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Korrespondenz

MISTELEXTRAKTE UND LEBENSQUALITÄT?

Mistelextrakte (LEKTINOL, ISCADOR u.a.) sind zur palliativen Behandlung bei Tumorleiden verordnungsfähig. Welche Datenlage, insbesondere zur Verbesserung der Lebensqualität gibt es hierzu? Trotz fehlenden Beweises für Lebensverlängerung usw. scheint es doch für den Aspekt der verbesserten Lebensqualität nach Chemotherapie Untersuchungen zu geben.

Dr. med. C. STERNBERGER-DREYER (Fachärztin für Allgemeinmedizin) D-65191 Wiesbaden
Interessenkonflikt: keiner

Die seit mehr als 80 Jahren in der Onkologie angewandte Misteltherapie geht auf ein Behandlungskonzept von Rudolf STEINER zurück. Konkrete Belege für den Nutzen einer Behandlung, sei es in Bezug auf Lebensverlängerung oder Verbesserung der Lebensqualität, vermissten wir in unserer letzten Bewertung von 2001 (a-t 2001; 32: 58). Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat jedoch auf Mistellektin standardisierte Mistelpräparate in seine Liste der ausnahmsweise verordnungsfähigen Medikamente zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen (§34, Absatz 1, Satz 2 SGB V) aufgenommen und dadurch aufgewertet - explizit zur Verbesserung der Lebensqualität.1

Auf einer verbesserten Datenlage kann die Entscheidung kaum beruhen: In einer 2003 publizierten systematischen Übersicht prospektiver randomisierter Studien mit Mistelpräparaten finden die Autoren nur zehn kontrollierte Studien, die zum Teil eklatante methodische Mängel aufweisen, sodass eine metaanalytische Auswertung nicht sinnvoll ist. Teilweise sind die Studien mehrfach mit widersprüchlichen Daten veröffentlicht. Die wenigen methodisch hochwertigeren Untersuchungen lassen keine Vorteile in Bezug auf Lebenszeit oder Lebensqualität zu Gunsten der Mistelbehandlung erkennen.2 Ähnlich beurteilt das US-amerikanische National Cancer Institute 2005 in einer zusammenfassenden Analyse die aktuelle Datenlage und hält die Anwendung außerhalb guter klinischer Studien für nicht empfehlenswert.3

Die Lebensqualität wird gezielt in zwei Studien thematisiert. Hinter einer so genannten "retrolektiven" Kohortenstudie4 verbirgt sich nichts anderes als eine retrospektive Auswertung von Krankenakten. Sie bleibt aufgrund der fehlenden Randomisierung und zahlreicher Verzerrungsmöglichkeiten ohne große Aussagekraft. In einer aktuell veröffentlichten offenen, randomisierten Studie erhalten 400 Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen 60 Wochen lang zusätzlich zur Standardbehandlung ein auf Lektin standardisiertes Mistelpräparat.5 In keinem der in einem validierten Fragebogen zur Lebensqualität* abgefragten Bereiche ergibt sich ein Vorteil gegenüber Nichtbehandlung. Auch diese Arbeit ist wegen methodischer Mängel (offenes Design, unscharfe Endpunktdefinition, fehlende Fallzahlkalkulation) mit Zurückhaltung zu werten, stellt jedoch derzeit die noch valideste Arbeit zu dieser Fragestellung dar.

Bedrohliche Risiken der "Immunmodulation" durch die in den Mistelextrakten enthaltenen Lektine sind nicht auszuschließen. Vermehrt freigesetzte Zytokine wie Interleukin-6 können auch einen wachstumsfördernden Effekt auf Tumorzellen ausüben. In einer randomisierten Studie wird die Rekrutierung nach Einschluss von 204 Patienten mit malignen Hauttumoren abgebrochen, da das krankheitsfreie Überleben unter Mistel in einer Zwischenanalyse gegenüber Nichtbehandlung (nicht signifikant) verkürzt ist. Die Zahl der Rezidive und Fernmetastasen steigt numerisch von 59% auf 68%.6

 Ein Nutzen von Mistelpräparaten (ISCADOR u.a.) für die Prognose oder Lebensqualität von Tumorpatienten ist nach wie vor nicht belegt.

 Potenzielle Risiken umfassen neben allergischen Reaktionen auch eine Förderung des Tumorwachstums.

 Wir raten daher weiterhin von einer adjuvanten Misteltherapie bei Tumorleiden ab.

*

Verwendet wird der EORTC-QLQ-C30-Fragebogen, in dem der globale Gesundheitszustand, fünf Funktionsskalen (z.B. körperliche Leistung) und neun Symptomskalen (z.B. Schmerzen, Luftnot) erhoben werden.


 

 

(M = Metaanalyse, R = randomisierte Studie)

 

1

SCHWABE, U. in SCHWABE, U., PAFFRATH, D. (Hrsg.): "Arzneiverordnungs-Report 2005", Springer, Berlin 2006, Seite 108-90

M

2

ERNST, E. et al.: Int. J. Cancer 2003; 107: 262-7

 

3

National Cancer Institute: Mistletoe Extracts, Stand 16. Juni 2005; http://cancernet.nci.nih.gov/cancertopics/pdq/cam/mistletoe/ healthprofessionals/allpages

 

4

SCHUMACHER, K. et al.: Anticancer Research 2003; 23: 5081-8

R

5

STEUER-VOGT, M.K. et al.: HNO 2005 doi: 10.1007/s00106-005-1318-y

R

6

KLEEBERG, U.R. et al.: Eur. J. Cancer 2004; 40: 390-402

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