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VORBEUGUNG UND BEHANDLUNG VON FIEBERKRÄMPFEN

Etwa eines von 30 Kindern erleidet bis zu seinem fünften Geburtstag einen febrilen Krampfanfall. Nach mehreren Fall-Kontroll-Studien sind Kinder, deren Eltern oder Geschwister ebenfalls Fieberkrämpfe hatten oder die einen Kindergarten besuchen (und damit ein höheres Infektionsrisiko haben), besonders gefährdet.1,2 Das Risiko für nachfolgende Geschwister wird mit 10% angegeben.3 Ob für die Auslösung eines Fieberkrampfes die absolute Höhe des Fiebers oder eher die Geschwindigkeit des Temperaturanstiegs entscheidend ist, bleibt offen.1,4 Selten treten febrile Konvulsionen auch vor dem Fieberanstieg oder nach Entfieberung auf.

KLINIK: Ein generalisierter Krampfanfall von meist wenigen, höchstens 15 Minuten Dauer im Rahmen eines fieberhaften (häufig viralen) Infekts, von dem sich das Kind innerhalb einer Stunde vollständig erholt, wird als einfacher Fieberkrampf bezeichnet. Abzugrenzen sind Krampfanfälle bei Meningitis, Enzephalitis oder anderen hirnorganischen Ursachen.4 Das von Eltern meist als bedrohlich erlebte Ereignis ist prinzipiell gutartig: Zwar ist bei jedem dritten Kind mit weiteren Anfällen zu rechnen, bei unter Einjährigen oder positiver Familienanamnese für Fieberkrämpfe sogar bei jedem zweiten. Das Risiko einer späteren Epilepsie bleibt aber insgesamt relativ gering und beträgt 1% gegenüber 0,5% in der Gesamtbevölkerung.5,6

Etwa 20% der Anfälle sind sogenannte komplizierte Fieberkrämpfe: Sie dauern länger als 15 Minuten, weisen Herdsymptomatik auf oder wiederholen sich während einer Fieberepisode. Nach einer Metaanalyse ist das Rückfallrisiko allenfalls gering höher als bei einfachen Fieberkrämpfen. Mit einem Rezidiv ist bei jedem zweiten bis dritten Kind zu rechnen.7 Allerdings erleidet jedes zehnte Kind in den folgenden Jahren mindestens einen afebrilen Krampfanfall. Bis zu 6% erkranken an Epilepsie. Herdsymptome während des Anfalls, vorbestehende neurologische Auffälligkeiten und Epilepsie in der Familie gelten als prognostisch ungünstig.5,6 Veränderungen in Intelligenz oder Verhalten sind auch nach wiederholten Fieberkrämpfen langfristig nicht zu erwarten.8

INTERVENTION: Während des Anfalls ist das Kind auf die Seite zu legen, um eine Aspiration von Erbrochenem sowie Verletzungen zu vermeiden. Falls nach einem früheren Fieberkrampf Diazepam als Mikroklistier (STESOLID RECTAL u.a.) verordnet wurde und die Symptomatik nach Auffinden des Mittels4 bzw. nach drei bis fünf Minuten noch besteht,9,10 wird die rektale Gabe von 5 mg bzw. bei Körpergewicht über 15 kg von 10 mg zur Anfallskupierung empfohlen. In einer methodisch unzureichenden Untersuchung sistiert der Krampfanfall darunter bei drei von vier Kindern innerhalb von zehn Minuten. 10% sprechen auch auf nachfolgende intravenöse Verabreichung nicht an. Auf eine unbehandelte Kontrollgruppe wurde aus ethischen Gründen verzichtet.11 Plazebokontrollierte Untersuchungen zum Nutzen von rektalem Diazepam im akuten Fieberkrampf gibt es bis heute nicht.12

Kinder mit kompliziertem Anfall oder Alter unter 18 Monaten sind auf jeden Fall in ein Krankenhaus einzuweisen. Uneinigkeit besteht dagegen darüber, ob dies bei allen Kindern mit erstem Fieberkrampf erforderlich ist.4,10 Einige unserer Berater empfehlen, die Indikation für eine stationäre Einweisung großzügig zu stellen.

