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Therapiekritik

LANGZEITSICHERHEIT VON
BESCHICHTETEN STENTS ZWEIFELHAFT

Beschichtete Stents haben seit 2002 (Sirolimusstent, CYPHER) bzw. seit 2003 (Paclitaxelstent, TAXUS) eine CE-Zulassung zur Behandlung von unkomplizierten, kurzstreckigen De-Novo-Stenosen an kleinlumigen Koronararterien. In zahlreichen Studien und Metaanalysen mindern sie im Vergleich zu unbeschichteten Stents erneute Revaskularisationen an den Zielgefäßen wegen angiografisch festgestellter Restenosen im ersten Jahr um etwa 70%. Infarktrate und Mortalität bleiben dabei jedoch unbeeinflusst (a-t 2004; 35: 39).1

2006 wurden zwei Metaanalysen bekannt, die auf ein erhöhtes langfristiges Sicherheitsrisiko hinwiesen. Als Problem wurden späte Stentthrombosen erkannt - nach Monaten bis Jahren auftretende Thrombosierungen des Stents, die akut zum Stentverschluss und in etwa 90% zum Infarkt oder Tod führen. In der einen, bisher nicht vollständig veröffentlichten Untersuchung sollen Infarkte oder Todesfälle bis vier Jahre nach Implantation bei Sirolimusstents signifikant häufiger vorgekommen sein als unter unbeschichteten Stents (6,3% vs. 3,9%; p = 0,03). Für Paclitaxelstents soll sich kein Unterschied ergeben haben.2 Die zweite Metaanalyse von insgesamt 17 randomisierten Studien mit mehr als 8.200 Patienten ergab nach vier Jahren eine im Trend erhöhte Gesamtsterblichkeit unter beschichteten Stents (Odds Ratio [OR] 1,46; 95% Vertrauensbereich [CI] 0,92-2,31).3 Als wahrscheinliche Ursache lässt sich in Sensitivitätsanalysen eine höhere nichtkardiale Sterblichkeit unter Sirolimusstents im zweiten und dritten Jahr nach Implantation erkennen.

Ebenfalls im vergangenen Jahr ergab die einjährige Nachbeobachtung eines sechsmonatigen Vergleichs, dass späte Stentthrombosen mit klinischen Folgen unter beschichteten Stents zumindest numerisch doppelt so häufig auftreten wie unter unbeschichteten (2,6% vs. 1,3%; n.s.). Todesfälle und Infarkte insgesamt kommen in dem Nachbeobachtungsjahr gut dreifach häufiger vor (4,9% vs. 1,3%; p = 0,02).4 Im Herbst 2006 wurden zudem Registerdaten aus zwei Zentren in der Schweiz und den Niederlanden bekannt, nach denen Stentthrombosen unter beschichteten Stents mit einer jährlichen Inzidenz von 0,6% auftreten sollen.2 Die Ergebnisse sind soeben vollständig publiziert worden.5 Ab Tag 30 nach Implantation nehmen Stentthrombosen unabhängig vom Typ der Beschichtung über die gesamte Beobachtungszeit von bis zu drei Jahren linear zu, ebenso Todesfälle und Infarkte. Beide Zentren setzen die Stents routinemäßig und auch außerhalb der geprüften Indikationen ein, behandeln aber unterschiedlich lange mit Clopidogrel (PLAVIX u.a.). Absetzen von Clopidogrel stellt in dieser Studie keinen Risikofaktor für späte Stentthrombosen dar. Ein solcher Zusammenhang wird jedoch seit einiger Zeit heftig diskutiert (a-t 2007; 38: 14-5).

Diese Daten veranlassten die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA Anfang Dezember 2006 zu einer Anhörung von Herstellern und Fachvertretern. Die Ergebnisse der fünf wichtigsten Präsentationen sind jetzt vorab elektronisch publiziert worden.6-10 Darunter befinden sich drei Metaanalysen, in denen prospektiv geplante Nachbeobachtungen von Hersteller-initiierten randomisierten Vergleichen mit unbeschichteten Stents ausgewertet werden.6-8 Eine schließt vier Studien mit Sirolimusstents (insgesamt 1.748 Patienten) ein,8 die anderen beiden zusätzlich vier7 bzw. fünf6 Studien mit Paclitaxelstents (insgesamt 3.513 Patienten). In den Studien mit Sirolimusstents wurden inzwischen alle Patienten mindestens vier Jahre nachbeobachtet, in denen mit Paclitaxelstents bislang nur etwa die Hälfte.

