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Übersicht

ANTIEMETISCHE THERAPIE BEI SCHWANGERSCHAFTSERBRECHEN*

* Tabellarische Übersicht im Internet (http://www.arznei-telegramm.de/tabelle10-09.pdf) bzw. auf Anfrage per Fax/Post erhältlich.

Im ersten Drittel der Schwangerschaft leiden ungefähr drei von vier Frauen an Übelkeit und jede zweite zusätzlich an Erbrechen (Emesis gravidarum). Bei etwa jeder hundertsten Frau kommt es zu schwerem Erbrechen mit Gewichtsverlust, Dehydratation und Störungen des Elektrolythaushaltes (Hyperemesis gravidarum), die einen Klinikaufenthalt erfordern.1,2 Die Ätiologie ist immer noch ungeklärt.1,3 In der Regel gehen die Beschwerden beim unkomplizierten Schwangerschaftserbrechen bis zum Beginn des zweiten Trimenons von selbst zurück. Tipps, wie die Ernährung auf kleine fettarme Mahlzeiten umzustellen, sind möglicherweise nützlich,2 jedoch nicht systematisch untersucht.3

Wie im Bereich der Behandlung Schwangerer mit Arzneimitteln verbreitet, ist auch die Studienlage zum Nutzen empfohlener Antiemetika unbefriedigend: Die Untersuchungen sind meist klein und oft methodisch mangelhaft.1,3 Cross-over-Studien sind in dieser Indikation problematisch, da sich die Symptomatik in der Regel im Verlauf spontan bessert.1 Die Zulassungssituation ist ebenfalls unbefriedigend: Wir finden auf dem deutschen Markt kein Präparat, das die Indikation Schwangerschaftserbrechen umfasst. Im Gegenteil: Vermutlich aus Gründen der rechtlichen Absicherung der Hersteller enthalten alle Fachinformationen der in Frage kommenden Antiemetika Einschränkungen in Bezug auf die Schwangerschaft oder geben diese sogar als Kontraindikation an. Und Mittel, die jahrzehntelang häufig verwendet wurden, sind hierzulande nicht mehr im Handel: Das in Deutschland lange als Mittel der Wahl2 geltende Antihistaminikum Meclozin (früher z.B. POSTADOXIN N) wird seit 2007 nicht mehr angeboten. Ein deutscher Experte für Embryonaltoxikologie, der mehrere Hersteller, darunter den Lizenzhalter UCB Pharma, für den Weitervertrieb von Meclozin gewinnen wollte, erhielt nur Absagen. Entgegen den sonst von Pharmafirmen betonten ethischen Prinzipien werden kommerzielle Überlegungen wegen der erforderlichen Nachzulassung in den Vordergrund gestellt.4

∎  Klassische sedierende Antihistaminika mit antiemetischer Komponente verringern Übelkeit in der frühen Schwangerschaft nach einer Metaanalyse von sechs allerdings recht heterogenen plazebokontrollierten randomisierten Studien mit knapp 600 Frauen (Odds Ratio [OR] 0,20; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,06-0,63).1 Vorwiegend geprüft ist dabei Meclozin. Nach wie vor wird auch Doxylamin befürwortet,2 das früher in der Schwangerschaft verbreitet angewendet wurde, zunächst als Fixkombination (LENOTAN, außer Handel) mit dem Spasmolytikum Dicycloverin und Vitamin B6, ab Ende der 1970er Jahre häufig (z.B. USA) nur mit dem Vitamin. Die Dreierkombination gehört zu den am besten in der Schwangerschaft untersuchten Mitteln. In drei Studien mit insgesamt 240 Frauen verringert sie Schwangerschaftsübelkeit (OR 0,23; 95% CI 0,07-0,7).1 Für Dicycloverin allein soll der Versuch, einen unabhängigen oder synergistischen Effekt bei Emesis gravidarum nachzuweisen, fehlgeschlagen sein.5 In den 1980er Jahren wurden die Doxylamin-Kombinationen wegen befürchteter Teratogenität - die später nicht bestätigt werden konnte - vom Markt genommen. In Kanada ist inzwischen wieder eine Fixkombination von Doxylamin und Vitamin B6 (DICLECTIN) gegen Schwangerschaftserbrechen zugelassen. In Deutschland werden außerdem Diphenhydramin (EMESAN, Generika) und die aus Diphenhydramin und Chlortheophyllin bestehende Molekülverbindung Dimenhydrinat (VOMEX A, Generika) empfohlen,2 wobei lediglich zu Dimenhydrinat eine plazebokontrollierte Studie vorliegt, in der das Antihistaminikum nur numerisch überlegen ist.1 Beide Mittel sollen in den letzten Wochen vor der Entbindung und bei Frühgeburtsbestrebungen nicht eingenommen werden, da wehenfördernde Effekte, neonatale Hypoxie und sogar Uterusruptur beschrieben sind.6,7

