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Therapiekritik

COXIBE UND ANDERE ANTIRHEUMATIKA:
GLEICHE KARDIALE RISIKEN?

Daten aus randomisierten kontrollierten Studien belegen ein kardiales Schädigungspotenzial von Cox-2-Hemmern. Die Rate kardiovaskulärer Komplikationen ist in APPROVe* unter Rofecoxib (VIOXX, außer Handel) doppelt so hoch wie unter Plazebo, in APC* steigert Celecoxib (CELEBREX) das Herz-Kreislauf-Risiko dosisabhängig um das 2,5- bis 3,4fache gegenüber Scheinmedikament. Auch unter Valdecoxib (BEXTRA, außer Handel; a-t 2005; 36: 43) und Parecoxib (DYNASTAT) kommen Komplikationen gehäuft vor. Ein Klasseneffekt wird vermutet (a-t 2005; 36: 15-6).

Fehlende Plazebovergleiche und widersprüchliche Ergebnisse im Vergleich mit Cox-2-Hemmern lassen eine Risikobewertung konventioneller nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR) wie Naproxen (PROXEN u.a.) bislang nicht zu: In VIGOR* war Naproxen hinsichtlich kardialer Komplikationen deutlich verträglicher als Rofecoxib. Dies nährte Spekulationen um angebliche kardioprotektive Eigenschaften von Naproxen, die aber bislang unbewiesen sind. In der weiterhin unveröffentlichten ADAPT*-Studie zum Einfluss von NSAR auf die Entwicklung einer ALZHEIMER-Demenz werden nach Meldung der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA kardiale Komplikationen oder Schlaganfälle unter Naproxen 1,5-mal so häufig berichtet wie unter Scheinmedikament (a-t 2005; 36: 16). Ob diese Risikozunahme statistisch signifikant ist, teilt die FDA nicht mit.1 In der ebenfalls noch nicht vollständig publizierten EDGE*-Studie führt die Einnahme von Etoricoxib (ARCOXIA) numerisch häufiger als Diclofenac (VOLTAREN u.a.) zu kardiovaskulären Komplikationen (0,4% versus 0,2%). In TARGET* kommt es in den beiden getrennt ausgewerteten Substudien unter dem bislang in keinem Land der Welt zugelassenen Lumiracoxib häufiger als unter Naproxen (0,84% versus 0,57%), aber seltener als mit Ibuprofen (DOLGIT u.a.; 0,43% versus 0,52%) zu schweren kardiovaskulären Komplikationen.

Jetzt beleben zwei epidemiologische Studien2,3 die Diskussion um die kardialen Risiken verschiedener NSAR erneut. In einer kanadischen Untersuchung werden retrospektiv die Daten von 2.256 Patienten über 65 Jahren mit Herzinsuffizienz erhoben, die entweder Celecoxib, Rofecoxib oder ein konventionelles NSAR verwendet haben. Verglichen wird die Zeit bis zum Auftreten erneuter Herzinsuffizienz (Notfallbehandlung oder Krankenhausaufnahme) oder Tod. Nach Adjustierung für unterschiedlich verteilte Risikofaktoren ermitteln die Autoren ein höheres Risiko erneuter Herzinsuffizienz für Patienten, die Rofecoxib (relatives Risiko [RR] 1,27; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,09-1,49) oder ein konventionelles NSAR (RR 1,26; 95% CI 1,0-1,57) einnehmen, als für Celecoxib-Verwender. Bezogen auf den Endpunkt Mortalität sollen sich Rofecoxib (RR 1,44; 95% CI 1,17-1,78) und andere NSAR (RR 1,54; 95% CI 1,17-2,04) sogar noch deutlicher von Celecoxib unterscheiden.2

Der Frage nach dem Risiko thrombotischer kardiovaskulärer Ereignisse wie Herzinfarkt geht eine britische Fall-Kontrollstudie nach. 9.218 Patienten mit einem ersten Herzinfarkt und 86.349 Kontrollpatienten werden hinsichtlich der Einnahme von Cox-2-Hemmern oder anderen NSAR vor dem Ereignis verglichen. Grundlage der Berechnungen stellt eine Datenbank (QRESEARCH) mit Erhebungen aus 468 britischen Arztpraxen dar. Die aktuelle Einnahme eines Antirheumatikums (Verschreibung innerhalb der drei Monate vor Herzinfarkt) erhöht das Risiko für einen Herzinfarkt gegenüber Nichteinnahme. Ibuprofen (RR 1,24; 95% CI 1,11-1,39), Naproxen (RR 1,27; 95% CI 1,01-1,60), Diclofenac (RR 1,55; 95% CI 1,39-1,72) und Rofecoxib (RR 1,32; 95% CI 1,09-1,61) steigern demnach das Herzinfarktrisiko in ähnlicher Größenordnung. Für Celecoxib wird ein nicht signifikant erhöhtes Risiko ermittelt (RR 1,21; 95% CI 0,96 bis 1,54), bei allerdings geringer Patientenzahl.3

