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Im Blickpunkt

DIREKTVERTRÄGE ZWISCHEN KRANKENKASSEN UND INDUSTRIE Rabattverträge, Geld-zurück-Garantien u.a.

Rabatte für Arzneimittel sind in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nichts Neues.* Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG), das am 1. April 2007 in Kraft getreten ist, verpflichtet jetzt aber die Apotheken, Packungen der Rabattpartner der jeweiligen Kasse abzugeben, wenn der Arzt eine Substitution nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat. Inzwischen beträgt der Anteil rabattierter Arzneimittel am Generikamarkt der GKV 36%, das heißt, für jedes dritte abgegebene Präparat besteht ein Rabattvertrag.1 Zum einen handelt es sich dabei um Preisnachlässe für einzelne Wirkstoffe. Solche Vereinbarungen hat beispielsweise die AOK getroffen.2 Da sie zunächst eher kleineren Anbietern den Zuschlag erteilt hat - die drei großen Generikafirmen Hexal, Ratiopharm und Stada hatten sich an den Ausschreibungen erst gar nicht beteiligt3 -, kam es vor allem in der Anfangszeit zu Lieferschwierigkeiten. Andere Kassen haben sich für Verträge entschieden, bei denen sie das ganze Sortiment eines oder mehrerer Hersteller einkaufen, darunter in der Regel einer der drei Marktführer. Damit sollen Versorgungsengpässe vermieden werden. Da diese drei Generikahersteller aber nicht unbedingt zu den preisgünstigsten Anbietern gehören, könnten solche Vereinbarungen die erhoffte Senkung der Arzneimittelausgaben schmälern: Wenn preiswertere Alternativen vorliegen, trägt ein Rabatt von einem hohen Preis nichts zur Kostendämpfung bei. Im Gegenteil kann die bevorzugte Abgabe eines teuren rabattierten Vertrags-Arzneimittels die Bilanz für die Kasse belasten.2

* Neben einem Apothekenrabatt von derzeit 2,30 €, den die Apotheken den Kassen vom Festaufschlag (8,10 €) für verschreibungspflichtige Medikamente einräumen müssen, ist seit 2003 von den Herstellern ein Preisnachlass von 6% des Herstellerabgabepreises bei Arzneimitteln zu gewähren, für die es keinen Festbetrag gibt (Herstellerrabatt). Seit April 2006 wird zudem bei Generika ein Rabatt in Höhe von 10% des Herstellerabgabepreises erhoben (Generikarabatt).5

Ohnehin wird das Einsparvolumen für die GKV durch Rabatte als gering eingestuft. Nach Schätzungen eines kritischen Experten dürfte es höchstens 300 Mio. € pro Jahr betragen. Das sind bezogen auf den Generikamarkt der GKV in Höhe von rund 11 Milliarden € 2,8% und bezogen auf die Arzneimittelkosten der GKV insgesamt (rund 24 Milliarden €) 1,3%. Sind an die Abgabe rabattierter Arzneimittel Zuzahlungsbefreiungen für die Patienten geknüpft, wie sie beispielsweise die Techniker Krankenkasse ihren Versicherten verspricht,4 könnte die Bilanz sogar negativ werden.2 Dabei sind die Kosten, die für Abschluss und Abwicklung solcher Verträge anfallen, noch gar nicht berücksichtigt.

Inzwischen sind auch Originalpräparate Gegenstand der Verhandlungen. Eli Lilly beispielsweise gewährt seit November 2007 mehreren Kassen Rabatte auf ihr Antipsychotikum ZYPREXA (Olanzapin) - ein durchsichtiger Schachzug angesichts des gerade ausgelaufenen Patentschutzes für Olanzapin.6 Auch Janssen-Cilag hat eine entsprechende Vereinbarung mit der AOK Rheinland/Hamburg für RISPERDAL (Risperidon, siehe Seite 15) getroffen.

