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Therapiekritik

AGGRENOX
MIT HÖCHSTER EMPFEHLUNGSSTÄRKE?

Bei Boehringer Ingelheim konnten im April dieses Jahres die Sektkorken knallen. In einer breit gestreuten"Presseinformation"1 der Firma wird die "höchste Empfehlungsstärke" für die ASS-Dipyridamol-Kombination AGGRENOX in der Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls verkündet. Hintergrund: In der Aktualisierung ihrer Leitlinie haben die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und die Deutsche Schlaganfallgesellschaft unter Federführung von Hans-Christoph DIENER (vgl. a-t 2006; 37: 21-2) die Empfehlung für AGGRENOX für Schlaganfallpatienten mit hohem Rezidivrisiko (> 4%/Jahr) von Grad B auf Grad A (höchste Empfehlungsstärke) hochgestuft.2

Grundlage ist die ESPRIT*-Studie,3 in der eine freie Kombination aus Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) und Dipyridamol bei Patienten mit transitorisch ischämischer Attacke oder Insult gegen ASS allein geprüft wurde. Die errechneten Vorteile erscheinen jedoch aufgrund des offenen Designs und anderer Schwächen wie hoher Abbruchrate in der ASS-Dipyridamol-Gruppe und suboptimaler Dosierung von ASS wenig valide (a-t 2006; 37: 55-6). Es fehlt nach wie vor ein direkter Vergleich von AGGRENOX mit ASS in der nachweislich effektiven Standarddosis von 75 mg bis 100 mg. Die Ergebnisse der ESPRIT-Studie werden von der Leitlinien-Gruppe um DIENER kritiklos übernommen. Zudem wird die Empfehlung explizit für die fixe Kombination aus 25 mg ASS plus 200 mg retardiertem Dipyridamol (einziges Präparat auf dem deutschen Markt: AGGRENOX) ausgesprochen, ohne dass diese überhaupt in ESPRIT gezielt geprüft wurde. Dort waren ASS-Dosierungen von 30 mg bis 325 mg und die Wahl zwischen retardiertem und unretardiertem Dipyridamol den Studienärzten freigestellt worden.

*

ESPRIT = European and Australian Stroke Prevention in Reversible Ischemia Trial

Nicht begründbar ist darüber hinaus die Spezifizierung der Empfehlung für Patienten mit hohem Rezidivrisiko (über 4%/Jahr). Dass Hochrisikogruppen besonders von der Kombination profitieren, lässt sich weder aus der älteren ESPS**-24- noch aus der ESPRIT-Studie direkt ableiten: Entsprechende Subgruppenanalysen finden sich dort nicht. Basis der Risikoeinteilung ist ein nicht validierter Score ("Essener Risk Score"), der aus Daten der CAPRIE**-Studie entwickelt wurde.5 Dieser Score wurde nachträglich auf die AGGRENOX-Studien angewendet. Dass solch fragwürdige "Daten" Grundlage für eine Leitlinienempfehlung im Jahr 2007 darstellen, ist fern aller wissenschaftlichen Qualität und Standards.

**

ESPS-2 = European Secondary Prevention Study
CAPRIE = Clopidogrel versus Aspirin in Patients at Risk of Ischemic Events

 Ein Vorteil der Azetylsalizylsäure (ASS)-Dipyridamol-Kombination AGGRENOX gegenüber einer adäquaten ASS-Monotherapie (mindestens 75 mg/Tag) ist in der Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls trotz gegenteiliger Leitlinienempfehlungen nicht hinreichend belegt.

 Die Aufwertung der Fixkombination AGGRENOX zu höchster Empfehlungsstufe bei "Hochrisikopatienten" spiegelt eher Industrienähe als sinnvollen Umgang mit der vorhandenen Evidenz wider.

 

 

(R= randomisierte Studie)

 

1

Boehringer Ingelheim: Presse-Information vom April 2007

 

2

DIENER, H.C. et al.: Akt. Neurol. 2007; 34: 8-12

R

3

ESPRIT Study Group: Lancet 2006; 367: 1665-73

R

4

DIENER, H.C. et al.: J. Neurol. Sciences 1996; 143: 1-13

 

5

DIENER, H.C. et al.: Expert Opin. Pharmacother. 2005; 6: 755-64

© 2007 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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