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Therapiekritik

VADT*: STRAFFE BLUTZUCKEREINSTELLUNG BEI TYP-2-DIABETES OHNE NUTZEN

Nach der ACCORD*- und der ADVANCE*-Studie1,2 (a-t 2008; 39: 73-6) liegt jetzt mit der VADT*3 die dritte große Studie zum Nutzen der normnahen Blutzuckereinstellung bei Patienten mit länger bestehendem Typ-2-Diabetes vollständig veröffentlicht vor. Auch die VADT untersucht primär den Einfluss einer intensivierten Blutzuckerkontrolle auf das vorrangige Problem dieser Patienten, die makrovaskulären Komplikationen. Die zugehörige Machbarkeitsstudie, an der 153 ältere adipöse Männer mit Insulin-bedürftigem Typ-2-Diabetes und hohem Anteil vorbestehender kardiovaskulärer Komplikationen teilgenommen haben, ergab 1997 - trotz konstanter Senkung des HbA1c-Wertes um 2,1% über drei Jahre - statt einer Abnahme einen Trend zur Zunahme kardiovaskulärer Ereignisse, die mit dem Ausmaß der HbA1c-Senkung korrelierte.4 Deshalb empfahl die Studiengruppe damals, den HbA1c-Wert bei Typ-2-Diabetes nicht unter 8% zu senken, solange ein Nutzen der weiteren Absenkung nicht belegt ist.5

* ACCORD = Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes;
ADVANCE = Action in Diabetes and Vascular Disease: Preterax and Diamicron Modified Release Controlled Evaluation;
VADT = Veterans Affairs Diabetes Trial

In die offen durchgeführte VADT-Hauptstudie werden 1.791 Militärangestellte, überwiegend Männer, im mittleren Alter von 60 Jahren aufgenommen. Ihre HbA1c-Werte liegen trotz Einnahme von mindestens einem oralen Antidiabetikum in maximaler Dosis oder täglicher Insulininjektionen bei 7,5% oder höher (im Mittel bei 9,4%). Zu den Ausschlusskriterien gehören fortgeschrittene Stadien einer koronaren Herzkrankheit, Herzinsuffizienz oder diabetischer Spätschäden sowie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Revaskularisierungseingriffe während der letzten sechs Monate. Die Teilnehmer haben einen mittleren Body-Mass-Index (BMI) von 31. Ihr Diabetes ist seit durchschnittlich zwölf Jahren bekannt. Bei 72% der Patienten besteht ein Bluthochdruck, bei 40% eine kardiovaskuläre Vorerkrankung.3,5

Abgesehen von der unterschiedlichen Blutzuckereinstellung soll die Begleittherapie (z.B. eines Bluthochdrucks) in beiden Gruppen optimiert werden. In der Prüfgruppe wird ein HbA1c unter 6% angestrebt, bei gleichzeitiger Vermeidung auch nur asymptomatischer Hypoglykämien. Die Patienten sollen mindestens zweimal täglich ihren Blutzucker messen, mindestens einmal pro Woche auch nachts um 3 Uhr. Zum Erreichen des Therapieziels sieht das Studienprotokoll auf der ersten Stufe die Einnahme von Rosiglitazon entweder zusammen mit Metformin (AVANDAMET) vor, oder, bei schlankeren Patienten (BMI < 27), zusammen mit Glimepirid (AVAGLIM). Auf der zweiten Stufe wird Verzögerungsinsulin am Abend ergänzt, auf der dritten Stufe Verzögerungsinsulin am Morgen und gegebenenfalls ein Alphaglukosidasehemmer wie Acarbose (GLUCOBAY), auf der vierten Stufe mehrmals tägliche Insulininjektionen unter Beibehaltung der oralen Mittel, aber mindestens eines Insulinsensitizers. Auf der letzten Stufe sind alle zugelassenen Antidiabetika erlaubt.3,5 Therapieziel in der Kontrollgruppe ist Wohlbefinden und Vermeidung Hyperglykämie-bedingter Symptome bei HbA1c-Werten zwischen 8% und 9%. Zur Blutzuckersenkung sollen die gleichen Antidiabetika und Vorgehensweisen angewendet werden wie in der Interventionsgruppe. Blutzuckerselbstmessung wird hier aber nur zur Dokumentation symptomatischer Über- oder Unterzuckerungen empfohlen.

Sowohl Blutdruck als auch Blutfette werden im Studienverlauf von 5,6 Jahren in beiden Gruppen auf sehr niedrige Werte eingestellt. Der Gebrauch von Statinen steigt jeweils auf über 80%, der von Thrombozytenaggregationshemmern auf über 90%. Das mittlere HbA1c liegt ab dem sechsten Studienmonat in der Prüfgruppe konstant bei 6,9%, in der Kontrollgruppe bei 8,4%.