Insgesamt ist das teratogene Potenzial der älteren Antihistaminika verhältnismäßig gut untersucht. Entgegen isolierter im Folgenden nicht bestätigter Warnsignale zu einzelnen Abkömmlingen einschließlich Meclozin, Dimenhydrinat und Diphenhydramin scheint eine Gefährdung im Hinblick auf Fehlbildungen nicht zu bestehen: Ältere systematische bzw. metaanalytische Auswertungen von Beobachtungsstudien für verschiedene Antihistaminika5,8,9 und für Doxylamin10 sowie neuere Untersuchungen zu Meclozin,11 Dimenhydrinat12 und verschiedenen Antihistaminika13,14 lassen kein erhöhtes Risiko erkennen. Ein erneutes Warnsignal für Diphenhydramin in einer aktuellen Studie15 könnte angesichts einer Vielzahl von Auswertungen auch nach Einschätzung der Autoren zufallsbedingt sein.

∎  Vitamin B6 (Pyridoxin; VITAMIN B6 JENAPHARM u.a.) allein verringert bei gemeinsamer Auswertung zweier plazebokontrollierter Studien Übelkeit, nicht jedoch Erbrechen.1 Fehlbildungen nehmen nach einer Metaanalyse von Beobachtungsstudien in Kombination mit Doxylamin nicht zu.10

∎  Unter den Dopaminantagonisten werden vor allem der Phenothiazin-Abkömmling Promethazin-HCl (ATOSIL, Generika) und das Prokinetikum Metoclopramid (PASPERTIN, Generika) empfohlen.2 Nutzenbelege aus plazebokontrollierten Studien finden wir zu keinem der beiden Wirkstoffe. Beide dienen aber in mehreren, zumeist kleineren Untersuchungen überwiegend bei Hyperemesis gravidarum als Kontrolle oder Basistherapie. In dem einzigen direkten Vergleich60 beider Substanzen bei Schwangeren mit weniger schwerer Symptomatik wird Metoclopramid mit Vitamin B6 kombiniert (einmalig 50 mg i.m.), sodass sich nicht sicher beurteilen lässt, worauf die nachgewiesene Überlegenheit des Prokinetikum-Arms beruht. An extrapyramidal-motorische Störwirkungen ist zu denken: In einer Studie treten diese nach subkutaner Injektion von Metoclopramid bei bis zu 12% der Schwangeren auf.16 Akathisie, für die in der Schwangerschaft möglicherweise ein erhöhtes Risiko besteht, ist sowohl unter dem Phenothiazin als auch unter dem Prokinetikum beschrieben.17,18 Fehlbildungen scheinen unter beiden sowohl nach älteren als auch nach neueren Daten nicht zuzunehmen.2,19,20 Für Domperidon (MOTILIUM, Generika) finden wir keine kontrollierten Studien mit Schwangeren, zudem fehlen Daten zur Sicherheit.21

∎  Aus der Gruppe der Serotoninantagonisten wird vor allem Ondansetron (ZOFRAN, Generika) verwendet. Es wird auf der Basis von Einzelberichten und einem winzigen randomisierten Vergleich mit Promethazin,22 alle bei Hyperemesis gravidarum, bei Versagen besser untersuchter Antiemetika und schwerer Symptomatik empfohlen.2 Eine prospektive Beobachtungsstudie mit 176 Ondansetron-Anwenderinnen ermittelt kein statistisch signifikant erhöhtes Risiko großer Fehlbildungen. Hypospadien sind jedoch numerisch häufiger.23

∎  In asiatischen Ländern dient Ingwer traditionell als Hausmittel gegen Übelkeit. Als Gewürz wird Ingwer in ähnlichen5,24 oder größeren25 Mengen mit der Nahrung verzehrt als mit den Dosierungen, die gegen Schwangerschaftserbrechen eingenommen werden (meist ca. 1 g/Tag). Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA erachtet Ingwer als Speisegewürz für sicher.26 Ob Ingwerextrakte bzw. -pulver (ZINTONA u.a.) wie frisch verarbeiteter Speiseingwer zu bewerten sind, bleibt offen.

