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Therapiekritik

DETOX-N ZUR RAUCHERENTWÖHNUNG?

Seit zehn Jahren bieten die Berliner Anästhesisten W. KOX und M. HENSEL zusammen mit der Berliner Firma Medisearch GmbH ein Raucherentwöhnungsverfahren an, DETOX-N. Derzeit nimmt die Firma die neue Gesetzgebung zum Rauchverbot in öffentlichen Räumen zum Anlass, für ihr Verfahren Werbung zu machen. Geworben wird mit einer exorbitant hohen Abstinenzrate: Bei nahezu 70% soll sich der Wunsch nach der Zigarette durch die Behandlung dauerhaft unterdrücken lassen.1 Zum Vergleich: Mit einem etablierten Verfahren wie Nikotinersatz können in randomisierten kontrollierten Studien Abstinenzraten über mindestens sechs Monate von weniger als 20% erzielt werden (vgl. a-t 2007; 38: 25-7). Über die beim DETOX-N-Verfahren verabreichten Arzneimittel konnte jahrelang nur spekuliert werden. Das Konzept wurde wie ein okkultes Ritual vermarktet, angeblich aus Sorge um Verfälschung durch Nachahmer. So begründete KOX dem a-t gegenüber die Geheimhaltung damit, dass die Bekanntgabe der Arzneimittel erfahrungsgemäß dazu verleiten würde, nur den medikamentösen Teil des Verfahrens zu praktizieren und die "psychologische Nachsorge", der eine "sehr große Bedeutung" beigemessen werde, zu vernachlässigen.2

Inzwischen kann man Einzelheiten des Verfahrens einschließlich der verwendeten Arzneimittel auf der Homepage der Anbieter3 nachlesen. Entwöhnungswilligen Rauchern werden im Anschluss an ein Gruppengespräch, ein Einzelgespräch und eine körperliche Untersuchung drei Arzneimittel intramuskulär injiziert: die Anticholinergika Atropinsulfat und Scopolaminhydrobromid sowie das ebenfalls anticholinerg wirkende niederpotente Neuroleptikum Chlorpromazin oder - einer anderen Textstelle zufolge - Levomepromazin.* Im Werbeanschreiben der Firma1 wird das Neuroleptikum verharmlosend als "Sedativum" bezeichnet. Nach einer 30-minütigen Überwachungsphase wird der Patient bei einsetzender "Sedativawirkung" in Begleitung nach Hause entlassen. Dort soll er anschließend 14 Tage lang das zentral wirkende Antisympathotonikum Clonidin* einnehmen, bei Schlafstörungen außerdem einen Tranquilizer. Überraschend wenig findet man zur "psychologischen Nachsorge", um die die DETOX-N-Anbieter seinerzeit so besorgt waren. "Psychologische Betreuung" ist laut Information für potenzielle Klienten gar "kein primärer Bestandteil der DETOX-N-Therapie".3

Ein schlüssiges pathophysiologisches Konzept für das DETOX-N-Verfahren fehlt. Vor allem aber fehlen aussagekräftige Belege für einen Nutzen. Nach einem Erfahrungsbericht über 670 Patienten, den man auf der Internetseite der Anbieter findet, soll die Abstinenzrate nach einem Jahr 61% betragen.4 Diese Rate ist immer noch vergleichsweise hoch, würde aber bei üblicher Rundung kaum in "nahezu 70%", wie im Werbeanschreiben behauptet,1 übersetzt werden. Sie beruht zudem auf unkontrollierten Beobachtungsdaten, die die Frage einer therapeutischen Wirksamkeit nicht valide beantworten können. In unkontrollierten Studien zur Raucherentwöhnung werden immer wieder hohe Erfolgsraten postuliert, die sich bei Überprüfung in randomisierten kontrollierten Studien nicht bestätigen.5,6 Ein Erfahrungsbericht auf der eigenen Homepage ersetzt zudem keine Publikation in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, bei der die Daten einer externen Überprüfung unterzogen werden.

Die wichtigste Referenz der DETOX-N-Anbieter ist eine Publikation aus den USA von 1986, in der ein dem DETOX-N-Verfahren ähnliches Regime bei 500 Probanden beschrieben wird, die retrospektiv aus einer Gruppe von ursprünglich 3.700 entwöhnungswilligen Rauchern ausgewählt wurden. Hier werden nach initialer Injektion von Atropin, Scopolamin und Chlorpromazin zwei Wochen lang Anticholinergika per os oder als Pflaster angewendet. Die Erfolgsrate nach einem Jahr soll 39,8% betragen.7 Die Studie, die aufgrund ihres unkontrollierten, retrospektiven und selektiven Designs ebenfalls ohne Aussagekraft bleibt, wurde nie bestätigt.8 Sie stellt eine zweifelhafte Referenz dar: Bei dem Autor handelt es sich um einen Kriminellen, der zweimal wegen Verordnung eines von der FDA verbotenen Arzneimittels zu hohen Geldstrafen und wegen Betruges - unter anderem in seinen Kliniken zur Gewichtsreduktion und Raucherentwöhnung - zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde und der derzeit wegen betrügerischer Vermarktung einer obskuren Krebs- und AIDS-Therapie erneut vor Gericht steht.9