Neben simplen Rabattverträgen wird zunehmend mit komplexeren Modellen experimentiert. Wie die Rabatte für nicht mehr patentgeschützte Originalpräparate helfen auch so genannte Cost-Sharing-Modelle Firmen, ihre hohen Listenpreise beizubehalten, die häufig als Referenzgröße für andere Länder gelten. So hat Pfizer für seinen CSE-Hemmer SORTIS (Atorvastatin), dessen Preis weit über dem Festbetragsniveau für Statine liegt, mit der Deutschen BKK vereinbart, dass deren Versicherte von der bei anderen Kassen anfallenden Zuzahlung befreit sind6,7 - das macht beispielsweise bei einer Packung mit 100 Tabletten zu 10 mg Atorvastatin 62 € aus. Die Firma Novartis hat den Krankenkassen mehrfach angeboten, die Kosten der GKV für den teuren Antikörper Ranibizumab (LUCENTIS, vgl. a-t 2007; 38: 19-22) auf 315 Mio. € pro Jahr zu begrenzen. Bei jährlich 50.000 Neuerkrankungen an feuchter Makuladegeneration entspräche dies den Arzneikosten für jeden zweiten neu erkrankten Patienten.8 So großzügig der Vorschlag auf den ersten Blick erscheinen mag, rechnet er sich mit Sicherheit vor allem für den Hersteller: Wenn der Vertrag ausläuft, ist das Mittel auf dem Markt etabliert, und Ärzte und Patienten wollen nicht mehr darauf verzichten (Strategie des "Anfixens"). Auch Roche hat angeboten, auf einen Teil der Behandlungskosten für den Angiogenesehemmstoff Bevacizumab (AVASTIN) zu verzichten, wenn die kumulative Gesamtdosis pro Patient und Jahr 10 g übersteigt, was bei bestimmten Indikationen (z.B. metastasiertes Mammakarzinom) eintreten könnte.7 Bei GlaxoSmithKline setzt man auf Mehrwertverträge, bei denen die Hersteller anstelle von oder zusätzlich zu einem Rabatt Patientenschulungen, Raucherentwöhnungskurse u.ä. anbieten.6 Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht und den Firmen Direktwerbung beim Patienten ermöglicht.

Etwas ganz Besonderes hat sich Novartis für die Osteoporosetherapie mit dem intravenösen Bisphosphonat Zoledronat (ACLASTA) einfallen lassen: Mit der DAK hat die Firma vereinbart, dass sie der Kasse im Falle einer osteoporotischen Fraktur innerhalb eines Jahres nach Infusion die Kosten für das Mittel erstattet (Risk-Share-Vertrag). Im Gegenzug versucht die Kasse, ihre Versicherten auf ACLASTA umzustellen.6 Verordner müssen keine Wirtschaftlichkeitsprüfung fürchten. Gemeinsam werben Kasse und Hersteller beispielsweise in Werbeprospekten für das "erste Medikament mit Geld-zurück-Garantie".9 Einen vergleichbaren Vertrag hat Novartis auch mit der Barmer Ersatzkasse abgeschlossen.6

Die Firma sichert sich so Marktanteile. Die Kassen wiederum versprechen sich Wettbewerbsvorteile, nicht zuletzt angesichts des ab 2009 vorgesehenen Einheitstarifs. Sie können sich rühmen, ihren Versicherten "Zugang zu besonders wirksamen und hoch innovativen Originalpräparaten" zu verschaffen.10 Zudem erhoffen sie sich natürlich Einsparungen: "Genaue Zahlen sind zwar nicht vorhersagbar, sparen wollen wir in jedem Fall", so ein DAK-Mitarbeiter.11 Ob das gelingt, ist jedoch zweifelhaft: Für die einmal jährliche Infusion von Zoledronat (561,63 €/Infusion) fallen für 1.000 Frauen 561.630 € pro Jahr an. In der Zulassungsstudie kommt es bei 8,4% der Anwenderinnen innerhalb von drei Jahren unter dem Bisphosphonat zu einer klinisch auffälligen Fraktur.12 Bezogen auf 1.000 Frauen und ein Jahr müsste Novartis demnach Arzneimittelkosten in Höhe von 15.726 € für 28 Frauen erstatten, die trotz Therapie eine Fraktur erleiden. Die Kasse müsste aber immer noch 545.904 € pro Jahr aufwenden, das sind 60% mehr als für ein preiswertes Alendronat-Generikum (z.B. ALENDRON BETA: 105,03 € für 112 Tbl. zu 10 mg, entsprechend 342.285 €/1.000 Frauen/Jahr).

