logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikela-t 2005; 36: 82-3nächster Artikel
Korrespondenz

THOMAPYRIN: STANDARD IN DER KOPFSCHMERZ (SELBST)-BEHANDLUNG?

Als Apothekerin und Leiterin von Seminaren für Kopfschmerzpatienten habe ich bisher für die Selbstmedikation aufgrund des erhöhten nephrotoxischen Risikos der Kombipräparate nur Monopräparate empfohlen. Ich habe dabei immer auf entsprechende Artikel des arznei- telegramm (a-t 2003; 34: 58-60) verwiesen. Wie beurteilen Sie die neue THOMAPYRIN-Studie (Prof. Dr. DIENER)?

S. FRIEDRICHS (Apothekerin)
D-41469 Neuss
Interessenkonflikt: keiner

In einer Anfang August an Apotheken verteilten Werbeaussendung kündigen die Firmen Boehringer Ingelheim und Thomae einen "Paradigmenwechsel in der Kopfschmerztherapie" an.1 Bei 1.743 "typischen Selbstmedikationspatienten", die wegen ihrer Kopfschmerzen üblicherweise rezeptfreie Arzneimittel verwenden, soll die Kombination aus 500 mg Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.), 400 mg Parazetamol (BENURON u.a.) und 100 mg Koffein (entsprechend 2 Tabletten THOMAPYRIN) "signifikant schneller und besser wirksam"sein als 1.000 mg ASS oder 1.000 mg Parazetamol oder die Kombination aus ASS und Parazetamol - und dies bei "ausgezeichneter Verträglichkeit".1 An der als Beleg zitierten, von Boehringer Ingelheim gesponserten randomisierten, verblindeten Studie2,3 nehmen Patienten teil, die bei einem Arztbesuch mit Selbstmedikation behandelte Kopfschmerzen (70-80% Migräne, 16-20% Spannungskopfschmerz) angeben. Kopfschmerzen stellen jedoch ausdrücklich nicht den Konsultationsgrund dar. Die mittlere Zeit bis zum Erreichen einer 50%igen Schmerzlinderung (primärer Endpunkt), analysiert während einer einzigen Kopfschmerzattacke, beträgt unter der Dreifachkombination 1 Stunde 5 Minuten, unter ASS plus Parazetamol 1 Stunde 13 Minuten, unter ASS 1 Stunde 19 Minuten und unter Parazetamol 1 Stunde 21 Minuten. Die Unterschiede sind zwar statistisch signifikant, klinisch jedoch ohne Relevanz.

Doch selbst diese klinisch unbedeutenden Zeitunterschiede entbehren einer methodisch soliden Grundlage: Ursprünglich sollten die Ergebnisse von zwei Kopfschmerzattacken gemeinsam analysiert werden. Dieser geplante primäre Endpunkt bzw. dessen Auswertung werden jedoch geändert, ohne dass der Zeitpunkt der Änderung nachvollziehbar ist (z.B. vor Entblindung der Daten oder später).2,3 Korrekturen für die Vielzahl der Auswertungen sucht man vergeblich. 6 von 147 Zentren werden im Verlauf der Studie ausgeschlossen, da sie gefälschte Patiententagebücher einsandten. Insgesamt sind die Angaben zu den ein- und ausgeschlossenen Patienten verwirrend.

Bei der Schilderung der Verträglichkeit, für deren Beurteilung das Studiendesign ohnehin wenig Aussagekraft hat, wird kein Wort über den potenziellen Zusammenhang zwischen langfristiger Einnahme von Kombinationsanalgetika und Analgetikanephropathie verloren. Zudem fehlt der Hinweis, dass die Koffeinbeimischung möglicherweise Dauergebrauch fördert (a-t 2003; 34: 58-60).

Von Paradigmenwechsel keine Spur: Die fragwürdige Marketingstudie, deren Erstautor Hans-Christoph DIENER gleichzeitig Herausgeber der publizierenden Zeitschrift2 ist, bietet keinen Erkenntnisgewinn. Sie kann keine Begründung dafür sein, dass Selbstmedikationspatienten für die Dreifachkombination drei- bis viermal so viel bezahlen sollen wie für ein günstiges ASS- oder Parazetamol-Generikum und dabei noch zusätzliche Risiken in Kauf nehmen müssen.

DIENER wird in der Werbeaussendung mit einer eindeutigen Empfehlung zu Gunsten von THOMAPYRIN zitiert. Der Vorgang ist allerdings nichts Neues: In periodischen Abständen versucht der THOMAPYRIN-Hersteller, unter Einbeziehung von Experten und Fachgesellschaften den Anteil des Marktrenners auf dem OTC-Markt mit angeblich neuen Erkenntnissen zu erhalten (a-t 2001; 32: 101-2). Und auch DIENER macht sich in schöner Regelmäßigkeit für so zweifelhafte Mittel wie Pestwurz (PETADOLEX, vgl. a-t 2004; 35: 43)4 oder die Dipyridamol-ASS-Kombination AGGRENOX (a-t 1999; Nr. 10: 109)5 stark. Dass er Vorsitzender der Leitlinien-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ist, zudem als Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft für eine objektive Arzneimittelinformation sorgen sollte, stimmt auch angesichts von 29 deklarierten Firmenverbindungen6 (z.B. als Berater, Redner oder Studienleiter) bedenklich, -Red.

 

 

(R = randomisierte Studie)

 

1

Boehringer Ingelheim, Thomae: Schreiben vom 10. Aug. 2005

R

2

DIENER, H.C. et al.: Cephalalgia 2005; published online;
http://www.blackwell-synergy.com/doi/abs/10.1111/j.1468- 2982.2005.00948.x

R

3

DIENER, H.C. et al.: Pharm. Ztg. 2005; 150: 2990-3009

 

4

DIENER, H.C.: Pharm. Ztg. 2005; 150: 3076-7

 

5

FATH, R. (Forum der Industrie): Dtsch. Med. Wschr. 2004; 129: 2203

 

6

Dt. Gesellschaft für Neurologie: "Conflict of Interest Erklärung"; http://www.dgn.org/204.0.html

© 2005 arznei-telegramm

Autor: angegebene Leser bzw. Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.

vorheriger Artikela-t 2005; 36: 82-3nächster Artikel