Nur für eine Raucherentwöhnung mit Clonidin - allerdings als Monotherapie - liegen Daten aus randomisierten kontrollierten Studien vor. Bei gemeinsamer Auswertung von sechs meist kleinen Studien mit längerer Nachbeobachtung bis zu einem Jahr wirkt Clonidin per os oder transdermal signifikant besser als Plazebo.10 Der Therapieerfolg unterscheidet sich jedoch mit einem absoluten Anstieg der Abstinenzrate von etwa 9% zusätzlich zu einer Plazeborate von 14%10 nicht wesentlich von dem unter Nikotinersatz. Ein "kleine-Studien-Effekt" (a-t 2005; 36: 77-8) ist unseres Erachtens nicht auszuschließen: In der größten Studie mit 300 Teilnehmern zeigt sich kein Nutzen.11 Unverträglichkeiten wie Mundtrockenheit, Sedierung, Schwindel und orthostatischer Blutdruckabfall sind mit insgesamt 23% bis 92% sehr häufig.10

Keines der im DETOX-N-Verfahren verwendeten Arzneimittel ist in Deutschland für die Indikation Raucherentwöhnung zugelassen. Es bestehen dementsprechend hohe Anforderungen an die umfassende Aufklärung der Patienten auch über potenzielle Risiken.12 So können Anticholinergika in seltenen Fällen auch in therapeutischen Dosierungen Psychosen auslösen. In den USA ist in Verbindung mit Raucherentwöhnung durch Anticholinergika akute halluzinatorische Psychose mit Suizidalität beschrieben.13 Vor diesem Hintergrund erachten wir die Auskunft der DETOX-N-Anbieter, dass "bei Berücksichtigung der vorhandenen Kontraindikationen ... keine gravierenden Nebenwirkungen zu befürchten" sind,4 als fahrlässige Desinformation.

Das DETOX-N-Verfahren zur Raucherentwöhnung ist als nicht zugelassenes Therapieregime ohne eine wissenschaftliche Basis keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Ein mit der Firma Medisearch GmbH kooperierender pharmazeutischer Hersteller bietet die für die i.m.-Injektion vorgesehenen Arzneimittel in einer angeblich individuell hergestellten1 fertig befüllten Spritze an, Kosten: 250 €.14 Dazu kommen für die Patienten die Kosten für Clonidin sowie für die ärztlichen Leistungen, die als so genannte IGeL-Leistung abgerechnet werden sollen.1

Bei dem derzeit erneut beworbenen DETOX-N-Verfahren zur Raucherentwöhnung werden die für die Indikation nicht zugelassenen Anticholinergika Atropin und Scopolamin sowie - ebenfalls off label - ein niederpotentes Neuroleptikum intramuskulär gespritzt. Anschließend wird zwei Wochen lang Clonidin off label per os eingenommen. Für das teure Verfahren liegen keine aussagekräftigen Belege für einen klinischen Nutzen vor. Wir raten dringend davon ab.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1Medisearch Gesellschaft für Angewandte Klinikforschung mbH, Berlin: Werbeanschreiben DETOX-N vom 4. Juli 2008
 2KOX, W.: Schreiben vom 1. Okt. 1998
 3http://www.detox.de
 4HENSEL, M., KOX, W.J.: "DETOX-N - Ein multimodales Behandlungskonzept zur Raucherentwöhnung", ohne Datum
http://www.detox.de/module/intern/public.pdf
M5ABBOT, N.C. et al.: Hypnotherapy for smoking cessation. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 3; Stand Febr. 1998
M6WHITE, A.R. et al.: Acupuncture and related interventions for smoking cessation. The Cochrane Database of Syst. Rev. 2008, Issue 3; Stand Okt. 2005
 7BACHYNSKY, N.: Internat. J. Addict. 1986; 21: 789-805
 8BUCHHALTER, A.R. et al.: Drugs 2008; 68: 1067-88
 9BARRETT, S.: Stay Away from Nicolas BACHYNSKY and Intra-Cellular Hyperthermia (ICHT), Stand 20. Mai 2008
http://www.quackwatch.org/01QuackeryRelatedTopics/Cancer/icht.html
M10GOURLAY, S.G. et al.: Clonidine for smoking cessation. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 3; Stand Mai 2004
R11GLASSMAN, A.H. et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 1993; 54: 670-9
 12LUDWIG, W.-D.: Berliner Ärzte 2008; Nr. 7: 14-20
 13CLARKE, L.A. et al.: Ann. Clin. Psychiatry 2004; 16: 171-5
 14APOSAN Dr. KÜNZER, tel. Mitteilung vom 24. Juli 2008

 *Auf die Angabe von Handelsnamen haben wir verzichtet, da alle Mittel off label verwendet werden. Chlorpromazin ist in Deutschland nicht mehr im Handel, Scopolamin nicht als Injektionslösung.

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 1. August 2008

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