Todesfälle sind unter Sirolimusstents numerisch häufiger als unter unbeschichteten (6,7% vs. 5,3%; p = 0,23), in der Subgruppe der Diabetespatienten nimmt die Sterblichkeit signifikant zu (HR 2,9; 95% CI 1,38-6,10).6,8 Bei Paclitaxelstents ergibt sich kein Hinweis auf höhere Mortalität (6,1% vs. 6,6%; p = 0,68)8. Auch bei der Infarktrate findet sich kein signifikanter Unterschied (Sirolimus: 6,4% vs. 6,2%; Paclitaxel: 7,0% vs. 6,3%).6 Erneute Revaskularisationen des Zielgefäßes sind signifikant seltener notwendig (Sirolimus: 12,1% vs. 27,5%; p < 0,001; Paclitaxel: 17,2% vs. 24,7%; p < 0,001).6 Der Unterschied bildet sich vollständig im ersten Jahr nach dem Primäreingriff heraus. Während der weiteren Nachbeobachtung sind die Eingriffe gleich häufig. Bei drei Viertel der Studienpatienten wurde allerdings sechs bis neun Monate nach Stenteinlage routinemäßig eine Angiografiekontrolle durchgeführt;6 Grund für erneute Revaskularisationen des Zielgefäßes war in der Regel der Angiografiebefund und nicht eine klinische Symptomatik.

Stentthrombosen sind unter beschichteten Stents numerisch häufiger als unter unbeschichteten (Sirolimus: 1,2% vs. 0,6%, Paclitaxel 1,3% vs. 0,9%). Jenseits des ersten Jahres nach Implantation ist der Anstieg jedoch signifikant (Sirolimus: 0,6% vs. 0, Paclitaxel: 0,7% vs. 0,2%; jeweils p = 0,03).6 Einen kausalen Zusammenhang zwischen späten Stentthrombosen und dem Absetzen von Clopidogrel stellen die Metaanalysen nicht her. Bei Anwendung der ARC*-Kriterien für Stentthrombosen, die im Sommer 2006 von Kardiologen sowie Hersteller- und FDA-Vertretern erarbeitet wurden, zeigt sich kein Unterschied zwischen den beschichteten und unbeschichteten Stents.7,8 Die Vertrauenswürdigkeit dieser post hoc formulierten Definitionen ist jedoch unklar, sodass die Ergebnisse kritisch zu bewerten sind.

*

ARC = Academic Research Consortium

Eine vierte der jetzt online publizierten Metaanalysen schließt Nachbeobachtungsdaten von 14 randomisierten Vergleichen zwischen Sirolimus- und unbeschichteten Stents ein.9 In zehn dieser Studien wird der Stent in bisher nicht zugelassenen Indikationen wie Diabetes, akuter Infarkt oder bei komplexen Stenosen eingesetzt. Für die Auswertung liegen individuelle Daten von 4.958 Patienten vor. Die mittlere Nachbeobachtung liegt in den Einzelstudien zwischen 12 und 59 Monaten. Die Mortalität unterscheidet sich nicht (Hazard Ratio [HR] 1,03; 95% CI 0,80-1,30); Gleiches gilt für den kombinierten Endpunkt aus Infarkten und Todesfällen (HR 0,97; 95% CI 0,81-1,16). Der kombinierte Endpunkt aus Todesfällen, Infarkten und Revaskularisationen wird dagegen unter Sirolimusstents deutlich gesenkt (HR 0,43; 95% CI 0,34-0,54), wiederum aufgrund von weniger Zweiteingriffen im ersten Jahr nach Stentimplantation.

Späte Stentthrombosen ein Jahr nach Implantation sind unter Sirolimusstents um 0,55% (0,6% vs. 0,05%) häufiger als unter unbeschichteten (p = 0,02). Die Metaanalyse findet keinen Zusammenhang zwischen der Dauer einer dualen Plättchenhemmung und Stentthrombosen oder klinischen Ereignissen. In der Subgruppe der Diabetespatienten (28%) ist die Mortalität unter Sirolimusstents numerisch höher als unter unbeschichteten (HR 1,27; 95% CI 0,83- 1,95).9

Bei der fünften Publikation handelt es sich um die lange erwarteten Daten des unabhängigen SCAAR**-Registers.10 Es umfasst die Befunde aller Patienten, die in den Jahren 2003 und 2004 in Schweden mit einem koronaren Stent versorgt wurden, 6.033 mit einem beschichteten und 13.738 mit einem unbeschichteten. Die Nachbeobachtungszeit beträgt maximal drei Jahre, für zwei Drittel der Patienten mindestens zwei Jahre. Daten zum Vitalstatus und zu Krankenhausaufnahmen wegen Infarkts stammen aus staatlichen Registern. Die Patienten mit beschichtetem Stent leiden häufiger an einer Mehrgefäßerkrankung als Patienten mit unbeschichtetem (40% vs. 25%). Ansonsten unterscheidet sich das Risikoprofil der nicht randomisiert zugeteilten Patientengruppen nicht relevant. Den Imbalancen wird bei der Auswertung durch umfassende Adjustierungen Rechnung getragen. Den weitaus größten Einfluss auf die Wahl des Stents haben nicht klinische, sondern regionale Faktoren wie die Akzeptanz in den einzelnen Zentren.