Für verschiedene Ingwerzubereitungen finden wir neun randomisierte Studien zum Nutzen bei Schwangerschaftserbrechen mit insgesamt mehr als 1.000 Frauen. In vier plazebokontrollierten Untersuchungen25,27-29 mit insgesamt 283 Schwangeren verringert Ingwer Übelkeit, in drei von vier auch Erbrechen. Vier weitere Studien30-33 mit über 600 Frauen vergleichen Ingwer mit Vitamin B6: Hier ist Ingwer in einer auf Gleichwertigkeit angelegten Untersuchung mit knapp 300 Frauen äquivalent31 und schneidet in zwei von drei Überlegenheitsstudien32,33 besser ab. In einer weiteren Studie34 mit 170 Schwangeren verringert sowohl Ingwer als auch Dimenhydrinat Übelkeit und Erbrechen gegenüber den Ausgangswerten, wobei das Antihistaminikum mit zweimal täglich 50 mg eher niedrig dosiert ist. Ingwer ist hier nicht überlegen. In den Studien wurden überwiegend rezepturmäßig hergestellte Kapseln mit getrocknetem Ingwer verwendet, teilweise auch Ingwerextrakt oder -sirup, deren Vergleichbarkeit mit hierzulande angebotenen Produkten nicht gewährleistet ist. Die Ergebnisse lassen sich daher nicht übertragen.

Reflux und Sodbrennen werden als unerwünschte Wirkungen von Ingwer genannt.3 Verminderte Blutgerinnung und Hemmung der Testosteronbindung im Fetus werden als theoretische Störwirkung diskutiert, sind aber nicht nachgewiesen.35,36 In einer prospektiven Kohortenstudie findet sich bei knapp 200 Schwangeren, die Ingwer in verschiedener Form konsumiert hatten, kein Hinweis auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko.37

∎  Für Akupunktur und Akupressur lässt sich nach einem Cochrane Review von 2003 weder im Vergleich zu einer Scheinbehandlung noch gegenüber einer unbehandelten Kontrollgruppe ein Nutzen gegen Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft sichern.1 Auch ein möglicher positiver Effekt gegenüber Nichtbehandlung in Bezug auf den nicht validierten Endpunkt "morgendliche Übelkeit"1 erscheint uns nicht hinreichend belegt, da er auf einer einzigen grob mangelhaften Untersuchung38 basiert. Eine neuere Metaanalyse von 14 überwiegend kleinen randomisierten Studien, häufig mit Cross-over-Design und methodischen Mängeln, findet ebenfalls keine Wirksamkeit von Akupunktur auf Erbrechen und Übelkeit, wohl aber von Akupressur und Elektrostimulation.39 Wegen des Prinzips "garbage in, garbage out"** (a-t 2006; 37: 99-100) halten wir solche Auswertungen allerdings für wenig aussagekräftig. Irritation, Schmerz, Taubheit, Schwellung der Hand, Bluterguss, Schlafstörung und Kopfschmerzen sind als Störwirkung der insgesamt jedoch nebenwirkungsarmen Methoden beschrieben.3,40

