logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikela-t 2008; 39: 57-8nächster Artikel
Neu auf dem Markt

NEUER ANIONENAUSTAUSCHER COLESEVELAM (CHOLESTAGEL)

Seit Februar ist mit Colesevelam (CHOLESTAGEL) ein neuer Anionenaustauscher zur Cholesterinsenkung im Handel. Die Anionenaustauscherharze Colestyramin (QUANTALAN, Generika) und Colestipol (in Deutschland seit 2007 außer Handel: CHOLESTABYL) gehören zu den ältesten lipidsenkenden Arzneimitteln. Sie haben an Bedeutung verloren, nachdem für Statine wie Simvastatin (ZOCOR, Generika) wiederholt morbiditäts- und mortalitätssenkende Effekte in randomisierten kontrollierten Langzeitstudien nachgewiesen wurden (a-t 2004; 35: 56-60). Colestyramin senkt in der Primärpräventionsstudie LCCPPT* mit 3.806 Männern das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden oder an koronarer Herzkrankheit zu versterben.1 Ein günstiger Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit ist aber weder für Colestyramin noch für Colestipol belegt.2 Probleme sind zudem der schlechte Geschmack der in Gramm-Mengen einzunehmenden Mittel und ihre Magen-Darm-Unverträglichkeit.

Colesevelam ist als Reservemittel für Patienten mit primärer Hypercholesterinämie zugelassen - als Zusatztherapie, wenn ein Statin den LDL-Spiegel nicht ausreichend senkt, oder zur Monotherapie, wenn ein Statin kontraindiziert ist oder nicht vertragen wird.3,4

EIGENSCHAFTEN: Wie die beiden anderen Anionenaustauscher ist auch Colesevelam ein nicht absorbierbares Polymer, das im Darm Gallensäuren bindet, die dann mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Normalerweise werden mehr als 95% der Gallensäuren aus dem Darm reabsorbiert. Unterbrechung dieses enterohepatischen Kreislaufes mindert das Reservoir an Gallensäuren. Dies führt zu verstärkter Verstoffwechselung von Cholesterin zu Gallensäuren und einem erhöhten Cholesterinbedarf in der Leber mit nachfolgender vermehrter Aufnahme von LDL-Cholesterin aus dem Blut. Im Zusammenhang mit diesen kompensatorischen Mechanismen kann es auch zur vermehrten Synthese von VLDL kommen, wodurch wiederum die Triglyzeridspiegel ansteigen können.3,5 Im Tierversuch ist Colesevelam bei Vergleich auf Grammbasis im Hinblick auf die fäkale Ausscheidung von Gallensäuren etwa doppelt so wirksam wie Colestyramin.3

WIRKSAMKEIT: An den zulassungsrelevanten Phase-II- und -III-Studien haben insgesamt 1.350 erwachsene Patienten mit milder bis mäßiger polygener Hypercholesterinämie teilgenommen. Die längste kontrollierte Studie geht über sechs Monate, die übrigen über vier bis sechs Wochen. Colesevelam-Monotherapie senkt in einer Tagesdosis von 3,8 g bis 4,5 g das LDL-Cholesterin im Vergleich zu Plazebo mäßig um 15% bis 21%. Das HDL steigt unter dieser Dosierung geringfügig um 3% bis 8%, die Triglyzeride um 4% bis 16% an. Bei Kombination mit Lovastatin (MEVINACOR, Generika), Simvastatin oder Atorvastatin (SORTIS) in niedriger Tagesdosierung (meist 10 mg) bringen 2,3 g bis 3,8 g Colesevelam eine zusätzliche LDL-Senkung um 8% bis 16%.2 Klinische Endpunkte wie Herzinfarktrate oder Sterblichkeit sind nicht geprüft. Direkte Vergleiche mit den beiden älteren Anionenaustauscherharzen fehlen. Im indirekten Vergleich sind die jetzt empfohlenen Tageshöchstdosierungen (3,75 g bis 4,4 g) aber wirkschwächer als Maximaldosierungen von Colestyramin (24 g) oder Colestipol (30 g), die das LDL um bis zu 30% senken.3

UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Wie bei einem Anionenaustauscher zu erwarten, stehen unerwünschte Magen-Darm-Effekte im Vordergrund. Im plazebokontrollierten Vergleich kommen am häufigsten Verstopfung (11% vs. 7%) und Oberbauchbeschwerden (Dyspepsie, 8,3% vs. 3,5%) vor.6 Ob Colesevelam bei wirkäquivalenter Dosierung besser Magen-Darm-verträglich ist als die älteren Anionenaustauscherharze und ob die Darreichung als (relativ große) Tablette die Compliance fördert - das herkömmliche Colestyramin muss als Suspension oder Kautablette eingenommen werden -, bleibt offen. Nach Markteinführung in den USA im Jahr 2000 wurde unter anderem über Darmverschluss bei Patienten mit Darmverschluss oder -resektion in der Vorgeschichte, Schluckstörung, Speiseröhrenobstruktion, Kotballen, Pankreatitis und Transaminasenanstieg berichtet.6 Auch Einzelberichte exzessiver Triglyzeridanstiege sind bekannt geworden.3 Muskelschmerzen kommen bei Monotherapie häufiger vor als unter Plazebo (2,1% vs. 0,4%), bei Kombination mit Statinen häufiger als unter Statin allein (6,2% vs. 3,6%).3 Anionenaustauscher können die Absorption von Arzneimitteln wie Levothyroxin (EUTHYROX, Generika) und die der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K behindern. Beim derzeitigen begrenzten Kenntnisstand ist nicht davon auszugehen, das Colesevelam im Hinblick auf diese Wechselwirkungen verträglicher ist als die herkömmlichen Anionenaustauscherharze.3

KOSTEN: Colesevelam (CHOLESTAGEL) kostet bei einer Tagesdosis von 3,75 g monatlich 198 €. Damit verteuert es die lipidsenkende Therapie gegenüber dem herkömmlichen Anionenaustauscherharz Colestyramin bei einer Tagesdosis von 16 g um das Zweieinhalb- bis Dreifache (QUANTALAN 80 € pro Monat, COLESTYR-CT 59 € pro Monat). Ein kostengünstiges Simvastatin-Generikum gibt es bereits für ein Zwanzigstel des Colesevelam-Preises (SIMVABETA, 10 € pro Monat bei täglich 40 mg).

STELLENWERT: Eine Indikation für Colesevelam sehen wir beim derzeitigen Kenntnisstand nicht. Für die Mehrzahl der Patienten mit Hypercholesterinämie und Indikation für einen Lipidsenker, zum Beispiel wegen Zustands nach Herzinfarkt, ist Simvastatin in Standarddosierung Mittel der Wahl, unabhängig von den resultierenden LDL-Werten. Für das in Leitlinien empfohlene Konzept, die Therapie an LDL-Werten auszurichten und das Statin gegebenenfalls um weitere Lipidsenker zu ergänzen, ein Konzept, das auch der Zulassung von Colesevelam zu Grunde liegt, fehlen Nutzenbelege aus Endpunktstudien (a-t 2008; 39: 19-21). Bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie, für die Anionenaustauscherharze Reservestatus haben,7 ist Colesevelam nicht geprüft.8

Mit Colesevelam (CHOLESTAGEL) ist jetzt ein neuer Anionenaustauscher und damit ein weiterer Vertreter einer der ältesten Klassen von Lipidsenkern im Handel.

Colesevelam hat in den empfohlenen Tageshöchstdosierungen eine mäßige LDL-senkende Wirkung, die sich zu der von Statinen addiert.

Der klinische Nutzen ist nicht bekannt.

Bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie ist Colesevelam nicht geprüft.

Mit den typischen Störeffekten und Wechselwirkungen von Anionenaustauschern ist zu rechnen. Ob Colesevelam durch die Darreichungsform in (relativ großen) Tabletten akzeptabler und in wirkäquivalenter Dosis besser Magen-Darm-verträglich ist als Colestyramin (QUANTALAN, Generika), bleibt zu prüfen.

Wir sehen derzeit außerhalb kontrollierter klinischer Studien keine Indikation für die teure Neuerung.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
R 1 Lipid Research Clinics Program: JAMA 1984; 251: 351-64
M 2 BUCHER, H.C. et al.: Arterioscler. Thromb. Vasc. Biol. 1999; 19: 187-95
  3 EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) CHOLESTAGEL, Stand 13. Febr. 2008; zu finden unter: http://www.emea.europa.eu/htms/human/epar/c.htm
  4 Genzyme: Fachinformation CHOLESTAGEL, Stand Mai 2007
  5 MAHLEY, R.W., BERSOT, T.P. in: BRUNTON, L.L. et al. (Hrsg.): "Goodman and Gilman's. The Pharmacological Basis of Therapeutics. 11. Aufl., McGraw-Hill, New York 2006, Seite 933-66
  6 Daiichi Sankyo: US-amerikanische Produktinformation WELCHOL, Stand Jan. 2008
  7 CIVEIRA, F. et al.: Atherosclerosis 2004; 173: 55-68
  8 Genzyme: Schreiben vom 6. Mai 2008

  * LCCPPT = Lipid Research Clinics Coronary Primary Prevention Trial

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 9. Mai 2008

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.

vorheriger Artikela-t 2008; 39: 57-8nächster Artikel