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Therapiekritik

VITAMIN D UND KALZIUM BEI ALTERSOSTEOPOROSE:
KEINE ALLGEMEINE EMPFEHLUNG!

Vitamin D (VIGANTOLETTEN u.a.) und Kalzium (CALCIUM SANDOZ u.a.) gelten als Basis der medikamentösen Prävention und Therapie einer Altersosteoporose. In internationalen Leitlinien wird älteren Menschen bzw. Osteoporosepatienten eine Zufuhr von täglich 1.000 bis 1.500 mg Kalzium und 400 bis 800 I.U. Vitamin D empfohlen. Altersgrenzen und empfohlene Mengen variieren dabei.1,2 Auch bei Einnahme von Osteoporosemitteln wie Bisphosphonaten soll eine ausreichende Zufuhr von Vitamin D und Kalzium sichergestellt werden.1 Die Datenlage zum Schutz vor Knochenbrüchen durch Vitamin D und Kalzium ist jedoch widersprüchlich:

Kalzium allein verzögert nach einer Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien mit insgesamt 1.806 Frauen nach den Wechseljahren zwar den Knochenverlust, ein Effekt auf Wirbelbrüche (relatives Risiko [RR] 0,79; 95% Vertrauensbereich [CI] 0,54 bis 1,09) oder nicht-vertebrale Frakturen (RR 0,86; 95% CI 0,43 bis 1,72) lässt sich jedoch nicht sichern.3

Vitamin D allein hat nur in einer4 von vier großen randomisierten kontrollierten Studien4-7 einen günstigen Einfluss auf die Gesamtfrakturrate (8,8% vs. 11,1% in fünf Jahren). Knapp 2.700 durchschnittlich 75-jährige Männer und Frauen - in der Mehrzahl Ärzte und Ärztinnen - nehmen in dieser Studie alle vier Monate 100.000 I.E. Vitamin D3 oder Plazebo ein. Knochenbrüche werden mit Hilfe eines per Post zugesandten Fragebogens erfasst.4 Zwei Untersuchungen (400 I.E. Vitamin D3/Tag, in einer Studie als Fischlebertran6) mit 2.600 bzw. 1.000 Patienten finden keinen Effekt.5,6 Eine noch nicht vollständig veröffentlichte Arbeit (300.000 I.E. Vitamin D2 [Ergocalciferol] i.m./Jahr) mit mehr als 9.000 Teilnehmern ergibt sogar ein signifikant auf das 1,5fache erhöhtes Hüftfrakturrisiko.7

Die Datenlage zur Kombination von Vitamin D3 plus Kalzium (OSSOFORTIN D u.a.) ist besonders unübersichtlich. Täglich 800 I.E. Vitamin D3 plus 1.200 mg Kalzium senken bei 3.270 im Heim lebenden Frauen im mittleren Alter von 84 Jahren - mit niedrig normalem Calcidiolspiegel (Marker für die Vitamin-D-Versorgung) in einer Stichprobe - innerhalb von 18 Monaten im Vergleich zu Plazebo sowohl das Risiko einer Hüftfraktur (5,8% vs. 7,8%; RR 0,74; 95% CI 0,56 bis 0,97) als auch von nicht-vertebralen Frakturen insgesamt (11,5% vs. 15,3%; RR 0,75; 95% CI 0,62 bis 0,91).8,9 Eine Bestätigung dieser Ergebnisse durch methodisch einwandfreie Studien steht aus. Eine auf Surrogatparameter angelegte Studie derselben Arbeitsgruppe zu Vitamin D3 (800 I.E/Tag) und Kalzium (1.200 mg/Tag) teils als Fixkombination mit rund 600 in Altenwohnungen lebenden Frauen findet - bei zweifelhafter Verblindung - einen Trend zu weniger Hüftfrakturen (6,9% vs. 11,1% in zwei Jahren, p = 0,07), aber keinen Effekt auf nicht-vertebrale Brüche insgesamt (17,8% vs. 17,9%). Der negative Teil des Ergebnisses wird im Abstract verschwiegen.10