** garbage in - garbage out = Müll rein - Müll raus

∎  Auch für sehr schweres Erbrechen mit Elektrolytstörungen und notwendiger stationärer Behandlung (Hyperemesis gravidarum) ist die Datenlage unzureichend: Für keine der in dem Cochrane Review1 erfassten Interventionen (Kortikosteroide, Diazepam [VALIUM, Generika], Ingwer, Ondansetron sowie Akupressur oder Akupunktur) lässt sich ein klarer Vorteil gegenüber Plazebo oder den jeweiligen Vergleichssubstanzen (z.B. Promethazin, Metoclopramid) sichern, deren Nutzen zudem selbst nicht gut belegt ist. Die Studien waren allerdings mit weniger als 30 Frauen pro Interventionsgruppe sehr klein. Auch dürfte bereits der Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten zur Linderung der Beschwerden beigetragen haben.1,22 Neuere Studien zu Akupunktur, Akupressur,41-43 Kortikosteroiden44,45 und Vitamin B646 kommen zu widersprüchlichen oder negativen Ergebnissen. Da Glukokortikoide nach gemeinsam ausgewerteten Beobachtungsstudien das Risiko von Kiefer-Gaumenspalten, möglicherweise auch von großen Fehlbildungen, erhöhen,47,48 sollen sie in der Frühschwangerschaft nicht für die Indikation Erbrechen verwendet werden.

AUSWAHL UND DOSIERUNG: Bei Schwangerschaftsübelkeit und -erbrechen leichter bis mäßiger Ausprägung halten wir trotz fehlender systematischer Untersuchungen zunächst einen Versuch mit nichtmedikamentösen Maßnahmen wie Umstellung der Ernährung auf kleine fettarme Mahlzeiten für vertretbar. Reichen diese nicht aus und wird eine medikamentöse Therapie begonnen, ist deren Notwendigkeit regelmäßig zu überprüfen, da die Beschwerden in der Regel innerhalb weniger Wochen von selbst zurückgehen. Auch sollte eine möglichst niedrige Dosis gewählt werden. Unsere Empfehlungen entsprechen weitgehend den Positionen des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie.2***

*** Informationen zu Arzneimitteln in Schwangerschaft und Stillzeit im Internet unter http://www.embryotox.de; telefonische Beratung unter 030-30308-111

Unter den hierzulande angebotenen klassischen Antihistaminika ist lediglich für Doxylamin und in geringerem Maß auch für Dimenhydrinat ein Nutzen durch Studien gesichert. Das seit der Produkteinstellung von Meclozin als Mittel der Wahl empfohlene Doxylamin wurde überwiegend in einer Dosis von 20 mg zur Nacht geprüft, allerdings in Kombination mit Vitamin B6, das selbst Übelkeit lindern kann, sowie dem Spasmolytikum Dicycloverin, für das kein Nutzen bei Schwangerschaftserbrechen belegt sein soll. In Deutschland ist Doxylamin zudem nicht als Antiemetikum, sondern nur noch als Schlafmittel (SEDAPLUS u.a.; 25-mg-Tabletten, Saft oder alkoholhaltige Tropfen) erhältlich.**** Hierzulande als Antiemetika bekannter sind Diphenhydramin und Dimenhydrinat. Letzteres wurde bei Schwangeren in einer Dosis von zweimal täglich (50-) 100 mg untersucht. Da Dimenhydrinat im Blut rasch zu Diphenhydramin und 8-Chlortheophyllin dissoziiert, sind Unterschiede hinsichtlich Wirksamkeit oder Sicherheit nicht zu erwarten.

**** Das kanadische Präparat DICLECTIN enthält pro Tablette 10 mg Doxylamin plus 10 mg Vitamin B6; empfohlene Dosis: 2-4 Tbl./Tag49

Meclozin, das hierzulande lange als Mittel der Wahl galt, ist in Deutschland nicht mehr verfügbar. Es wird aber beispielsweise noch in den Niederlanden sowohl als Monopräparat (SUPRIMAL) als auch in Kombination mit Vitamin B6 (EMESAFENE) angeboten. In der Schweiz ist Meclozin als Fixkombination mit Vitamin B6 und Koffein unter dem Namen ITINEROL auf dem Markt.*****

***** EMESAFENE enthält pro Tablette 12,5 mg Meclozin plus 25 mg Vitamin B6, empfohlene Dosis: 1 Tbl. abends, ggf. eine weitere Tbl. morgens.50 Bei ITINEROL werden abends sowie ggf. zusätzlich morgens 1 Dragee (20 mg Meclozin), 1 Kapsel (25 mg Meclozin) oder 1 Zäpfchen (50 mg Meclozin) empfohlen; enthaltene Tagesgesamtdosis Koffein 40-100 mg51; zum Vergleich: Eine Tasse Kaffee (150 ml) enthält 40-120 mg Koffein.