DIAGNOSTIK: Differentialdiagnostisch ist in erster Linie eine Infektion des ZNS auszuschließen. Bei jedem dritten Kind unter 18 Monaten, das an einer Hirnhautentzündung erkrankt ist und einen Krampfanfall erleidet, fehlen typische Hinweise wie Nackensteife. Daher wird bei Kindern dieser Altersgruppe zur Lumbalpunktion geraten. Insbesondere wenn Fieberkrämpfe mit Erbrechen und/oder Nahrungsverweigerung einhergehen, kann jedes meningitische Zeichen fehlen und die große Fontanelle eingesunken sein. Die Unterlassung einer Lumbalpunktion ist bei dieser Situation nach Ansicht eines unserer Berater als Kunstfehler anzusehen mit möglichen haftungsrechtlichen Konsequenzen. Bei älteren Kindern ist die Untersuchung des Liquors dagegen nur bei komplexem Fieberkrampf, Meningismus oder anderen neurologischen Auffälligkeiten sowie Vorbehandlung mit Antibiotika angezeigt.4,13 Auch Vorbehandlung mit Diazepam kann eine intrakranielle Infektion verschleiern.9,11 Wird auf die Lumbalpunktion verzichtet, ist das Kind (evtl. stationär) zu beobachten.14 EEG, Computer- oder Kernspintomografie bringen in der Regel keine zusätzlichen Informationen.4,9,13

PROPHYLAXE: Umfassende Aufklärung der Eltern über die Natur von Fieberkrämpfen und das Verhalten während eines Anfalls ersetzt heute weitgehend die früher übliche medikamentöse Prophylaxe.9 In einer kontrollierten Untersuchung aus Taiwan mit 129 Familien hilft ein zweistündiges Schulungsprogramm betroffenen Eltern, bestehende Ängste über mögliche Hirnschäden oder spätere Epilepsie abzubauen und richtiges Verhalten bei Fieberkrampfrezidiven zu erlernen.15

Die Vorstellung, dass sich Fieberkrämpfe durch Temperatursenkung mit Antipyretika verhindern lassen, ist nicht belegt.9,16 Weder Parazetamol17 (BENURON u.a.) noch Ibuprofen18 (NUROFEN u.a.) senken in kontrollierten Studien die Rückfallrate im Vergleich zu Scheinmedikament. Unter Ibuprofen nimmt zwar die Körpertemperatur innerhalb von sechs Stunden im Mittel um 0,7 Grad Celsius ab. Werden jedoch nur Fieberepisoden mit Fieberkrampfrezidiv ausgewertet, ist die Temperatur trotz Einnahme des Antipyretikums um ein weiteres Grad Celsius angestiegen. Die vorbeugende Anwendung wird zudem dadurch erschwert, dass bei einem Drittel der Rückfälle das Fieber erst zum Zeitpunkt des Anfalls bemerkt wird.18

Widersprüchlicher ist die Datenlage zur intermittierenden Vorbeugung bei Fieber mit Diazepam.12 In zwei Studien nehmen Rezidive unter 0,33 mg/kg alle 8 Stunden per os beziehungsweise 5 mg bis 7,5 mg alle 12 Stunden rektal im Vergleich zu Scheinmedikament beziehungsweise einer Kontrollgruppe ohne Prophylaxe ab.19,20 Zwei andere Untersuchungen17,21 sowie eine Metaanalyse aller plazebokontrollierten Studien22 kommen dagegen zu negativen Ergebnissen. Die Epilepsierate bleibt in der einzigen auf diesen Endpunkt ausgelegten Untersuchung bei zwölfjähriger Nachbeobachtung unbeeinflusst.23