In einer US-amerikanischen Untersuchung mit 389 gesunden, durchschnittlich 71 Jahre alten Männern und Frauen, die im eigenen Haushalt leben, mindern täglich 700 I.E. Vitamin D3 plus 500 mg Kalzium innerhalb von drei Jahren die als sekundären Endpunkt erhobene Rate aller nicht-vertebralen Frakturen (5,9% vs. 12,9%; RR 0,5; 95% CI 0,2 bis 0,9).11 In einer dänischen Studie werden im faktoriellen Design (a-t 2003; 34: 100) gleichzeitig ein nichtmedikamentöses Fraktur-Präventionsprogramm und die Kombination aus täglich 400 I.E. Vitamin D3 plus 1.000 mg Kalzium bei knapp 10.000 über 65-Jährigen untersucht. Im Verlauf von 42 Monaten sinkt das relative Risiko einer osteoporotischen Fraktur mit Krankenhauseinweisung unter Vitamin D3 plus Kalzium um 16% (RR 0,84; 95% CI 0,72 bis 0,98). Randomisiert werden hier jedoch nicht die einzelnen Teilnehmer, sondern die vier Stadtteile einer dänischen Kommune, wobei drei Bezirke je einer Intervention zugeteilt werden und ein Stadtviertel als Kontrolle dient (so genannte Cluster-Randomisierung).12 Da die Randomisierung in dieser Studie sehr grob ist (pro Behandlungsgruppe 1 Cluster bzw. 1 Stadtviertel), besteht ein erhebliches Verzerrungspotenzial.

In der aktuell publizierten plazebokontrollierten RECORD*-Studie werden jetzt im faktoriellen Design gleichzeitig Vitamin D3 (täglich 800 I.E.), Kalzium (täglich 1.000 mg) oder eine Kombination aus beidem geprüft. 5.292 durchschnittlich 77 Jahre alte Patienten mit osteoporotischen Frakturen in der Vorgeschichte, die überwiegend im eigenen Haushalt leben, nehmen an der vom britischen Medical Research Council und Herstellern gesponserten Studie teil. 85% sind Frauen, 17% haben einen Oberschenkelhalsbruch durchgemacht. Der Calcidiolspiegel einer kleinen Stichprobe (1%) liegt an der unteren Grenze der Norm. Zu den Ausschlusskriterien gehören kognitive Einschränkungen, Hyperkalziämie und Nierensteine in den vergangenen zehn Jahren sowie Einnahme anderer Osteoporosemittel wie Bisphosphonate. Im Studienverlauf von 24 bis 62 Monaten kommt es bei insgesamt 698 Teilnehmern (13%) zu erneuten osteoporotischen Knochenbrüchen einschließlich symptomatischen, radiologisch bestätigten Wirbelfrakturen (primärer Endpunkt). Keine der Interventionen bringt einen Vorteil gegenüber Plazebo. Die Gruppen mit Kalzium haben ein relatives Frakturrisiko von 0,94 (95% CI 0,81 bis 1,09) im Vergleich mit den Gruppen ohne Kalzium, die mit Vitamin D3 eines von 1,02 (95% CI 0,88 bis 1,19). Unter der Kombination liegt das relative Risiko im Vergleich mit Plazebo bei 1,01 (95% CI 0,75 bis 1,36). Auch Todesfälle, Zahl der Stürze und Lebensqualität unterscheiden sich nicht. Hinsichtlich schwerwiegender unerwünschter Ereignisse wie Niereninsuffizienz (insgesamt 0,13%), Nierensteine (0,07%) oder Hyperkalziämie (0,4%) soll ebenfalls kein Unterschied bestehen.13

*

RECORD = Randomised Evaluation of Calcium Or vitamin D

Die Compliance ist mit unter 50% nach zwei Jahren gering. Für den Abbruch der Einnahme von Kalziumtabletten spielen offenbar besonders Magen-Darm- Beschwerden und Einnahmeprobleme eine Rolle. Zwischen den Subgruppen, die mehr bzw. weniger als 80% der Studienmedikation eingenommen haben, lassen sich aber hinsichtlich des Nutzens keine Unterschiede erkennen. Auch in anderen Subgruppenanalysen nach Alter, Geschlecht, Gewicht oder Risiko eines Vitamin-D- oder Kalziummangels ergibt sich kein Unterschied. Wegen etwas geringerer Frakturrate als erwartet ist die Studie geringfügig "unterpowert". Die unteren Grenzen der 95%igen Vertrauensbereiche der beiden primären Analysen schließen eine 20%ige Senkung des Frakturrisikos jedoch aus.13