Metoclopramid wird seit der Produktionseinstellung von Meclozin hierzulande neben Doxylamin als erste Wahl genannt.2 Wegen der unzureichenden Datenlage und des Risikos extrapyramidal-motorischer Bewegungsstörungen stufen wir es als Mittel der Reserve ein.

Bei stärkerem Erbrechen wird trotz spärlicher Nutzenbelege Promethazin empfohlen.2 In Untersuchungen bei Hyperemesis gravidarum wurden 25 mg ein- bis dreimal täglich verwendet. Eine kanadische Leitlinie stuft den Phenothiazin-Abkömmling vor Metoclopramid als Mittel der Reserve ein und empfiehlt die Anwendung eines der beiden zusätzlich zu Doxylamin/Vitamin B6, wenn diese allein nicht ausreichen (empfohlene Dosis: Metoclopramid 5-10 mg alle acht Stunden, Promethazin 5-10 mg alle sechs bis acht Stunden; die bei ausbleibender Besserung genannten Dosierungen von bis zu 12,5-25 mg alle vier bis sechs Stunden überschreiten die in der deutschen Fachinformation bei Erbrechen angeführte übliche Dosis von 25-50 mg/Tag55 beträchtlich).52

Mittel der letzten Reserve ist Ondansetron, für das insgesamt deutlich weniger Erfahrungen zum Fehlbildungsrisiko vorliegen als für die anderen Antiemetika. Bei Hyperemesis gravidarum wurden überwiegend dreimal täglich 8 mg angewendet. Die kanadische Leitlinie empfiehlt 8 mg zweimal/ Tag.52

Achtung: Keines der hierzulande verfügbaren Mittel ist explizit zur Therapie von Schwangerschaftserbrechen zugelassen. Das neuerdings als Mittel der Wahl empfohlene Doxylamin wird nicht einmal mehr als Antiemetikum angeboten. Die Verordnung ist somit zwar off-label, stellt unseres Erachtens jedoch einen bestimmungsgemäßen Gebrauch dar, da Doxylamin bei dieser Indikation zum Therapiestandard gehört und in Leitlinien52 empfohlen wird (vgl. a-t 2007; 38: 94-5). Zudem ist eine Doxylamin-Vitamin-B6-Kombination in Kanada ausdrücklich gegen Schwangerschaftserbrechen zugelassen und wird in Spanien als Antiemetikum angeboten, das in der Schwangerschaft verwendet werden darf. Die Meclozin-haltigen Kombinationen EMESAFENE (Niederlande) und ITINEROL (Schweiz) sind gegen Schwangerschaftserbrechen zugelassen.

In deutschen Fachinformationen wird bei Anwendung in der Schwangerschaft eine "sorgfältige" oder "strenge" Nutzen-Risiko-Abwägung angeraten (Doxylamin,53 Ondansetron54) oder ein Gebrauch "nur bei zwingender Notwendigkeit" befürwortet (Promethazin55). Die Angaben zu Dimenhydrinat-haltigen Präparaten wurden unlängst verschärft, ohne dass neue Daten vorliegen: Das Antihistaminikum darf jetzt in der Schwangerschaft nur noch angewendet werden, wenn "nichtmedikamentöse Maßnahmen und andere sicherere Arzneimittel keinen Erfolg gezeigt haben."56 Welche Arzneimittel dabei als sicherer angesehen werden, erfahren wir bis Redaktionsschluss weder vom Hersteller noch von der Zulassungsbehörde BfArM. Der Dimenhydrinat-Bestandteil Diphenhydramin ist hingegen in der Schwangerschaft kontraindiziert.57 Widersprüchliche Angaben finden sich bei Metoclopramid-haltigen Präparaten: Während beispielsweise das Original PASPERTIN während der Schwangerschaft "unter strenger Indikationsstellung"58 angewendet werden darf, sprechen sich verschiedene Generikaanbieter gegen einen Gebrauch im ersten Trimenon aus (z.B. ct Arzneimittel59). Der Anbieter des Ingwer-haltigen ZINTONA preist im Internet zwar die Wirksamkeit der Ingwerwurzel unter anderem bei Schwangerschaftserbrechen an ("Wirksamkeit ... anhand zahlreicher klinischer Studien einwandfrei belegt").61 Gemäß der dort einzusehenden Gebrauchsinformation62 ist das pflanzliche Arzneimittel in der Schwangerschaft jedoch kontraindiziert.

