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Therapiekritik

WAS NÜTZEN HÜFTPROTEKTOREN?

Oberschenkelhalsfrakturen sind typische Verletzungen des höheren Lebensalters. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen trifft es jährlich 6 bis 9 von 1.000.1 Häufigste Ursache ist der seitliche Sturz auf die Hüfte.

Hüftprotektoren sollen bei einem Sturz das Frakturrisiko mindern. Es handelt sich dabei um spezielle Unterwäsche mit seitlichen Taschen, in die Plastikschalen oder weiche Polster eingearbeitet sind. Die zahlreichen unterschiedlichen Modelle basieren auf zwei Prinzipien: Sie sollen entweder die bei einem Sturz ausgeübte Kraft absorbieren ("Energie-absorbierender Typ") oder die Kraft auf das umliegende Weichteilgewebe verteilen und dadurch die Belastung für den Hüftkopf verringern ("Sturzhelm-Typ").2 Nur ein Teil der Gefährdeten trägt die Protektoren jedoch regelmäßig. Die straff sitzende Spezialunterwäsche wird bisweilen als unbequem empfunden. Aufgrund der umständlichen Handhabung, beispielsweise beim Toilettengang, verstärkt sie möglicherweise Inkontinenzprobleme.

Ältere Studien mit Altenheimbewohnern, die besonders gefährdet sind, lassen eine Reduktion von Hüftfrakturen durch Protektoren erkennen (a-t 2000; 31: 106). Die positiven Befunde werden jedoch nicht in allen Arbeiten bestätigt. Dies lässt sich offensichtlich nicht allein auf schlechte Compliance zurückführen. In einer systematischen Übersicht der Cochrane Collaboration3 errechnen die Autoren auf der Basis von elf Studien zwar eine Senkung des Frakturrisikos um etwa ein Drittel. Die positiven Ergebnisse werden jedoch nur in Studien mit "Cluster"-Randomisierung* erzielt, während bei individueller Randomisierung ein Nutzen ausbleibt. Die Validität der Nutzenbelege steht deshalb infrage.

*

Cluster-Randomisierung: Patienten werden nicht individuell zugeteilt. Stattdessen werden die Institutionen, in denen die Patienten behandelt werden, randomisiert. In der jeweiligen Institution erhalten alle Studienteilnehmer die gleiche Behandlung. "Cluster-Effekte" können das Ergebnis verzerren: So ähneln sich möglicherweise Teilnehmer in einem Zentrum (Cluster) untereinander und können auch abgesehen von der zu prüfenden Therapie grundsätzlich anders als Teilnehmer in anderen Zentren behandelt werden.

Eine von den US-amerikanischen National Institutes of Health initiierte Studie4 untersucht jetzt den Nutzen eines Hüftprotektors bei 1.042 Altenheimbewohnern mit einer ungewöhnlichen Methodik: Bei jedem Studienteilnehmer wird nur an einer Körperseite ein Protektor angelegt. Die andere Hüfte dient jeweils als unbehandelte Kontrolle. Dieses Vorgehen vermeidet die methodischen Probleme durch offenes Design oder Cluster-Randomisierung. Der verwendete Protektor soll sowohl Energie-absorbierend wirken als auch Sturzhelm-artig schützen und biomechanisch ausreichend getestet sein.

Die Teilnehmer sind im Mittel 85 Jahre alt und überwiegend weiblich (79%). Viele sind körperlich deutlich eingeschränkt: Nur jeder Fünfte kann sich außerhalb der Pflegeeinrichtung selbständig bewegen. Nahezu jeder Dritte ist in den vorangegangenen 30 Tagen mindestens einmal gestürzt. Nach 20-monatiger Studiendauer und einer mittleren Beobachtungszeit von acht Monaten wird die Untersuchung nach einer Zwischenanalyse abgebrochen. Ein Nutzen ist nicht nachweisbar, und die Chance, einen Schutzeffekt noch zu belegen, erscheint zu gering. Bis zu diesem Zeitpunkt ist bei 3,1% der "geschützten" Hüften gegenüber 2,5% auf der ungeschützten Seite eine Fraktur aufgetreten. Auch die zuverlässigsten Studienteilnehmer, die bei mehr als 80% der Compliance-Kontrollen den Hüftprotektor auch tatsächlich tragen, haben numerisch häufiger Frakturen auf der "geschützten" Seite (5,3% versus 3,5%).

Die enttäuschenden Ergebnisse kommen trotz Schulung des Pflegepersonals, engmaschiger Betreuung der Studienteilnehmer und ungewöhnlich guter Compliance zu Stande. Ob in der formal sauber durchgeführten Studie jedoch alle ehrgeizigen Protokollziele erreicht werden (jeder Studienteilnehmer soll dreimal pro Woche vom Studienpersonal untersucht werden), geht aus der Veröffentlichung nicht hervor. Eine Einschränkung ist auch, dass der verwendete Hüftprotektor nicht handelsüblich ist und die Studienergebnisse nur für dieses Modell zutreffen. Unklar bleibt zudem, ob der einseitig angebrachte Hüftprotektor Gang und Stabilität beeinflusst, sodass die Teilnehmer möglicherweise vorwiegend auf die mit einem Protektor versehene Körperhälfte stürzen.

Auf der Basis der heutigen unklaren Datenlage lässt sich unsere vor sieben Jahren gegebene positive Bewertung (a-t 2000; 31: 106) nicht mehr aufrecht erhalten.

 In einer Studie mit 1.042 Altersheimbewohnern schützt ein einseitiger Hüftprotektor nicht vor Hüftgelenksfrakturen. Numerisch nehmen die Frakturen auf der mit dem Protektor versorgten Seite sogar zu.

  Die Datenlage ist insgesamt widersprüchlich, der Nutzen von Hüftprotektoren unklar.

 

 

(R= randomisierte Studie, Metaanalyse)

 

1

STÖCKLE, U. et al.: Der Oberschenkelhalsbruch, Dt. Ärztebl. 2005; 102: A-3426- 34

R

2

MEYER, G. et al.: Geriatrics & Aging 2003; 6: 12-4

M

3

PARKER, M.J. et al.: Hip protectors for preventing hip fractures in older people;
The Cochrane Database of Systematic Reviews, 2007, Issue 3; Stand Mai 2005

R

4

KIEL, D.P. et al.: JAMA 2007; 298: 413-22

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Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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