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Im Blickpunkt

REIZDARMSYNDROM: WERBETROMMEL FÜR NICHT ZUGELASSENE ARZNEIMITTEL

Mitte September veranstaltet Novartis ein Satellitensymposium zu "Neue(n) Perspektiven beim Reizdarmsyndrom". Die geladenen Ärzte erhalten ein Honorar von 300 DM.1 GlaxoWellcome lotet per "Expertenbefragung"2 Marktchancen beim Reizdarmsyndrom (a-t 1994; Nr. 5: 43-5) aus. In Fach- und Laienpresse, Fernsehen und Internet erscheinen in jüngster Zeit wiederholt Beiträge zu dem Thema mit Hinweisen auf "neue Behandlungsmöglichkeiten". Die Produkte, die verkauft werden sollen, gibt es noch gar nicht, jedenfalls nicht in Europa: Tegaserod (vorgesehener Handelsname ZELMAC), ein partieller Serotonin4-Rezeptoragonist, und Alosetron (USA: LOTRONEX), ein Serotonin3-Rezeptorantagonist wie das chemisch nahe stehende Antiemetikum Ondansetron (ZOFRAN). Indikation: Reizdarmsyndrom. Fast möchte man meinen, auch das Leiden, das da behandelt werden soll, gibt es noch gar nicht, jedenfalls nicht in der Größenordnung der anvisierten Umsatzzahlen.3 Potenzielle Verordner sollen offenbar schon jetzt eingestimmt werden.

Wie auch immer die Marktchancen der Mittel sich entwickeln, die Chancen, dass Anwender(innen) einen Nutzen haben werden, stehen schlecht:

 Keines der Mittel wirkt bei Männern. Eine Erklärung hierfür fehlt.

 Beide Produkte sind möglicherweise auch bei Frauen nutzlos: Mit Tegaserod lässt sich nur in einer von drei Phase-III-Studien ein Behandlungseffekt erzielen.4 Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA fordert vor der Zulassung eine weitere Studie, die das positive Ergebnis bestätigt.5 Alosetron wirkt nur bei Frauen mit vorherrschendem Durchfall, nicht jedoch bei Reizdarmsyndrom mit alternierender Diarrhö/Verstopfung oder vorrangiger Obstipation.6 Verstopfung ist vielmehr eine häufige unerwünschte Wirkung des Mittels, die etwa 25% bis 30% betrifft. In einer plazebokontrollierten Phase-III-Studie ist der Anteil der Frauen, die von dem Mittel profitieren (7% bis 10%), nicht größer als die Rate derjenigen, die es wegen Obstipation wieder absetzen (10%).7,8

 Der FDA sind inzwischen sieben Berichte über schwere Obstipation/Ileus- Syndrom in Verbindung mit Alosetron bekannt. Drei Frauen müssen operativ behandelt werden. Bei einer wird wegen gangränöser Kolitis Entfernung des Dickdarms mit Ileostomie erforderlich.6,9 In klinischen Studien sind 7 Frauen (Häufigkeit 1:1.000) unter der Einnahme an ischämischer Kolitis erkrankt, nach der Vermarktung mindestens 19 weitere.6,10 Die US-amerikanische Verbraucherorganisation Public Citizen fordert die Marktrücknahme wegen nicht vertretbarer lebensbedrohlicher Risiken bei der Therapie einer prinzipiell gutartigen Erkrankung.6,10

FAZIT: Wenn Sie jetzt in der medizinischen Presse zunehmend Berichte über das Reizdarmsyndrom finden, liegt das daran, dass der Markt für die Einführung neuer Arzneimittel vorbereitet wird. Die bisherigen Daten zu Tegaserod (vorgesehenes Warenzeichen: ZELMAC) und Alosetron (USA: LOTRONEX) begründen erhebliche Zweifel an Nutzen und Sicherheit.

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