Trotz der anhaltend erzielten HbA1c-Differenz von 1,5% werden weder der kombinierte primäre Endpunkt noch seine Einzelkomponenten oder sekundäre Endpunkte wie Gesamtsterblichkeit signifikant beeinflusst. Ein Ereignis des primären Endpunkts (Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulärer Tod, Herzinsuffizienz, kardiovaskuläre Eingriffe, inoperable periphere Verschlusskrankheit oder Amputation wegen ischämischer Gangrän) erleiden unter straffer Blutzuckereinstellung 235 Patienten (26,3%) im Vergleich zu 264 (29,4%) unter Standardtherapie (Hazard Ratio [HR] 0,88; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,74-1,05; p = 0,14). Kardiovaskuläre Todesfälle sind unter straffer Einstellung numerisch häufiger (40 [4,5%] versus 33 [3,7%]). 11 (1,2%) bzw. 4 (0,4%) dieser Patienten erleiden einen plötzlichen Tod, wofür häufigere Hypoglykämien unter intensivierter Behandlung zumindest mitverantwortlich sein könnten. Die Gesamtsterblichkeit beträgt in der Interventionsgruppe 11,4% im Vergleich zu 10,6% in der Kontrollgruppe (HR 1,07; 95% CI 0,81-1,42). Auch im Hinblick auf die sekundären mikrovaskulären Endpunkte ergeben sich keine signifikanten Unterschiede.3

Schwerwiegende unerwünschte Wirkungen sind in der Intensivgruppe häufiger (24% vs. 18%, p = 0,05), darunter vor allem schwere Hypoglykämien (8,5% vs. 3,1%, p < 0,0001) und schwerwiegende Dyspnoe (11% vs. 7,2%, p = 0,006). Patienten dieser Gruppe nehmen um durchschnittlich 4 kg mehr an Körpergewicht zu als die der Kontrollgruppe.3

Zusammen mit der ACCORD-Studie, die wegen Übersterblichkeit im Intensivarm nach 3,5 Jahren gestoppt wurde,1 und der ADVANCE-Studie2 liefert die VADT weitere Argumente gegen eine Absenkung des HbA1c-Wertes unter 7,5% bis 8% bei älteren Patienten mit länger bestehendem Typ-2-Diabetes mit den in den Studien verwendeten Kombinationen oraler Antidiabetika und Insulin. Unklar bleibt, ob die strenge Strategie besser abschneiden würde, wenn sie mit anderen medikamentösen Verfahren, insbesondere anderen Strategien zur Insulinsubstitution oder anderen Kombinationen oraler Antidiabetika durchgeführt würde. Möglicherweise sind positive Effekte auf diabetische Spätschäden bei Typ-2-Diabetes nur bei früher Intervention und jüngeren Patienten zu erzielen. Bisher wurde ein Nutzen in dieser Situation lediglich für den Sulfonylharnstoff Glibenclamid (EUGLUCON N, Generika), für Insulin sowie - bei adipösen Patienten - für die Monotherapie mit dem Biguanid Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) nachgewiesen.6-8 Die positive Evidenz für Metformin beruht jedoch weiterhin lediglich auf einer kleinen Substudie der UKPDS**. In einer weiteren Substudie der UKPDS wird unter der Kombination von Metformin plus Sulfonylharnstoff zudem eine erhöhte Mortalität beobachtet.7

** UKPDS = United Kingdom Prospecitve Diabetes Study

Die straffe Blutzuckertherapie bei zuvor schlecht eingestellten Patienten mit Typ-2-Diabetes von gut zehnjähriger Dauer hat in der VADT im Verlauf von sechs Jahren trotz der im Vergleich zur Kontrollgruppe erzielten konstanten HbA1c-Differenz von 1,5% keinen Einfluss auf kardiovaskuläre Komplikationen, mikrovaskuläre Spätschäden oder Tod.

Die straffe Blutzuckereinstellung geht mit stärkerer Gewichtszunahme und häufigeren schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen einher, darunter insbesondere schwere Hypoglykämien und Dyspnoe.

Die VADT untermauert zuletzt gewonnene Erkenntnisse aus zwei weiteren großen randomisierten kontrollierten Studien, nach denen bei älteren Menschen mit länger bekanntem Typ-2-Diabetes oder bereits bestehenden diabetischen Komplikationen eine Absenkung des HbA1c-Wertes auf unter 8% mit einer Kombination mehrerer Antidiabetika einschließlich Insulin nicht empfohlen werden kann.

  (R = randomisierte Studie)
R1The Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes Study Group: N. Engl. J. Med. 2008; 358: 2545-59
R2The ADVANCE Collaborative Group: N. Engl. J. Med. 2008; 358: 2560-72
R3DUCKWORTH, W. et al.: N. Engl. J. Med. 2009; 360: 129-39
R4ABRAIRA, C. et al.: Arch. Intern. Med. 1997; 157: 181-8
 5ABRAIRA, C. et al.: J. Diabetes Complications 2003; 17: 314-22
R6UK Prospective Diabetes Study Group: Lancet 1998; 352: 837-53
R7UK Prospective Diabetes Study Group: Lancet 1998; 352: 854-65
R8OHKUBO, Y. et al.: Diabetes Res. Clin. Pract. 1995; 28: 103-17

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 16. Januar 2009

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