Belege dafür, dass Zoledronat wirksamer oder besser verträglich ist oder dass weniger Frauen die auf mehrere Jahre angelegte Behandlung abbrechen, gibt es nicht. Im Gegenteil: Hinsichtlich Nierenschäden könnte Zoledronat nach Einschätzung der australischen Arzneimittelbehörde toxischer sein als die übrigen Bisphosphonate. Akutes Nierenversagen ist in der Zulassungsstudie bei 0,2% der Anwenderinnen beschrieben (a-t 2007; 38: 99-101). Bei Krebspatienten scheint auch das Risiko von Kiefernekrosen unter Zoledronat höher zu sein als unter anderen Abkömmlingen. Nach aktuell publizierten Beobachtungsdaten könnte die Gefahr in der Osteoporosetherapie unter intravenösen Bisphosphonaten ebenfalls größer sein als unter oral anzuwendenden Präparaten.13 Mit solchen Verträgen, wie ihn DAK bzw. Barmer und Novartis abgeschlossen haben, wird die rasche Verbreitung neuer, wenig erprobter Mittel oder die Verwendung bekannterer Mittel bei völlig anderen Patientengruppen gefördert, ohne dass sich seltene oder langfristige Risiken wenigstens einigermaßen abschätzen lassen. Auch innerhalb der Pharmaindustrie gibt es offenbar Bedenken: "Was, wenn etwa bei einem scheinbar harmlosen Risk-Share-Vertrag herauskommt, dass das Medikament Schwächen hat?", überlegt ein Pharmamanager.6

Im Gegensatz zu den Rabattverträgen für patentfreie Arzneimittel ist die Umsetzung der Verträge für patentgeschützte Originalpräparate schwieriger, da sie vom Verschreibungsverhalten der Ärzte abhängt. Als hilfreich für Kassen und Hersteller könnte sich hier die Zusammenarbeit mit Ärztenetzen erweisen. So hat die Deutsche BKK beispielsweise zusammen mit regionalen Ärztenetzen Behandlungspfade für bestimmte chronische Erkrankungen wie Sodbrennen aufgestellt, in denen festgelegt ist, welche Behandlungsschritte zu welchem Zeitpunkt der Therapie erfolgen und welche Medikamente eingesetzt werden. Diese Pfade haben die Kasse und die Firma AstraZeneca dann gezielt mit Rabattverträgen für das Altoriginal ANTRA MUPS (Omeprazol) und das patentgeschützte NEXIUM MUPS (Esomeprazol) unterlegt.6,7

DIE FOLGEN: Pharmahersteller haben sich zum Teil sehr rasch mit den neuen Möglichkeiten arrangiert und entwickeln diese bereits in ihrem Sinne weiter. Zum einen bleiben so die Listenpreise weiterhin unangefochten hoch. Dies ist für multinationale Konzerne bedeutsam, da Deutschland als größter Arzneimittelmarkt Europas ein wichtiges Referenzland für die internationale Preisbildung ist. Zum anderen kommt die Intransparenz, die innerhalb weniger Monate in den Markt eingezogen ist, den Firmen entgegen. Die gewährten Rabatthöhen bleiben geheim.2,14 Der Apothekenverkaufspreis, der Produkte vergleichbar gemacht und die Bildung von Festbeträgen ermöglicht hat, lässt jetzt keine Rückschlüsse mehr auf die tatsächlichen Kosten zu. Auch Kritik an der Preisbildung der Industrie wird dadurch Wind aus den Segeln genommen.

