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Therapiekritik

POSTSTATIONÄRE THROMBOEMBOLIE-PROPHYLAXE NACH HÜFTEINGRIFFEN?

Die poststationäre Weiterführung der perioperativen Thromboembolie-Prophylaxe nach Mobilisierung wird nach aktuellen, etablierten Leitlinien nur bei den Patienten empfohlen, die nach größeren orthopädischen Eingriffen ein anhaltend erhöhtes Risiko aufweisen.1 Nach zwei Metaanalysen randomisierter Studien reduziert fraktioniertes (niedermolekulares) Heparin symptomatische Thromboembolien von 4,2% auf 1,4%2 bzw. von 3,3% auf 1,3%3, wenn es bei elektiver Hüft-2 bzw. Hüft- oder Knieoperation3 nach Entlassung weiter verabreicht wird, meist drei bis vier Wochen. Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu einer großen randomisierten Einzelstudie, die nach Aufnahme von 1.200 Patienten abgebrochen wird, weil eine sechswöchige poststationäre Heparinisierung die über drei Monate nach elektiver Hüft- oder Knieoperation rein klinisch erfassten Thromboembolien nicht reduziert (1,5% vs. 2,0% [Kontrolle]). Auch in der Subgruppe mit Hüftoperationen sind Vorteile durch Ausdehnung der Prophylaxe nicht zu sichern (a-t 2000; 31: 57-8 u. 97-8).4

Eine neue Metaanalyse wertet die bisherigen Daten zur poststationären Heparinprophylaxe nach elektiver Hüftoperation nochmals aus.5 Anders als bei den vorherigen2,3 werden nur Studien berücksichtigt, in denen symptomatische Thromboembolien nach zuvor klar definierten Kriterien diagnostiziert und die Diagnosen in Unkenntnis etwaiger phlebographischer Befunde gestellt werden. Nach dieser Analyse reduziert eine weitergeführte Prophylaxe in den drei postoperativen Monaten weder symptomatische Thromboembolien (1,1% vs. 2,7%, nicht signifikant [n.s.]) noch symptomatische (0% vs. 0,36%; n.s.) oder tödliche Lungenembolien (0% vs. 0,09%; n.s.). Häufigere Fehlinterpretationen unspezifischer klinischer Symptome als symptomatische Thrombose aufgrund der Kenntnis der phlebographischen Befunde in den hier ausgeschlossenen Studien dürften die Diskrepanz zu den früheren Metaanalysen erklären.

Zwei Studien untersuchen den Nutzen der oralen Antikoagulation zur poststationären Prophylaxe. In einer offenen randomisierten Studie mit 360 Patienten wird geprüft, ob eine direkt nach Hüftersatz begonnene Prophylaxe mit Warfarin (COUMADIN; INR 2-3) von Nutzen ist, wenn sie auf vier Wochen nach Entlassung ausgedehnt wird.6 Bei den wöchentlichen Kontrollen werden unter Warfarin in 0,5% klinisch und/oder sonographisch diagnostizierte Thromboembolien erfasst, in der Kontrollgruppe in 5,1%. Symptomatische Thromboembolien (0% vs. 2,3%; n.s.) und schwere Blutungen (0,5% vs. 0%; n.s.) unterscheiden sich nicht. Ob die klinische Diagnose der Thromboembolien unabhängig vom Sonographiebefund erfolgt, bleibt unklar. Eine weitere Studie (SACRE*) vergleicht das in Deutschland nicht mehr erhältliche Acenocoumarol (früher: SINTROM; INR 2-3) mit fraktioniertem Heparin (Reviparin; CLIVARIN; pro Tag 4.200 AntiXa-Einheiten) bei 1.280 Patienten ab dem dritten postoperativen Tag nach elektivem Hüftersatz über sechs Wochen.7 Klinisch auffällige Thromboembolien werden bei 3,3% versus 2,3% diagnostiziert, mehrheitlich handelt es sich um distale Thrombosen (2,5% vs. 1,9%; jeweils n.s.). Schwere Blutungen sind unter oraler Antikoagulation signifikant häufiger (5,5% vs. 1,4%; p < 0,001), meist bei INR-Werten über dem Zielbereich. Die Gesamtrate der Komplikationen (primärer Endpunkt) ist unter Reviparin ebenfalls signifikant niedriger (8,3% vs. 3,7%). Embolierate und Mortalität unterscheiden sich nicht.

