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Therapiekritik

ATORVASTATIN VERSUS PRAVASTATIN: ÜBERLEGENHEIT BEWIESEN?

Wegen unterschiedlich ausgeprägter Cholesterin-unabhängiger ("pleiotroper") Effekte auf Gerinnung, Entzündungsvorgänge und Endothel, deren klinische Relevanz allerdings offen ist, gelten Statine untereinander als nicht austauschbar. Deshalb sollen nur solche verwendet werden, für die ein Nutzen anhand klinischer Endpunkte belegt ist. Jetzt wird erstmals ein direkter Langzeitvergleich zweier Statine über zwei Jahre veröffentlicht. In der PROVE IT*-Studie1 erhalten 4.162 Patienten innerhalb von zehn Tagen nach stationärer Aufnahme wegen instabiler Angina pectoris (29%) oder Infarkt mit (36%) und ohne (36%) ST-Hebung doppelblind und randomisiert täglich 40 mg Pravastatin (MEVALOTIN, PRAVASIN) oder 80 mg Atorvastatin (SORTIS). Das Gesamtcholesterin darf eingangs maximal 240 mg/dl, bei Vorbehandlung mit einem Statin (25%) nur 200 mg/dl betragen. Primärer Endpunkt ist die Kombination aus Gesamtmortalität und vaskulären Ereignissen (Infarkt, stationär behandlungsbedürftige instabile Angina pectoris, koronare Revaskularisation oder Insult). Nachgewiesen werden soll die Nichtunterlegenheit der Behandlung mit der üblichen Dosierung von Pravastatin gegenüber stärkerer Lipidsenkung mit hoher Dosierung von Atorvastatin.

Dies gelingt jedoch nicht. Nach durchschnittlich zwei Jahren sind Todesfälle oder vaskuläre Komplikationen unter Atorvastatin signifikant seltener als unter Pravastatin (22,4% vs. 26,3%; relative Risikoreduktion 16%; 95% Konfidenzintervall 5-26%). Atorvastatin beeinflusst vor allem die Komponenten des primären Endpunktes günstig, die klinisch unscharf definiert sind: koronare Revaskularisationen (16,3% vs. 18.8%) und instabile Angina pectoris (3,8% vs. 5,1%). Für Insulte oder Infarkte ergibt sich kein signifikanter Vorteil gegenüber Pravastatin. Die Gesamtmortalität liegt mit 2,2% vs. 3,2% in der Tendenz niedriger, vorwiegend durch weniger nicht-koronare Todesfälle (1,2% vs. 1,8%).

Nach Subgruppenanalysen bringt Atorvastatin keinen Vorteil für Patienten mit vorheriger Statintherapie, LDL-Cholesterin unter 125 mg/dl, ST-Hebungsinfarkt sowie für über 65-Jährige. Das LDL-Cholesterin sinkt unter Atorvastatin von durchschnittlich 106 mg/dl auf 62 mg/dl, unter Pravastatin auf 95 mg/dl. Transaminasen steigen häufiger unter Atorvastatin an (3% vs. 1%), Muskelbeschwerden und/oder CK-Anstiege treten etwa gleich häufig auf (3,3% vs. 2,7%). Rhabdomyolysen werden nicht beobachtet.

Die von einer TIMI**-Arbeitsgruppe geleitete und durch die Pravastatin-Hersteller unterstützte Studie erscheint valide durchgeführt. Die Ergebnisse werfen jedoch Fragen auf. Die Arbeit kann auf Grund ihres Konzeptes nicht differenzieren, ob die stärkere Cholesterinsenkung durch die hohe Atorvastatin-Dosis oder besondere "pleiotrope" Eigenschaften von Atorvastatin zu den positiven Resultaten führen. In einem 2 x 2-faktoriellen Design (vgl. a-t 2003; 34: 100) wird außerdem gleichzeitig Gatifloxacin (BONOQ; jeden Monat für zehn Tage) gegen Plazebo verglichen. Ergebnisse hierfür sind nicht publiziert, wären aber von Bedeutung, um Interferenzen des Chinolons mit den Statinen auszuschließen.

Übertragbar sind die Ergebnisse nur auf unter 65-jährige Patienten mit instabiler Angina pectoris oder Infarkt ohne ST-Hebung, die gemäß Subgruppenauswertungen profitieren. Ein akutes Koronarsyndrom stellt eine Krankheitsentität mit eigenen Pathomechanismen dar. In dieser Indikation ist Atorvastatin bisher als einziges Statin geprüft. Es reduziert in einer Dosierung von 80 mg pro Tag über 16 Wochen stationär behandlungsbedürftige Angina-pectoris-Anfälle (a-t 2001; 32: 50-1).2 Ob eine Fortsetzung der Hochdosistherapie über diesen Zeitraum hinaus einen zusätzlichen Nutzen bringt oder der längerfristige Nutzen durch die initiale Behandlung bestimmt wird, lässt sich mit der PROVE IT-Studie nicht beantworten. Eine zweijährige Einnahme von 80 mg Atorvastatin nach akutem Koronarsyndrom erscheint uns nach den Daten der aktuellen Studie allenfalls bei unter 65-jährigen Patienten ohne Statin-Vorbehandlung vertretbar. Eine Übertragung der Resultate auf ältere Patienten und solche mit chronischer koronarer Herzerkrankung, Atherosklerose oder anderweitigen Gefäßrisiken ist nicht möglich. Für diese Patienten ist dagegen ein Langzeitnutzen von z.B. Simvastatin (DENAN, ZOCOR u.a.) in Standarddosierung belegt (a-t 2002; 33: 83-4). Große randomisierte Vergleiche prüfen derzeit, ob höhere Statindosen wirksamer sind.

Täglich 80 mg Atorvastatin (SORTIS) zwei Jahre lang nach akutem Koronarsyndrom eingenommen beeinflussen in der PROVE IT-Studie einen Kombinationsendpunkt aus Sterblichkeit und vaskulären Komplikationen besser als täglich 40 mg Pravastatin (MEVALOTIN, PRAVASIN).

Das Konzept der Studie lässt keine Aussage darüber zu, ob die unterschiedlich starke Cholesterinsenkung oder verschieden ausgeprägte pleiotrope Effekte für die Ergebnisse verantwortlich sind.

Patienten über 65 Jahre oder mit Statin-Vorbehandlung haben keinen Nutzen von der stärkeren Cholesterinsenkung mit Atorvastatin. Eine Übertragung der Ergebnisse auf Patienten mit chronischer koronarer Herzkrankheit ist nicht möglich.

Ein neuer Therapiestandard lässt sich aus der Studie nicht ableiten. Die zweijährige Einnahme von täglich 80 mg Atorvastatin erscheint uns allenfalls bei unvorbehandelten, unter 65-jährigen Patienten mit akutem Koronarsyndrom vertretbar.

© 2004 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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