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Neu auf dem Markt

RACECADOTRIL (TIORFAN) -
EIN DURCHFALLMITTEL FÜR KINDER

Seit kurzem ist das antisekretorisch wirkende Racecadotril (TIORFAN) zur symptomatischen Behandlung des Durchfalls bei Kindern und Säuglingen ab drei Monaten auf dem deutschen Markt. Die Zulassung ist beschränkt auf Situationen, in denen "orale Rehydratation und übliche unterstützende Maßnahmen ... nicht ausreichen, den klinischen Zustand zu kontrollieren".1

Durchfälle im Säuglings- und Kindesalter stellen nach wie vor weltweit eine erhebliche gesundheitliche Bedrohung dar, auch wenn die Sterblichkeit nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 1979 von 4,5 Millionen auf 1,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren im Jahr 2002 zurückgegangen ist. Der Rückgang der Sterblichkeit wird der zunehmenden Verbreitung einer standardisierten oralen Rehydratationsbehandlung zugeschrieben. Aktuelle Empfehlungen von WHO und UNICEF raten generell von der Anwendung von Stopfmitteln ab.2 Unter dem Opioidagonisten Loperamid (IMODIUM u.a.) werden neben Darmlähmung schwere neurologische Störwirkungen bei Kindern beschrieben (a-t 1990; Nr. 10: 91).

EIGENSCHAFTEN: Racecadotril wird im Gewebe zum biologisch aktiven Thiorphan umgewandelt. Der Metabolit blockiert membrangebundene Enkephalinasen und dadurch den Abbau von Peptiden, die die Sekretion von Wasser und Elektrolyten in das Darmlumen hemmen.

Obwohl sich die Wirkung durch Opioidantagonisten aufheben lässt und die frühere Wirkstoffbezeichnung Acetorphan an Opioideigenschaften denken lässt, soll die Darmmotilität nach tierexperimentellen Daten und Untersuchungen an gesunden Erwachsenen nicht beeinflusst werden.

WIRKSAMKEIT: In zwei randomisierten Studien aus Peru3 und Frankreich4 erhalten 307 Kinder zwischen drei Monaten und drei bzw. vier Jahren mit akuten Durchfällen zusätzlich zur standardisierten oralen Rehydratationstherapie täglich dreimal 1,5 mg Racecadotril pro kg Körpergewicht oder Plazebo. Die Stuhlproduktion in den ersten 48 Stunden (primärer Endpunkt) wird durch Racecadotril verringert, die Dauer der Durchfälle von durchschnittlich zwei bis drei Tagen auf ca. einen Tag verkürzt.

In einer weiteren Studie aus Frankreich erhalten 166 Kinder im Alter von drei Monaten bis drei Jahren eine orale Rehydratation mit oder ohne zusätzliches Racecadotril.5 Die Zahl erneuter Konsultationen nach Beginn der ambulanten Behandlung als Surrogatparameter für die Schwere des Verlaufs ist unter Verum geringer (18% versus 35%). Wegen mangelhafter Randomisierung und des offenen Designs ist die Studie methodisch unzureichend und nicht aussagekräftig.

Ein Vergleich mit Loperamid liegt bei 102 Kindern zwischen zwei und zehn Jahren vor.6 Die durchschnittliche Dauer des Durchfalls (10,7 vs. 8,8 Stunden) und die mittlere Zahl der Durchfälle (2,7 vs. 2,1) bis zur Erholung (primärer Endpunkt) unterscheiden sich statistisch nicht. Nur zwei Kinder in der Loperamidgruppe erhalten eine orale Rehydratationstherapie, da diese in der Untersuchung nicht als Basisbehandlung vorgeschrieben ist.

Ob schwere Verläufe verhindert oder gemildert werden können, lässt sich aus den Studien nicht ableiten. Zudem fehlen Studien, in denen gezielt Kinder untersucht werden, bei denen die orale Rehydratation allein als nicht ausreichend erachtet wird. Nur für diese Situation gilt jedoch die Zulassung und nicht für die Verkürzung einer adäquat behandelten Diarrhö.

Bedenken, dass Durchfallmittel das Krankheitsbild verschleiern, lassen sich nach derzeitigem Kenntnisstand auch für Racecadotril nicht ausräumen.

STÖRWIRKUNGEN: Häufig geht die Einnahme von Racecadotril mit Übelkeit und Erbrechen einher. Eine Abgrenzung vom natürlichen Krankheitsverlauf ist oft schwierig. Zwei Kinder werden wegen ausgeprägter Dehydratation aus einer Studie ausgeschlossen, bei einem Jungen entwickelt sich unter dem Durchfallmittel ein Ileus. Verstopfung ist zwar unter Loperamid häufiger (58%), sie tritt aber auch bei einem Drittel der Patienten unter Racecadotril auf (36,5%). In der wenig aussagekräftigen Fachinformation werden Ileus, Bronchospasmus und Hypokaliämie als gelegentliche (0,1% bis 1%) Nebenwirkung angegeben.1

KOSTEN: Racecadotril (TIOFRAN Granulat) wird gewichtsabhängig dosiert. Die Preisbildung zeugt von Willkür: Ein Beutel zu 10 mg (1,15 €) ist 72% teurer als die höher dosierte Zubereitung mit 30 mg (0,67 €/Beutel). Die Therapiekosten werden mit Racecadotril als Zusatz zu einer Rehydratationsbehandlung mehr als verdoppelt.

 Das antisekretorisch wirkende Antidiarrhoikum Racecadotril (TIORFAN) verringert im Vergleich mit Plazebo bei Kindern im Alter von drei Monaten bis vier Jahren mit akuten Durchfällen die Menge des Stuhlgangs und verkürzt die Dauer des Durchfalls um ein bis zwei Tage.

 Die zugelassene Indikation - akuter Durchfall, wenn orale Rehydratation allein nicht ausreicht - ist in keiner der klinischen Studien gezielt Gegenstand der Untersuchung. Ein Einfluss auf schwere Verläufe oder Komplikationen ist nicht belegt.

 Obwohl Racecadotril nicht die Darmmotorik hemmen soll, ist Darmverschluss unter der Behandlung dokumentiert.

 Die Gefahr der Verschleierung des Krankheitsbildes und unzureichender Rehydratationstherapie bzw. verspäteter klinischer Behandlung ist nicht auszuschließen.

 Wir sehen keinen Stellenwert von Racecadotril für die Zusatzbehandlung des kindlichen Durchfalls.

© 2004 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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