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Korrespondenz

ZOSTERTHERAPIE: BRIVUDIN (ZOSTEX)
BESSER ALS ACICLOVIR (ZOVIRAX U.A.)?

Ich habe heute einem Patienten mit akutem Herpes zoster mit rechtsthorakalen Effloreszenzen Aciclovir (ZOVIRAX u.a.) 800 mg verordnet. Er kommt dann wieder in meine Praxis mit der AWMF-Leitlinie Register Nr. 013/023, in der behauptet wird, Brivudin (ZOSTEX) sei bei über 50-Jährigen wirksamer bei Gabe von 1 x 125 mg als Aciclovir 5 x 800 mg. Können Sie dazu Stellung beziehen?

R. WEISS (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-36325 Feldatal
Interessenkonflikt: keiner

Der angebliche Vorteil des Zostermittels Brivudin (ZOSTEX) gegenüber dem Standard Aciclovir (ZOVIRAX u.a.; a-t 2002; 33: 125-7 und 2003; 34: 3-4, 13) wird in der zuletzt 2005 aktualisierten AWMF*-Leitlinie "Zoster und Zosterschmerzen" der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft1 mit zwei Arbeiten begründet, die hier noch als Kongressbericht zitiert werden, die aber seit 2003 auch vollständig veröffentlicht vorliegen.2,3 Bei einer der Arbeiten handelt es sich um eine fünfwöchige randomisierte Doppelblindstudie zur Akuttherapie eines Herpes zoster mit 1.227 mindestens 18 Jahre alten Patienten. Eine Woche lang einmal täglich 125 mg Brivudin per os verkürzt die mittlere Zeit vom Therapiebeginn bis zur letzten Neubildung von Bläschen im Vergleich zu fünfmal täglich 800 mg Aciclovir per os über eine Woche um vier Stunden (13,7 vs. 17,7 Stunden; primärer Endpunkt). Klinische Relevanz kommt diesem Befund unseres Erachtens jedoch nicht zu, zumal bei allen anderen erhobenen Parametern der Heilungsgeschwindigkeit (Zeit bis zum Beginn der Verkrustung, bis zur vollständigen Verkrustung, bis zum Abfall des Schorfs und bis zum Sistieren der akuten Schmerzen) kein signifikanter Unterschied besteht, aber mehrheitlich eine zumindest numerisch kürzere Dauer unter Aciclovir.2

*

AWMF = Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

In einer post hoc geplanten Nachbeobachtung wird ein Teil der Patienten aus der Doppelblindstudie zusammen mit einem Teil der Patienten aus einer unveröffentlichten Dosisfindungsstudie mit Brivudin 8 bis 17 Monate nach Beginn der Zostertherapie befragt, ob nach Abheilung des Ausschlags eine postherpetische Neuralgie bestand. 662 Patienten (536 von 1.227 aus der veröffentlichten und 126 von 642 aus der unveröffentlichten Studie) werden für die Nachbeobachtung ausgewählt. Mit Ausnahme des Kriteriums Alter (mindestens 50 Jahre) fehlen Angaben zu den Auswahlkriterien. 54 der 662 Patienten werden unter anderem wegen Nichterreichbarkeit von der Teilnahme ausgeschlossen. Bei den übrigen ausgewählten Patienten soll Brivudin die Häufigkeit einer postherpetischen Neuralgie von 43,5% unter Aciclovir auf 32,7% senken (p = 0,006).3 Es bleibt jedoch unklar, ob der Vorteil auf die Intervention oder auf andere Unterschiede zwischen den Gruppen zurückzuführen ist. Der Effekt der ursprünglichen Randomisierung, die für eine ausgewogene Verteilung der Risikofaktoren in den Vergleichsgruppen sorgen soll, ist in der hier untersuchten nachträglich gebildeten Subgruppe aus zwei verschiedenen Studie nicht mehr vorauszusetzen. Die Wortschöpfung "randomisierte Beobachtungsstudie"1, mit der diese Arbeit in der Leitlinie bezeichnet wird, vermutlich in Anlehnung an das von den Autoren selbst in ihrem Kongressbericht gebrauchte "randomized double-blind survey"4, ist nicht nur sinnlos, sondern auch irreführend. Schlussfolgerungen zum Nutzen von Brivudin im Vergleich mit Aciclovir lassen sich aus der Arbeit nicht ableiten.

