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VORSICHT - BEDENKLICHES ARZNEIMITTEL:
TERIPARATID (FORSTEO) BEI OSTEOPOROSE

In den USA trägt die Fachinformation des Parathormonfragments Teriparatid eine Black-box-Warnung - die schärfste Form der Warnung, die die Arzneimittelbehörde FDA einem Hersteller auferlegen kann.1,2 Die Verbraucherorganisation Public Citizen hatte sich zuvor sogar ganz gegen die Zulassung von Teriparatid ausgesprochen. Der Grund: Das zur Behandlung der Osteoporose vorgesehene Mittel verursacht im Langzeitversuch mit Ratten Knochenkrebs, und zwar schon bei Wirkkonzentrationen knapp oberhalb der therapeutischen Spiegel bei Menschen.3 Seit November 2003 ist Teriparatid (FORSTEO) auch in Deutschland im Handel, zugelassen für Frauen nach den Wechseljahren mit manifester Osteoporose.

EIGENSCHAFTEN: Das rekombinant hergestellte Teriparatid enthält die ersten 34 der insgesamt 84 Aminosäuren des menschlichen Nebenschilddrüsenhormons und damit den biologisch aktiven Anteil. Parathormon reguliert den Kalzium- und Phosphatstoffwechsel in Knochen und Nieren. Die Skeletteffekte hängen von der Art der Anwendung ab: Bei kontinuierlicher Verabreichung wirkt Parathormon katabol, bei einmal täglichem intermittierendem Gebrauch überwiegt der Knochenaufbau.1,4,5

Es besteht der Verdacht, dass die Karzinogenität von Teriparatid mit seiner erwünschten anabolen Wirkung bei intermittierender Anwendung zusammenhängt. Dass Osteosarkome bei Überfunktion der Nebenschilddrüsen nicht vermehrt vorkommen, kann die Sicherheitsbedenken nicht entkräften: Auch der bei Teriparatid beobachtete Nettozuwachs an Knochen kommt bei dieser Stoffwechselstörung nicht vor.5,6

Teriparatid wird rasch absorbiert und eliminiert mit Spitzenspiegeln etwa 30 Minuten nach Subkutaninjektion und Absinken der Serumkonzentration unter die Nachweisgrenze innerhalb von 3 Stunden.1

KLINISCHE STUDIEN: Nur eine der zulassungsrelevanten Phase-3-Studien prüft die empfohlene Tagesdosis von 20 µg bei Frauen.7 1.637 durchschnittlich 70 Jahre alte Frauen mit mindestens einem mäßig ausgeprägten oder zwei leichten atraumatischen Wirbelbrüchen in der Vorgeschichte nehmen an dieser Studie teil. Zu den Ausschlusskriterien gehören andere Erkrankungen des Knochens, Störungen des Kalziumstoffwechsels, Harnsteine in der Vorgeschichte, Leberfunktionsstörung und Serumkreatinin über 2 mg/dl. Alle Frauen nehmen täglich 1.000 mg Kalzium und 400 bis 1.200 E Vitamin D ein. Nach randomisierter Zuteilung injizieren sie sich durchschnittlich 17 bis 18 Monate lang täglich 20 µg oder 40 µg Teriparatid oder eine Plazebolösung subkutan.6

Unter täglich 20 µg Teriparatid werden bei 5% (22 von 444) der Frauen neue Wirbelbrüche durch Screening erfasst im Vergleich zu 14% (64 von 448) unter Plazebo und 4% (19 von 434) unter 40 µg (primärer Endpunkt; Number needed to treat für die 20-µg-Dosis = 12). In die Analyse gehen aber wegen fehlender auswertbarer Röntgenaufnahmen nur 81% der Frauen ein. Die klinische Relevanz der durch Screening erfassten Sinterungen ist zudem zweifelhaft. Der Anteil der Frauen mit mindestens einem atraumatischen nichtvertebralen Knochenbruch ist zwar mit jeweils 3% in den Hormongruppen ebenfalls geringer als unter Plazebo (6%).7 Statistisch ist dieses Ergebnis für eine valide Aussage jedoch nicht robust genug.8

Die Knochendichte an Wirbelsäule und Hüfte nimmt unter Parathormon im Vergleich zu Plazebo signifikant zu. Am Radiusschaft sinkt sie dagegen in den Verumgruppen stärker als unter Plazebo.7 Da alle klinischen Studien nach Bekanntwerden der Karzinogenität im Tierversuch vorzeitig beendet wurden, fehlen Erfahrungen über mehr als 2 Jahre.5