**

SCAAR = Swedish Coronary Angiography and Angioplasty Registry

Über die Gesamtdauer ist die Mortalität nach Implantation eines beschichteten Stents signifikant höher als nach Implantation eines unbeschichteten (relatives Risiko [RR] 1,18; 95% CI 1,04-1,35), für die Infarktrate ergibt sich kein signifikanter Unterschied. Werden bei den Analysen die ersten sechs Monate - für diese Dauer wird in Schweden die zusätzliche Einnahme von Clopidogrel empfohlen - ausgeklammert, liegt das Mortalitätsrisiko unter beschichteten Stents bei 1,32 (95% CI 1,11-1,57) und das Infarktrisiko bei 1,12 (95% CI 0,95-1,32). Die Autoren errechnen eine Mortalitätszunahme von 0,5% pro Jahr.10 Ob der Anstieg der Mortalität und Infarktrate durch verlängerte Clopidogreleinnahme zu verhindern gewesen wäre, wird diskutiert, lässt sich aber an Hand der Daten nicht untermauern.

Klinisch indizierte Revaskularisationen werden in der Nachbeobachtungszeit bei Patienten mit beschichteten Stents nur geringfügig seltener erforderlich als bei Patienten mit unbeschichteten (15,2% vs. 16,5%; adjustiertes Risiko 0,84; 95% CI 0,77-0,92). Dieser Befund steht im deutlichen Kontrast zu den Ergebnissen aus den randomisierten Studien, in denen die Raten erneuter Revaskularisationen absolut um 7,5% bis 15% vermindert werden.2,6 Es wird deutlich, dass angiografisch festgestellte Restenosen ein Surrogatparameter mit geringer klinischer Relevanz sind.

Potenziell tödliche späte Stentthrombosen mehr als ein Jahr nach Implantation treten bei beschichteten Stents häufiger auf als bei unbeschichteten, in mehrjährigen Nachbeobachtungen von randomisierten Vergleichen insgesamt um etwa 0,6%.

Die Häufigkeit liegt in einer großen Kohortenstudie mit breiter Indikation bei 0,6% pro Jahr.

In den Nachbeobachtungsstudien kommen Todesfälle und Infarkte insgesamt unter beschichteten Stents nicht häufiger vor. Hinweise auf eine geringfügig höhere Mortalität nach vier Jahren bestehen beim Sirolimusstent (CYPHER), speziell bei Patienten mit Diabetes. Ob Paclitaxelstents (TAXUS) sicherer sind, können diese Studien jedoch nicht belegen.

Schwedische Registerdaten geben dagegen relevante Anhalte, dass die Mortalität ein halbes Jahr nach Implantation eines beschichteten Stents anstelle eines unbeschichteten pro Jahr um 0,5% steigt. Dieser relevante Mortalitätsanstieg scheint nicht allein durch Unterschiede bei den Patientencharakteristika erklärbar zu sein.

Klinisch erforderliche Revaskularisationen werden nach den schwedischen Daten durch beschichtete Stents im Vergleich zu unbeschichteten um lediglich 1,3% in zwei bis drei Jahren vermindert. Diese Reduktion ist deutlich geringer als in randomisierten Studien, in denen Revaskularisationen vorwiegend aufgrund von Befunden nach routinemäßigen angiographischen Kontrollen durchgeführt wurden.

Auch die neuen Daten bieten keine Belege dafür, dass die späten Thrombosen durch eine langfristige Einnahme von Clopidogrel (PLAVIX u.a.) sicher verhindert werden können.

Beim derzeitigen Kenntnisstand sehen wir - wegen der nur geringen Minderung klinisch indizierter Revaskularisationen einerseits sowie des Verdachts auf Übersterblichkeit andererseits - außerhalb randomisierter kontrollierter Studien keine Indikation für beschichtete Stents.

<
 

 

(M = Metaanalyse)

M

1

BABAPULLE, M.N. et al.: Lancet 2004; 364: 583-91

M

2

www.theheart.org/printArticle.do?primaryKey=736863

M

3

NORDMANN, A.J. et al.: Eur. Heart J. 2006; 27: 2784-814

 

4

PFISTERER, M. et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2006; 48: 2584-91

 

5

DAEMEN, J. et al.: Lancet 2007; 369: 667-78

M

6

STONE, G.W. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: 998-1008

M

7

MAURI, L. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: 1020-9

M

8

SPAULDING, C. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: 989-97

M

9

KASTRATI, A. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: 1030-9

 

10

LAGERQVIST, B. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: 1009-19

 
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Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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