Grundsätzliches Problem aller Studien ist die schlechte Compliance, die sich nur teilweise darauf zurückführen lässt, dass Fieber nicht erkannt wird: Bis zu 93% der Kinder, die einen erneuten Fieberkrampf erleiden, haben die Medikation nicht erhalten. In einer Untersuchung wird das Scheinmedikament deutlich zuverlässiger angewendet als das Benzodiazepin.21 Ursächlich kommen häufige Störwirkungen von Diazepam in Betracht wie Sedierung (bis 36%), Ataxie (bis 30%), Reizbarkeit (bis 24%), Hyperaktivität oder verwaschene Sprache (jeweils bis 6%).19,20 Ein Behandlungsversuch kann bei häufigen und/oder komplexen Fieberkrämpfen angezeigt sein, ebenso bei sehr ängstlichen Eltern, die dies unbedingt wünschen.9

Die früher häufig empfohlene Dauerprophylaxe mit Phenobarbital (LUMINAL u.a.) oder Valproat (ERGENYL u.a.) ist überholt, da die Prognose von Fieberkrämpfen besser ist als ursprünglich angenommen und dem fraglichen Nutzen ausgeprägte Störwirkungen gegenüber stehen.12 Zwar senken beide Antiepileptika in mehreren älteren, methodisch meist mangelhaften Untersuchungen (keine Plazebogruppe, keine Intention-to-treat-Analyse u.a.) die Häufigkeit von Fieberkrampfrezidiven.16 Nach einer Metaanalyse plazebokontrollierter Studien halbiert Phenobarbital in etwa das Risiko eines erneuten Fieberkrampfs (Number Needed to Treat [NNT] = 8).22 In einer gepoolten Neuauswertung britischer Studien nach heutigen Standards schneiden die mit Phenobarbital oder Valproat behandelten Kinder jedoch nicht besser ab als die Kontrollgruppen.24 Ob Antiepileptika das Risiko beeinflussen, später an Epilepsie zu erkranken, ist nicht untersucht. Mit schweren unerwünschten Wirkungen ist zu rechnen: Phenobarbital kann Verhaltensstörungen auslösen und Gedächtnis sowie Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen, Valproinsäure Leber und Pankreas lebensbedrohlich schädigen (a-t 1987; Nr. 5: 43).9

KOSTEN: Die Anfallskupierung mit Diazepam-Mikroklistieren (DIAZEPAM DESITIN RECTAL, STESOLID RECTAL) kostet je nach Körpergewicht rund 5 DM (unter 15 kg) beziehungsweise 6 DM (über 15 kg). STESOLID ist jeweils 5% preiswerter.

FAZIT: Fieberkrämpfe kommen im Kindesalter häufig vor und sind nicht bedrohlich. Neben stabiler Seitenlage wird als Sofortmaßnahme - sofern vorhanden - die rektale Anwendung von Diazepam-Lösung (STESOLID RECTAL u.a.) empfohlen. Trotz häufiger Rückfälle ist in der Regel keine medikamentöse Vorbeugung angezeigt. Studien, die eine Beeinflussung des gering erhöhten Epilepsierisikos nachweisen, gibt es ohnehin nicht. Wichtig erscheint das Gespräch mit den Eltern, um ihnen Ängste zu nehmen und zu helfen, bei weiteren Fieberkrämpfen richtig zu reagieren. Kinder, die einen Fieberkrampf hatten, sollen bis zu einem Alter von fünf bis sechs Jahren nicht unbeaufsichtigt allein zu Hause gelassen werden.

Die vorbeugende Einnahme von Antipyretika bei Fieberepisoden beeinflusst nicht die Häufigkeit von Fieberkrampfrezidiven. Der Nutzen der prophylaktischen intermittierenden Anwendung von Diazepam bei Fieber ist zweifelhaft. Ein Versuch kann bei häufigen und/oder schweren Fieberkrämpfen angezeigt sein. Die früher übliche Dauertherapie mit Phenobarbital (LUMINAL u.a.) oder Valproat (ERGENYL u.a.) ist wegen des fraglichen Nutzens und häufiger Störwirkungen heute verlassen.

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