Brivudin ist international wenig gebräuchlich und im Gegensatz zu Aciclovir vergleichsweise wenig erprobt. Wir finden neben der oben erwähnten nur drei weitere randomisierte Studien mit Brivudin bei Herpes zoster.5-7 In zwei kleinen grob mangelhaften Studien mit jeweils weniger als 50 Patienten soll sich Brivudin per os bei Varizelleninfektion oder Herpes zoster im Rahmen einer Immunsuppression nicht von intravenös verabreichtem Aciclovir unterscheiden.5,6

Gleichwertigkeit in der Zostertherapie immunsupprimierter Patienten, für die Brivudin kontraindiziert ist, können die auf Äquivalenz nicht angelegten Untersuchungen aber nicht nachweisen. Die dritte Studie bei immunkompetenten Patienten soll Gleichwertigkeit von einmal täglich 125 mg Brivudin mit dreimal täglich 250 mg Famciclovir (FAMVIR ZOSTER), jeweils sieben Tage eingenommen, hinsichtlich der Prävalenz einer postherpetischen Neuralgie drei Monate nach Therapiebeginn belegen (11,3% vs. 9,6%; Odds ratio 1,20; 95% Konfidenzintervall 0,88-1,63).7 Valide Schlüsse lassen sich jedoch auch aus dieser Studie nicht ziehen. Famciclovir verkürzt im Plazebovergleich die Dauer einer postherpetischen Neuralgie8 und damit - allerdings nur in einer nachträglichen Auswertung9 - 90 bis 180 Tage nach Therapiebeginn auch die Prävalenz des Post-Zoster-Schmerzes. Dies gilt aber nur für Dosierungen von dreimal täglich 500 mg und dreimal täglich 750 mg. In der Dosierung von dreimal täglich 250 mg ist der Einfluss von Famciclovir auf Zosterschmerzen nur in einem Vergleich mit Aciclovir geprüft,10 der eine Beurteilung wegen eklatanter Studienmängel nicht zulässt. Gleichwertigkeit von Brivudin mit Famciclovir wird zudem akzeptiert, obwohl nach der oberen Grenze des 95%igen Konfidenzintervalls Brivudin das relative Risiko einer postherpetischen Neuralgie um mehr als 60% steigern könnte.

Die fünfmal tägliche Einnahme, die bei Aciclovir erforderlich ist und die in der AWMF-Leitlinie negativ hervorgehoben wird, scheint uns bei einer Kurzzeittherapie von sieben Tagen akzeptabel.

Zu dem Expertengremium, das die Leitlinie entwickelt hat, gehören auch der federführende und ein weiterer Autor der beiden erstgenannten Brivudinarbeiten. Interessenkonflikte werden weder in der Leitlinie noch in den Studienpublikationen genannt. Beide Autoren haben sich jedoch beispielsweise als Sprecher auf Veranstaltungen der Firma Berlin-Chemie, des Anbieters von Brivudin, für das Mittel stark gemacht.11,12 Im Rahmen von aktuell publizierten Empfehlungen eines internationalen Expertengremiums zur Therapie des Herpes zoster deklariert einer der Autoren zudem Berater- oder andere Honorare von verschiedenen Pharmaherstellern, darunter Berlin-Chemie.13

Brivudin verteuert die antivirale Behandlung des Herpes zoster mit 98 € für eine Woche lang täglich 125 mg gegenüber einem preiswerten Aciclovir-Generikum (z.B. ACICLOVIR-1A: 26 € für eine Woche lang fünfmal täglich 800 mg) auf knapp das Vierfache.

Das gut erprobte Aciclovir (ZOVIRAX u.a.) ist Mittel der Wahl bei behandlungsbedürftigem Herpes zoster.

Ein relevanter Vorteil des international wenig gebräuchlichen, teuren Brivudin (ZOSTEX) ist nicht belegt.


*

AWMF = Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

 

 

(R= randomisierte Studie)

 

1

Deutsche Dermatologische Gesellschaft/Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Infektiologie: Leitlinie Zoster und Zosterschmerzen, Stand 2005; http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/013-023.htm

R

2

WASSILEW, S.W. et al.: Antiviral Res. 2003; 59: 49-56

 

3

WASSILEW, S.W. et al.: Antiviral Res. 2003; 59: 57-60

 

4

WASSILEW, S.W. et al.: "A randomized double-blind survey on the effect of brivudin in the prevention of postherpetic pain in comparison with acyclovir", Fourth Internat. Conf. On Varicella, Herpes Zoster, postherpetic neuralgia. La Jolla, USA, 3.-5. März 2001; zit. nach AWMF-Leitlinie1

R

5

HEIDL, M. et al.: Infection 1991; 19: 401-5

R

6

WUTZLER, P. et al.: J. Med. Virol. 1995; 46: 252-7

R

7

WASSILEW, S.W. et al.: J. Eur. Acad. Dermatol. Venererol. 2005; 19: 47-55

R

8

TYRING, S. et al.: Ann. Intern. Med. 1995; 123: 89-96

 

9

DWORKIN, R.H. et al.: J. Infect. Dis. 1998; 178 (Suppl. 1): S76-80

R

10

DEGREEF, H. et al.: Int. J. Antimicrob. Agents 1994; 4: 241-6

 

11

WASSILEW, S.W., zit. z.B. nach Ärzte Zeitung vom 18. Dez. 2000

 

12

WUTZLER, P., zit. z.B. nach Ärzte Zeitung vom 16. Dez. 2004

 

13

WASSILEW, S.W., zit. nach DWORKIN, R.H. et al.: Clin. Infect. Dis. 2007; 44 (Suppl.1): S1- S26

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