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Nebenwirkungen

NEUROLEPTIKA: PLÖTZLICHER HERZTOD

Die Sterblichkeit schizophrener Patienten ist doppelt bis dreifach so hoch wie die der Allgemeinbevölkerung.1-3 Sie hat im Gegensatz zu Nichterkrankten in den letzten drei Jahrzehnten nicht ab-, sondern zugenommen.3 Ursächlich werden neben der hohen Suizidrate auch metabolische Nebenwirkungen der neuroleptischen Therapie wie Gewichtszunahme und Diabetes mellitus, die unter einigen besonders häufig sind (s. auch a-t 2007; 38: 15-6 und 2006; 37: 15), sowie QT-Verlängerung und plötzlicher Herztod diskutiert.1,2 Es wird befürchtet, dass die Sterblichkeit schizophrener Patienten weiter steigt, weil "atypische" Neuroleptika immer häufiger verordnet werden.3 Bei älteren Patienten mit Demenz und Verhaltensstörungen oder psychotischen Symptomen ist die Mortalität unter Neuroleptika kardiovaskulär bedingt erhöht (a-t 2005; 36: 51-2; a-t 2008; 39: 80).

Während das Agranulozytoserisiko unter Clozapin (LEPONEX, Generika) mit einer Todesrate von 0,2 pro 1.000 Patientenjahre allgemein als schwerwiegend eingestuft und Überwachungsmaßnahmen zur Risikoabwehr eingeführt wurden, wird das Risiko eines plötzlichen Herztodes unter Neuroleptika unterschätzt. In einer aktuellen retrospektiven Kohortenstudie4 liegt es mit 3,3 pro 1.000 Patientenjahre um ein Vielfaches höher.5 Die Analyse basiert auf bis Dezember 2005 ausgewerteten Daten des US-amerikanischen Medicaid Systems für Einwohner mit geringem Einkommen. 44.000 Anwender eines "klassischen" Neuroleptikums und 46.000 unter einem "Atypikum" werden mit knapp 190.000 Kontrollpersonen ohne Neuroleptikum verglichen.4 Die für Risikofaktoren adjustierte Rate eines plötzlichen Herztodes verdoppelt sich jeweils ("klassische" Mittel: Incidence Rate Ratio*[IRR] 1,99; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,68-2,34; "Atypika": IRR 2,26; 95% CI 1,88-2,72).4 Mit steigender Dosis nimmt in beiden Gruppen das Risiko zu. Anders als bei "klassischen" Neuroleptika ist bei Einnahme von "Atypika" das Risiko bereits unter niedrigen Dosierungen signifikant erhöht (siehe Tabelle).4 Die Ergebnisse erscheinen robust und bestätigen sich auch bei nicht schizophrenen Anwendern.1

Vor Beginn der Behandlung mit einem Neuroleptikum sowie während der Therapie sollte ein EKG abgeleitet werden. Dies wird in vielen Kliniken schon seit längerem praktiziert und seit 2001 in Frankreich von der Arzneimittelbehörde für 12 Neuroleptika dringend empfohlen.6 Vor Off-label-Anwendungen in Indikationen ohne ausreichend belegten Nutzen, etwa bei älteren Patienten mit Demenz und Verhaltensstörungen (a-t 2004; 35: 36; a-t 2006; 37: 109-10) oder bei Kindern (a-t 2008; 39: 69-70), ist zu warnen. Das Ausmaß des Off-label-Gebrauchs von Neuroleptika ist jedoch immens: Der Olanzapin (ZYPREXA)-Hersteller Eli Lilly muss die bislang einmalige Rekordsumme von 1,4 Milliarden Dollar zahlen, damit US-amerikanische Gerichtsverfahren wegen illegaler Propagierung des Off-label-Gebrauchs eingestellt werden.7

Die Mortalität schizophrener Patienten nimmt im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung seit Jahrzehnten zu. Metabolische und kardiale Störwirkungen von Neuroleptika werden als mitverursachende Faktoren angesehen.

Nach einer großen retrospektiven Kohortenstudie verdoppeln Neuroleptika das Risiko eines plötzlichen Herztods. Dies gilt offenbar unabhängig von der Diagnose Schizophrenie. "Atypische Mittel" sind dabei nicht weniger riskant als "klassische".

Vor Off-label-Gebrauch von Neuroleptika in Indikationen ohne ausreichend belegten Nutzen ist zu warnen.

  (M = Metaanalyse)
 1ENGER, C. et al.: J. Nerv. Ment. Dis. 2004; 192: 19-27
 2KOPONEN, H. et al.: Nord. J. Psychiatry 2008; 62: 342-5
M3SAHA, S. et al.: Arch. Gen. Psychiatry 2007; 64: 1123-31
 4RAY, W.A. et al.: N. Engl. J. Med. 2009; 360: 225-35
 5SCHNEEWEISS, S., AVORN, J.: N. Engl. J. Med. 2009; 360: 294-6
 6Affsaps : Anschreiben an Ärzte vom 21. Dez. 2001: interactions médicamenteuses des neuroleptiques donnant des torsades de pointes
 7HARRIS, G., BERENSON, A.: New York Times, 15. Jan. 2009; http://www.nytimes.com/2009/01/15/business/15drug.html?

 *Incidence rate ratio (IRR): Quotient der Inzidenzraten

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 13. Februar 2009

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