Während auf Industrieseite Marketingleute verhandeln, die systematisch in Manipulations- und Beeinflussungstechniken ausgebildet sind, sind die Krankenkassenvertreter in dieser Beziehung oft unerfahren und überfordert. Gleichzeitig werben Firmen gezielt Kassenmitarbeiter ab, um deren Knowhow anzuzapfen. Da es zudem um erhebliche Geldbeträge geht, ist das System aus Ausschreibungen, Angeboten und Verhandlungen - vergleichbar beispielsweise mit der Bauwirtschaft - anfällig für Korruption.

Die durch Rabattverträge erforderlichen Präparatewechsel, die bei den betroffenen Patienten vielfach Irritationen und Verärgerung hervorgerufen haben, können Einnahmefehler und abnehmende Compliance nach sich ziehen. Der Mehraufwand - insbesondere für die Apotheken - ist angesichts der unklaren und allenfalls geringen Kosteneinsparungen für das Gesundheitssystem grotesk hoch.

Angeblich sollen die neuen Regelungen den Wettbewerb fördern. Langfristig bergen Rabattverträge aber die Gefahr, dass zumindest in einigen Bereichen Monopolstrukturen entstehen, in denen letztlich der Anbieter die Preise bestimmen kann.

Direktverträge zwischen Kassen und Industrie sollen eine Kostendämpfung im Gesundheitssystem ermöglichen und den Wettbewerb fördern. Beide Ziele werden jedoch verfehlt: Die Einsparungen sind allenfalls marginal, und langfristig drohen Monopolstrukturen mit der Folge steigender Arzneimittelpreise.

Wahrscheinlich für ein Taschengeld wird Firmen ermöglicht, die ärztliche Therapiehoheit zu unterminieren, Patienten direkt durch als Schulung bezeichnete Marketingveranstaltungen zu beeinflussen und die tatsächlichen Kosten von Arzneimitteln zu verschleiern. Dabei ist erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit Kassen zusammen mit Firmen Produkte bewerben.

Die geheimen Abmachungen zwischen Pharmaindustrie und Krankenkassen bieten ein Einfallstor für Korruption. Da es um Gelder der Versicherten geht, erscheint uns zumindest eine Publikationspflicht für die ausgehandelten Verträge und deren Ergebnisse unerlässlich.

  (R = randomisierte Studie)
  1 Ärzte Ztg. vom 6. Dez. 2007
  2 HARTMANN-BESCHE, W.: Pharm. Ztg. 2007; 152: 2582-6
  3 GRILL, M.: Stern vom 4. Okt. 2007, Seite 254
  4 TK aktuell 2008; Nr. 1: 24-5
  5 Ärzte Ztg. vom 15. Mai 2007
  6 HEINY, L., KUCHENBUCH, P.: Financial Times Deutschland vom 3. Jan. 2008, Beilage medbiz 01/08, Seite 8-10
  7 WINNAT, C.: Ärzte Ztg. vom 6. Dez. 2007
  8 Ärzte Ztg. vom 24. Sept. 2007
  9 Novartis/DAK: postalische Werbesendung, Druckzeichen 303627 9/2007
  10 DAK: Presseerklärung vom 11. Okt. 2007
  11 HEINY, L.: Financial Times Deutschland vom 18. Okt. 2007
R 12 BLACK, D.M. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: 1809-22
  13 CARTSOS, V.M. et al.: J. Am. Dent. Assoc. 2008; 139: 23-30
  14 Ärzte Ztg. vom 22. Okt. 2007

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 18. Januar 2008

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