logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikela-t 2008;39: 42nächster Artikel
Vorsicht Desinformation

FIRMA DR. WOLFF UND DAS KOPFLAUSMITTEL ETOPRIL

Mit einem ganzseitigen "offenen Brief an die Gesundheitsministerin", veröffentlicht in mehreren überregionalen Tageszeitungen und der Ärzte Zeitung und einem Rundschreiben an Apotheken beigelegt, macht die Firma Dr. Wolff auf ihr Dimeticon-haltiges Kopflausmittel ETOPRIL aufmerksam.1,2 "Ich will deutsche Kinder von Pestiziden befreien, und keiner hilft mir dabei",3 behauptet der geschäftsführende Gesellschafter des Unternehmens und verweist auf "mehrere klinische Studien", die die Wirkung "einwandfrei" nachgewiesen haben sollen.1,2 Zitiert wird allerdings nur eine einzige, britische Untersuchung,4 und in dieser hat Dimeticon** Kopfläuse nur bei 83 (65%) von 127 Teilnehmern beseitigt, also bei jedem Dritten versagt. Wie in unserer Kurzeinschätzung in a-t 2007; 38: 104-5 dargestellt, hält zudem die aus der Studie abgeleitete Gleichwertigkeit mit einem herkömmlichen Insektizid (Phenothrin; hierzulande nicht im Handel; 70% frei von Läusen) einer kritischen Überprüfung nicht Stand, unter anderem weil das Ergebnis mit einer bis zu 19% schlechteren Wirksamkeit von Dimeticon vereinbar ist.*** Selbst in einer uns von Dr. Wolff überlassenen "biometrischen Stellungnahme", die offenbar als Reaktion auf unseren Artikel in Auftrag gegeben wurde, wird eingeräumt, dass "der Akzeptanzbereich ... mit 20% relativ hoch festgelegt" wurde und es "wünschenswert" gewesen wäre, "wenn die Autoren die Angemessenheit des Akzeptanzbereiches begründet und ausführlicher die Konfidenzintervalle für die Differenz der Erfolgsraten diskutiert bzw. interpretiert hätten".5 Auch ein Statistiker der britischen Arzneimittelbehörde kritisiert, dass nicht hinreichend dargelegt wurde, dass ein potenzieller Unterschied von fast 20% klinisch nicht relevant ist oder durch Verträglichkeitsvorteile ausgeglichen wird. Zudem sollen etliche Patienten mehr als einmal für die Studie rekrutiert worden sein.6

In einer weiteren Studie aus Großbritannien beseitigt Dimeticon Kopfläuse nur bei 25 (58%) von 43 Personen.7 An einer für Deutschland bereits geplanten randomisierten Studie, in der ETOPRIL mit Standardtherapie verglichen werden sollte, hat Dr. Wolff bislang trotz mehrfacher Nachfrage kein Interesse gezeigt. Möglicherweise befürchtet die Firma, dass ihr Mittel bei dem Vergleich nicht so gut aussieht, da es hierzulande - im Gegensatz z.B. zu Großbritannien - nur vereinzelt Resistenzen gegenüber Pyrethroiden gibt.

Was die Werbung - denn um nichts anderes handelt es sich bei dem "offenen Brief" - verschweigt: Es gibt zumindest ein Kopflausmittel ohne herkömmliche Insektizide, das vom Umweltbundesamt (UBA) geprüft und in die Entwesungsmittelliste aufgenommen wurde, das Kokosöl-haltige MOSQUITO Läuseshampoo (a-t 2006; 37: 79-83, 122). Weder aus der Untersuchung durch das UBA noch aus der Aufnahme in die Entwesungsmittelliste lässt sich allerdings eine Erstattungssfähigkeit ableiten, auch wenn der ETOPRIL-Hersteller das Gegenteil suggeriert. Zu Lasten der GKV dürfen nur apothekenpflichtige Medizinprodukte verordnet werden, und das trifft auf ETOPRIL ebenso wenig zu8 wie auf die anderen beiden Dimeticon-haltigen Kopflausmittel. Den Antrag auf Prüfung hat der ETOPRIL-Vertreiber beim UBA übrigens erst im November 2007 gestellt3,-Red.

  (R = randomisierte Studie)
 1Dr. Wolff: "Offener Brief an die Gesundheitsministerin" zu ETOPRIL, erschienen am 25. Febr. 2008 in der Süddt. Ztg., Ärzte Ztg. u.a.
http://www.arznei-telegramm.de/blitz-pdf/Dr_Wolff-Offener_Brief.pdf
 2Dr. Wolff: Schreiben an Apotheken, Febr. 2008/p>
 3DÖRRENBERG, E.: zit. nach KUCHENBUCH, P., DAHM, G.: Financial Times Deutschland vom 26. Febr. 2008
R4BURGESS, I.F. et al.: BMJ 2005; 330: 1423 (4 Seiten)
 5MAY, T.: Biometrische Stellungnahme zur Studie "Treatment of head louse infestation with 4% dimeticone lotion: randomised controlled equivalence trial"vom 7. Jan. 2008
 6MHRA: Public Assessment Report HEDRIN (Dimeticon 4%), Stand März 2006;
http://www.mhra.gov.uk/home/groups/l-unit1/documents/websiteresources/con2023415.pdf
R7BURGESS, I.F. et al.: PLoS ONE 2007; 2: e1127
 8BKK Bundesverband: Schreiben vom 27. Febr. 2008

 *Vorversion am 26. Febr. 2008 als blitz-a-t veröffentlicht.
 **Geprüft wurde das britische Präparat HEDRIN, das ETOPRIL entspricht (4% Dimeticon, 96% Cyclomethicon). NYDA L und JACUTIN PEDICUL FLUID enthalten zwar ebenfalls Dimeticon, jedoch in anderer Konzentration und/oder neben weiteren Stoffen.
 ***Selbst bei dem von den Autoren gewählten primären Endpunkt, der neben Läusefreiheit noch Reinfestation nach Beseitigung umfasst - ein u.E. sehr weiches, fehlerträchtiges Kriterium - wirkt Dimeticon nur bei 70%, Phenothrin bei 75% (Intention-to-treat-Analyse). In der für die Prüfung auf Gleichwertigkeit herangezogenen Per-Protokoll-Analyse beträgt die Differenz sogar 8% (69% vs. 78% [Zahlen gerundet]; 95% Konfidenzintervall -19% bis 3%).4

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 14. März 2008

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.