig publiziert und analysiert. Nicht akzeptabel ist, dass Störwirkungen in Publikationen und auch von der EMA nicht über den gesamten Einnahmezeitraum angegeben werden.

∎  Wegen der unzureichenden Sicherheitsdaten raten wir von der Einnahme von Prucaloprid ab.

  (R = randomisierte Studie)
 1Movetis: Pressemitteilung vom 27. Jan. 2010
http://www.movetis.com/journalists/press-releases/movetis-launches-resolor%C2%AE-germany?source=journalist
R2CAMILLERI, M. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 358: 2344-54
R3TACK, J. et al.: Gut 2009; 58: 357-65
R4QUIGLEY, E.M.M. et al.: Aliment. Pharmacol. Ther. 2009; 29: 315-28
 5KAMM, M.A.: Aliment. Pharmacol. 2002; 16: 343-51
 6CASH, B.D., CHEY, W.D.: Aliment. Pharmacol. Ther. 2005; 22: 1047-60
 7EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) RESOLOR, Stand 17. Nov. 2009; zu finden unter
http://www.emea.europa.eu/htms/human/epar/r.htm
 8MOSS, A.J.: N. Engl. J. Med. 2008; 358: 2402-3
 9POTET, F. et al.: J. Pharmacol. Experiment. Ther. 2001; 299: 1007-12
 10YUSUF, S. et al.: J. Cardiovasc. Electrophysiol. 2003; 14: 209-14
 11RAMKUMAR, D., RAO, S.S.C.: Am. J. Gastroenterol. 2005; 100: 936-71
 12EMA: Schreiben vom 19. Febr. 2010

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 12. März 2010

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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