Einen direkten Vergleich der zugelassenen Teriparatid-Dosierung mit Bisphosphonaten gibt es nicht. Die 40-µg-Dosis steigert in einer randomisierten Studie mit 146 Frauen nach den Wechseljahren die Knochendichte an der Wirbelsäule signifikant stärker als Alendronat (FOSAMAX). Die Knochendichte am distalen Radius wird jedoch tendenziell stärker verringert als unter dem Bisphosphonat.9 Von gemeinsamer Anwendung ist abzuraten: Nach aktuellen Befunden schwächt zusätzliches Alendronat den Einfluss von Teriparatid auf die Knochendichte.10,11 Wegen der nach Absetzen anhaltenden Effekte von Alendronat auf den Knochenstoffwechsel könnte die Interaktion aber auch bei Patienten auftreten, die Parathormon nach Vorbehandlung mit Alendronat verwenden. Die Folgen dieses Vorgehens - das im klinischen Alltag nahe liegt - sind jedoch nicht geprüft.12

UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Häufige unerwünschte Effekte in klinischen Studien sind Übelkeit, Schwindel, Krämpfe in den Beinen und Kopfschmerzen. Reaktionen an der Injektionsstelle mit Rötung und Schwellung kommen vor. Teriparatid kann Hyperkalziämie und Hyperkalziurie sowie Hyperurikämie verursachen. Nach den ersten Injektionen ist orthostatischer Blutdruckabfall mit Synkope beschrieben.2,4 Bei 2,8% der Frauen finden sich unter der Behandlung mit Teriparatid kreuzreagierende Antikörper.1

In zwei zweijährigen Tierversuchen zur Karzinogenese bilden Ratten unter Exposition mit Teriparatid Osteosarkome und andere Knochentumoren aus. In der ersten Studie werden die Tiere vom zweiten Lebensmonat an mit Wirkkonzentrationen behandelt, die dem 3-, 20- und 60fachen der systemischen Spiegel bei Menschen unter täglich 20 µg entsprechen. Unter allen Dosierungen treten in dosisabhängiger Häufigkeit Osteosarkome auf, unter der Höchstdosis bei 40% bis 50% der Tiere. In der zweiten Studie wird der Effekt bei jungen und ausgewachsenen Ratten überprüft. Während sich bei jungen Ratten auch hier keine Schwellendosis ("No-effect-level") bestimmen lässt, entwickeln ausgewachsene Ratten nur unter der 20fachen therapeutischen Konzentration Tumoren, nicht aber unter der 3fachen.9

Wegen dieser Befunde darf Teriparatid in Europa nicht länger als 18 Monate verwendet werden. Menschen mit erhöhtem Ausgangsrisiko - Kinder und Jugendliche, Patienten mit PAGET-Krankheit, ungeklärter Erhöhung der alkalischen Phosphatase oder vorausgegangener Strahlentherapie des Skeletts - dürfen es gar nicht erhalten. Teriparatid ist zudem bei Hyperparathyreoidismus, Hyperkalziämie, schwerer Niereninsuffizienz u.a. kontraindiziert.13

Nach histologischen Befunden schädigt Teriparatid die Nieren bei Affen schon unter Dosierungen, die der 20-µg-Dosis bei Menschen entsprechen. In der zulassungsrelevanten Phase-3-Studie steigt der mediane Kreatininspiegel unter täglich 20 µg signifikant an.3

KOSTEN: Das Parathormonfragment Teriparatid (FORSTEO) verteuert die Behandlung der Osteoporose mit 744 € pro Monat für täglich 20 µg s.c. gegenüber dem Bisphosphonat Alendronat (FOSAMAX; monatlich 55 € für täglich 10 mg per os) auf das 13,5fache (in Österreich auf das 12fache).

 Das zur Behandlung der Osteoporose nach den Wechseljahren angebotene Parathormonfragment Teriparatid (FORSTEO) senkt innerhalb von 18 Monaten die Rate der durch Screening erfassten Wirbelsinterungen. Ob klinisch auffällige Wirbelbrüche gemindert werden, bleibt unklar. Die Reduktion extravertebraler Frakturen ist unzureichend belegt.

 Teriparatid muss täglich subkutan injiziert werden.

 Im Tierversuch mit Ratten verursacht Teriparatid dosisabhängig Osteosarkome und andere Knochentumoren, die angesichts des Wirkmechanismus am Knochen erklärbar erscheinen.

 Der nachgewiesene Nutzen steht in keinem Verhältnis zu dem potenziellen Risiko der Krebsentwicklung sowie zu den erheblichen Kosten von 750 € pro Monat.

 Wir raten von der Anwendung des bedenklichen Arzneimittels ab.

© 2003 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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