*

SACRE = Study Comparing Oral Anticoagulants With Reviparin

Aktuell wird in der Hersteller-gesponserten PENTHIFRA** Plus-Studie von einer beeindruckenden Reduktion venöser Thromboembolien um 96% berichtet, wenn Patienten mit Hüftfraktur das neu eingeführte Pentasaccharid Fondaparinux (ARIXTRA; a-t 2002; 33: 36-7) nach siebentägiger perioperativer Gabe (täglich 2,5 mg) weitere drei Wochen lang erhalten.8 Auch die absolute Abnahme der Thromboembolien von 35% auf 1,4% erscheint klinisch relevant. Die Ereignisse werden allerdings durch systematisches phlebographisches Screening erfasst. Der Unterschied in der Rate symptomatischer Thromboembolien (0,3% vs. 2,7%) lässt sich statistisch nicht hinreichend sichern. Ebenfalls als sekundäre Endpunkte erfasste Lungenembolien und Mortalität bleiben unbeeinflusst. Schwerere Blutungen sind unter Fondaparinux im Trend häufiger (1,8% gegenüber 0%).

**

PENTHIFRA Plus = PENTasaccharide in HIp-FRActure Surgery Plus

Kritische Betrachtung lässt an der Validität und klinischen Relevanz der PENTHIFRA Plus-Daten Zweifel aufkommen. Nur für 65% der 656 Patienten liegen auswertbare, aber zur Bewertung des primären Endpunktes entscheidende Phlebographien vor. Detaillierte Kriterien zur Diagnose tiefer Thrombosen sind nicht beschrieben. Die Teilnehmer der Plazebogruppe erhalten nur eine siebentägige postoperative Thromboembolie-Prophylaxe. Ihre stationäre Verweilzeit beträgt aber 14 Tage. Angaben zur Mobilität bei Entlassung oder Verlegung der im Mittel 79 Jahre alten Patienten fehlen. Sie dürfte nur für wenige gegeben sein, da nur 9% mit einer Totalprothese, aber 66% rein osteosynthetisch versorgt werden. Schon nach elektiven Eingriffen mit Hüftersatz wird jedoch eine Prophylaxe von mindestens sieben bis zehn Tagen oder bis zur ausreichenden Mobilisierung empfohlen.1 Die Plazebogruppe der Studie dürfte somit systematisch unterversorgt gewesen sein. Dazu passt die mit 33,9% ungewöhnlich hohe Rate tiefer Thrombosen in dieser Gruppe (zum Vergleich die Rate nach elektiver Hüftoperation: 22,5%2).

 Der therapeutische Nutzen einer poststationären Thromboembolie- Prophylaxe nach großen Hüfteingriffen bleibt ungesichert.

 Ein genereller Einsatz kann nicht empfohlen werden.

 Entsprechend US-amerikanischen Empfehlungen1 sollte sie weiterhin nur bei Patienten mit anhaltend erhöhtem Risiko wie z.B. bei Übergewicht, verlängerter Immobilisierung oder Thromboseanamnese erwogen werden.

 Bei gegebener Indikation bieten sich fraktionierte Heparine oder - bei guter Therapiekontrolle - die preiswertere orale Antikoagulation für drei bis vier Wochen an.

 Ein besonderer Stellenwert des teureren Fondaparinux (ARIXTRA) ist derzeit nicht erkennbar.

© 2003 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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