Die beiden nicht randomisierten Beobachtungsstudien, deren Daten retrospektiv erhoben wurden, sind äußerst störanfällig. Die erheblichen Ungleichheiten in Hinblick auf Grundkrankheiten und kardiale Risiken müssen durch fehleranfällige Adjustierungsmethoden ausgeglichen werden. Zudem sind die Informationen zu bekannten Risikofaktoren wie Nikotinkonsum unvollständig. Die Dosierungen der Antirheumatika werden nicht berücksichtigt, und der Einnahmegrund bleibt unklar. Verzerrungen sind beispielsweise möglich, wenn Patienten mit koronarer Herzerkrankung die Schmerzmittel wegen fehlgedeuteter Angina pectoris einnehmen ("Confounding by indication").

Herzinsuffizienz, der in der ersten Studie gewählte Endpunkt, gilt nicht als spezifisches Problem der Coxibe.4 Fraglich ist, ob alle konventionellen NSAR bei der Auswertung "in einen Topf" geworfen werden dürfen, wie dies in der Untersuchung geschieht.

Der Rückschluss auf eine besondere kardiale Verträglichkeit von Celecoxib ist auf der Basis solcher Beobachtungsstudien nicht zulässig, zumal veröffentlichte Daten aus einer randomisierten und daher zuverlässigeren Studie ein erhöhtes Risiko erkennen lassen.5 Die Arbeiten tragen wenig zur Beantwortung der Frage nach den kardialen Risiken konventioneller NSAR bei. Eine Klärung ist aufgrund der Warnsignale zwar dringend erforderlich. Eine veränderte Risikoeinschätzung für Cox-2-Hemmer oder andere NSAR lässt sich jedoch derzeit nicht begründen. Die nach Bekanntwerden der Studien vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte empfohlene Beschränkung der Anwendung aller Antirheumatika auf die zugelassenen Anwendungsgebiete und -dauer6 ist ebenfalls nichts Neues.

 Randomisierte kontrollierte Studien belegen eine Zunahme thrombotischer kardiovaskulärer Ereignisse unter Cox-2-Hemmern.

 In einer aktuellen Fall-Kontrollstudie steigern Cox-2-Hemmer und konventionelle NSAR das Herzinfarktrisiko in vergleichbarer Größenordnung.

 In einer zeitgleich veröffentlichten Kohortenstudie wird ein erhöhtes Risiko für Herzinsuffizienz unter Einnahme von Rofecoxib (VIOXX, außer Handel) oder konventionellen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) im Vergleich mit Celecoxib (CELEBREX) errechnet.

 Aufgrund methodischer Unwägbarkeiten und teilweiser Widersprüche zu Ergebnissen aus valideren randomisierten kontrollierten Studien sind die neuen Daten sehr zurückhaltend zu interpretieren. Herzinsuffizienz gilt nicht als spezifisches Problem von Cox-2-Hemmern.

 Sicherheitsdaten zu konventionellen NSAR sind überfällig. Die negative Risikoeinschätzung für Cox-2-Hemmer einschließlich Celecoxib ändert sich durch die neuen Veröffentlichungen nicht.

*

ADAPT = Alzheimer's Disease Anti-Inflammatory Prevention Trial
APC = Adenoma Prevention with Celecoxib
APPROVe = Adenomatous Polyp Prevention on Vioxx
EDGE = Etoricoxib versus Diclofenac Sodium Gastrointestinal Tolerability and Effectiveness Trial
TARGET = Therapeutic Arthritis Research and Gastrointestinal Event Trial
VIGOR = Vioxx Gastrointestinal Outcome Research


 

 

(R = randomisierte Studie)

 

1

FDA Alert vom 23. Dez. 2004: http://www.fda.gov/cder/drug/InfoSheets/HCP/Naproxen-hcp.pdf

 

2

HUDSON, M. et al.: BMJ 2005; 330: 1370

 

3

HIPPISLEY-COX, J., COUPLAND, C.: BMJ 2005; 330: 1366-6

 

4

KAMMERL, M.C. et al.: Lancet 2004; 363: 1486-7

R

5

SOLOMON, S.D. et al.: N. Engl. J. Med. 2005; 352: 1071-80

 

6

BfArM: Neubewertung herkömmlicher Schmerz- und Rheumamittel wegen möglicher kardiovaskulärer Nebenwirkungen, 24. Juni 2005, zu finden unter: http://www.bfarm.de/de/index.php

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