Eine zweite aktuell publizierte britische Studie zur Kombination von täglich 800 I.E. Vitamin D3 plus 1.000 mg Kalzium kommt ebenfalls zu negativem Ergebnis. Teilgenommen haben 3.314 im eigenen Haushalt lebende Frauen im Alter von durchschnittlich 77 Jahren mit mindestens einem Risikofaktor für Hüftbrüche wie geringes Körpergewicht oder Knochenbruch in der Vorgeschichte. Diese offene randomisierte kontrollierte Untersuchung ist für ein valides Ergebnis jedoch zu klein: Die Knochenbruchrate ist mit insgesamt 4,5% nach 25 Monaten nicht einmal halb so hoch wie erwartet (10%). Ein Effekt der Vitamin D3- und Kalziumkombination lässt sich nicht erkennen (RR 1,01; 95% CI 0,71 bis 1,43).14

 Die Datenlage zu Vitamin D (VIGANTOLETTEN u.a.) und Kalzium (CALCIUM SANDOZ u.a.) bei Altersosteoporose ist widersprüchlich.

 Vitamin D allein senkt in einer Studie das Frakturrisiko, hat in drei weiteren einschließlich einer aktuell publizierten keinen Effekt und steigert es in einer fünften. Eine definitive Bewertung ist unter anderem wegen der unterschiedlichen Vitamin-D-Präparate, Dosierungen und Applikationsarten nicht möglich. Für die generelle Empfehlung von Vitamin D allein bei Altersosteoporose fehlen aber derzeit hinreichende Daten.

 Substitution von Kalzium allein beugt zwar Knochenverlust (Surrogatkriterium) vor. Ein Schutz vor Knochenbruch ist nicht hinreichend gesichert. In einer aktuellen Studie hat die Kalziumeinnahme keinen Einfluss auf Frakturen.

 Besonders unübersichtlich ist die Datenlage zur Kombination von Vitamin D und Kalzium. Täglich 800 I.E. Vitamin D3 plus 1.200 mg Kalzium senken bei im Heim lebenden hochbetagten Frauen das Risiko einer Hüftfraktur sowie von extravertebralen Frakturen insgesamt. In zwei neueren Studien mit älteren Menschen, die überwiegend im eigenen Haushalt leben, lässt sich dagegen trotz eines erhöhten Frakturrisikos kein Effekt von Vitamin D3 plus Kalzium erkennen.

 Für an das Haus gebundene Frauen im hohen Lebensalter mit hohem Risiko eines subklinischen Vitamin-D-Mangels ist die tägliche Substitution mit Vitamin D3 plus Kalzium nach wie vor vertretbar. Auch bei Einnahme von Bisphosphonaten ist eine ausreichende Kalzium- und Vitamin-D-Versorgung sicherzustellen. Eine allgemeine Empfehlung von Vitamin D3 plus Kalzium bei Altersosteoporose lässt sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand jedoch nicht begründen.


 

 

(R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)

 

1

Scottish Intercollegiale Guidelines Network: Management of Osteoporosis. A national clinical guideline, Juni 2003; http://www.sign.ac.uk/pdf/sign71.pdf

 

2

BROWN, J.P. et al.: Can. Med. Ass. J. 2002; 167 (Suppl. 10): S1-34

M

3

SHEA, B.J. et al.: Calcium supplementation on bone loss in postmenopausal women (COCHRANE Review). In: The COCHRANE Library 2005, Issue 2, J. WILEY and Sons, Ltd., Last update Nov. 2003

R

4

TRIVEDI, D.P. et al.: BMJ 2003; 326: 469

R

5

LIPS, P. et al.: Ann. Intern. Med. 1996; 124: 400-6

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6

MEYER, H.E. et al.: J. Bone Miner. Res. 2002; 17: 709-15

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7

SMITH, H. et al.: Osteoporos. Int. 2004; 15 (Suppl. 1): S8 (Abstract)

R

8

CHAPUY, M.C. et al.: N. Engl. J. Med. 1992; 327: 1637-42

M

9

GILLESPIE, W.J. et al.: Vitamin D and vitamin D analogues for preventing fractures associated with involutional and postmenopausal osteoporosis (COCHRANE Review). In: The COCHRANE Library 2005, Issue 2, J. WILEY and Sons, Ltd., Last update Nov. 2000

R

10

CHAPUY, M.C. et al.: Osteoporos. Int. 2002; 13: 257-64

R

11

DAWSON-HUGHES, B. et al.: N. Engl. J. Med. 1997; 337: 670-6

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12

LARSEN, E.R. et al.: J. Bone Miner. Res. 2004; 19: 370-8

R

13

The RECORD Trial Group: Lancet 2005; published online April 28, 2005

R

14

PORTHOUSE, J. et al.: BMJ 2005; 330: 1003

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