∎  Übelkeit und Erbrechen kommen in der Frühschwangerschaft häufig vor, bilden sich aber in der Regel nach wenigen Wochen von selbst zurück.

∎  Diätetische Tipps sind möglicherweise nützlich, aber nicht in kontrollierten Studien geprüft.

∎  Die Datenlage zum Nutzen der verwendeten Antiemetika, überwiegend Mittel, die seit Jahrzehnten auf dem Markt sind, ist gemessen an heutigen Standards unbefriedigend.

∎  Nachdem die Produktion des vergleichsweise gut untersuchten und langjährig als Erstwahlmittel empfohlenen Meclozin (früher: POSTADOXIN N) eingestellt wurde, gibt es hierzulande kein Präparat mehr, das ausdrücklich gegen Schwangerschaftserbrechen zugelassen ist.

∎  Neben Meclozin sind auch andere klassische Antihistaminika bei unkompliziertem Schwangerschaftserbrechen untersucht, insbesondere Doxylamin (SEDAPLUS u.a.), das - nach unserer Einschätzung zu Recht - inzwischen auch in Deutschland als Mittel der Wahl gilt. Es wird hierzulande jedoch nur noch als Schlafmittel angeboten. In Betracht kommen auch Dimenhydrinat (VOMEX, Generika) und Diphenhydramin (EMESAN, Generika).

∎  Bei stärkeren Beschwerden oder wenn Antihistaminika nicht ausreichen, wird trotz spärlicher Nutzenbelege der Phenothiazin-Abkömmling Promethazin (ATOSIL, Generika) empfohlen.

∎  Das Prokinetikum Metoclopramid (PASPERTIN, Generika) wird hierzulande neuerdings neben Doxylamin als Mittel der Wahl eingestuft. Da valide Wirksamkeitsbelege fehlen und das Risiko extrapyramidal-motorischer Effekte besteht, erachten wir es wie Promethazin als Reservemittel.

∎  Als Mittel der letzten Reserve kommt der Serotoninantagonist Ondansetron (ZOFRAN, Generika) in Betracht, für den insgesamt deutlich weniger Erfahrungen zum Fehlbildungsrisiko vorliegen.

∎  Vitamin B6 (VITAMIN B6 JENAPHARM u.a.) allein verringert Übelkeit, nicht jedoch Erbrechen.

∎  Verschiedene Ingwerzubereitungen scheinen wirksam zu sein. Da eine Vergleichbarkeit der überwiegend rezepturmäßig hergestellten Produkte mit den hierzulande angebotenen Präparaten nicht gewährleistet ist, sind die Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit jedoch nicht übertragbar.

∎  Ein Nutzen von Akupunktur oder Akupressur bei Schwangerschaftserbrechen verschiedener Schweregrade ist nicht hinreichend nachgewiesen, ebenso wenig die Wirksamkeit von Kortikosteroiden bei Hyperemesis gravidarum.

∎  Die Verordnung von Arzneimitteln gegen Schwangerschaftserbrechen erfordert eine besondere Aufklärung, da die Indikation in den Produktinformationen nicht aufgeführt wird und auch bei den empfohlenen Mitteln Schwangerschaft als relative oder sogar als absolute Gegenanzeige genannt wird.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
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 57Lindopharm: Fachinformation EMESAN, Stand März 2009
 58Solvay: Fachinformation PASPERTIN, Stand April 2008
 59ct Arzneimittel: Fachinformation MCP-CT 4 mg/1 ml Tropfen, Stand Jan. 2009
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 61Grünwalder: http://www.gruenwalder.de/Produkte/Zintona/weitereInfo/weitereinfo.html
 62Grünwalder: Gebrauchsinformation ZINTONA, Stand Aug. 2003 http://www.gruenwalder.de/Produkte/Zintona/Information/zintonaInfo.html

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 9. Oktober 2009

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